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Währenddessen… (KW 25)

In der Kolumne „Währenddessen …“ zeigt die Comicgate-Redaktion, was sie sich diese Woche so zu Gemüte geführt hat.

Christian: Wenn Clint Eastwood in den Italo-Western von Sergio Leone auf Menschen schießt, noch dazu mit den sehr ungenauen Handfeuerwaffen von damals, dann ist das, gelinde gesagt, unrealistisch. Manchmal hat man gar das Gefühl, die verwendete Waffe ist nur ein Zugeständnis an die Sehgewohnheiten des Publikums, denn genauso gut könnte er mit bloßem Fingerzeig töten. Wie ein Gott.

Dazu hat Harald Steinwender in seinem überaus interessanten Buch Sergio Leone – Es war einmal in Europa (Bertz und Fischer, 2012) einige sehr bereichernde Gedanken geschrieben. Er schreibt: „Vor allem in ‚Il buono, il brutto, il cattivo‘ scheinen die Helden auf ihrer Odyssee durch den Südwesten der Vereinigten Staaten fast nur noch mythische Stationen abzuklappern […]. Gerade in diesem Film erscheinen die Hauptfiguren nahezu als unsterblich; werden immer wieder von ihrer Exekution gerettet und durchqueren traumwandlerisch ein vom Bürgerkrieg zerissenes Land. So wirken Blondie und Sentenza letztlich fast wie Halbgötter, die gleichgültig die banalen und unsinnigen Handlungen der Menschen betrachten, während sie auf der Erde wandeln, um ihre Wettkämpfe untereinander auszutragen.“

Auch wenn die Helden gefoltert werden und dem Tod nahe sind, verlieren sie ihre göttliche Aura nie, denn im Kontakt mit vorweltlichen, archaischen Kräften verliert der Held die Souveränität, die er gegenüber seinen menschlichen Zeitgenossen stets hat. „Er muss die Opferzeremoniale, in die er immer wieder gerät, als gegeben anerkennen: zu brechen vermag er sie nicht.“ Steinwender interpretiert die Clint Eastwood-Figur aus The Good, the Bad and the Ugly dabei als Trickster-Figur, „gleichzeitig Schöpfer und Zerstörer, Geber und Verweigerer, einer der täuscht und doch selbst immer getäuscht wird. Er kennt weder gut noch böse […], besitzt weder moralische noch soziale Werte.“ Und er hat stets den Schalk im Nacken.

Ich finde es sehr bereichernd, die Filme von Sergio Leone unter dem mythologischen Aspekt noch einmal neu zu erleben. Steinwender macht plausibel, dass die mythischen Anleihen nicht lediglich hineininterpretiert sind, sondern tatsächlich zum Grundkonzept Leones gehören. Gleichzeitig sind sie aber nicht die einzige Ebene, auf der die Western der Dollar-Trilogie gesehen werden können. Wer mit dem Mythos-Ansatz jedoch nicht so viel anfangen kann, darf beruhigt sein: Es ist nur ein Kapitel von vielen.

Harald Steinwenders Sergio-Leone-Buch ist Pflichtlektüre für jeden Leone-Fan, weil der Autor nicht erklärt, was offensichtlich ist, sondern Hintergründe offenlegt und zu neuen Sichtweisen auf sämtliche Filme Leones verhilft. Dabei nehmen die Dollar-Filme nur einen Teil des Buchs ein, ebenso aufschlussreich und ausführlich geht es um die Filme Spiel mir das Lied vom Tod, Todesmelodie und Es war einmal in Amerika. Aber auch sein Debutfilm Der Koloss von Rhodos wird genauer angesehen, ebenso die Filme, die Leone nur produziert hat. Die berühmteste Produktion ist Mein Name ist Nobody mit Terence Hill.

Mit Eli Wallach als Tuco wird „The Good, the Bad and the Ugly“ auch zur Buffonade. Interessant ist dabei vor allem der Kontrast zwischen Eli Wallachs Overacting und Clint Eastwoods Understatement.

Stefan:  Der ehemalige RTL-Stratege Helmut Thoma trat kürzlich mit einer sehr pessimistischen Einschätzung zur Zukunft von Netflix an die Presse: Der Sender werde langfristig scheitern, weil die Zuschauer all die immer gleichen Serien irgendwann leid seien und sie die Abwechslung eines Vollprogramms mit Nachrichten und Shows schätzen würden. Das wäre ein schönes Thema für eine ausgiebige Diskussion oder einen Deutsch-Aufsatz, aber tatsächlich vermisse ich persönlich Dokus und Tiefgang auf Netflix und würde davon lieber mehr sehen als die nächste halbgare fiktionale Serie für Jugendliche und Twens. Solche Inhalte gibt es selbstverständlich und eine Neuerscheinung sei an dieser Stelle empfohlen: Historical Roasts mit Jeff Ross. Jede Folge widmet sich einer anderen historischen Figur, für den Einstieg empfiehlt sich der Auftritt von Freddy Mercury und Fortgeschrittene erfahren in der Folge über Anne Frank, welche Witze jüdische Comedians in den USA wagen, die hierzulande vermutlich nicht möglich wären, wohl auch weil sie Applaus von Neo-Nazis erhalten und das Leid der Opfer verhöhnen könnten, wenn man eben nicht einen sehr schwarzen Humor versteht. In jedem Fall ist es löblich, wie diese Reihe starke Personen wie Anne Frank, Cleopatra und die befreiten Afroamerikaner nach dem US-Bürgerkrieg 1865 feiert. Humor und noch dazu etwas gelernt – so ein Niveau würde auf RTL vermutlich nicht funktionieren, weil keine Bauern oder das Prekariat verhöhnt werden, keine Brüste zu sehen sind und sich Werbeclips für Bier und deutsche Autos schlecht zwischen einer Comedy über Auschwitz bewerben lassen.

Niklas: Spiel mir das Lied vom Tod, Once upon a Time in the West im englischen Original, war lange Zeit mein Lieblingsfilm. Nachdem ich ihn noch mal geschaut habe, stelle ich fest, dass er es immer noch ist. Ich könnte jetzt viel darüber schreiben, dass es vor allem daran liegt, wie der Film den Italo-Western und den amerikanischen Traum dekonstruiert, der letztendlich auf den Rücken armer Schlucker aufgebaut wurde. Aber das haben andere schon viel geistreicher analysiert.

Nein, wenn mich eines immer wieder beeindruckt, dann, wieviel wir über die Figuren erfahren, obwohl sie gar nicht so viel sagen. Sie starten als bekannte Archetypen, aber durch die gute Regie und das brillante Spiel der Schauspieler, werden sie zu komplexen Charakteren. Hauptantagonist Frank muss niemals laut aussprechen wie paranoid und ängstlich ihn das Leben als Mörder gemacht hat, weil wir sehen, wie er blitzschnell zur Waffe greift, sobald irgendjemand eine hastige Bewegung macht. Hauptfigur Jill zeigt immer wieder durch ihre ausdrucksstarke Mimik, dass sich hinter dem abgebrühten Auftreten ein guter Mensch verbirgt, der auf ein besseres Leben hofft. Und Revolverheld Mundharmonika foltert und mordet, um sein Ziel zu erreichen, so dass ihn nicht viel von den bösen Jungs unterscheidet.

Wenn die Figuren denn mal etwas sagen, ist es vieldeutig und leicht verspielt. Selten wird etwas direkt erzählt, ich muss die Lücken selbst ausfüllen, der Film beschränkt sich auf das Wichtigste. Das ist die Art von Geschichte, die ich selber erzählen möchte, da sie zum Nachdenken anregt und sie Vertrauen in die Auffassungsgabe ihrer Zuschauer*innen hat. Man sollte aber Geduld mit Spiel mir das Lied vom Tod haben, denn gerade der Anfang des Films ist sehr langsam. Die erste Szene allein verbringt elf Minuten damit, Spannung aufzubauen, und macht uns mit Figuren bekannt, die dann gnadenlos niedergemacht werden. Beim ersten Mal langweilte mich das noch, jetzt genieße ich jede Sekunde, weil ich mir die Zeit nehme, die der Film für sich beansprucht. Wer sich Spiel mir das Lied vom Tod heute noch geben will, sollte das genauso halten.

Ein paar Worte möchte ich noch zur deutschen Synchro verlieren, denn die ist tatsächlich sehr gut. An vielen Stellen ist sie geradliniger als im englischen Original, aber dann kommen immer wieder Szenen, in denen trockene Zeilen Dialog durch beißenden Witz ersetzt werden, der nur auf Deutsch funktioniert. Damit ändert sich zwar die Bedeutung einiger Szenen, vor allem, da die Übersetzung den märchenhaften Teil der Geschichte streicht und das Thema Rache in den Vordergrund stellt, aber gerade Spiel mir das Lied vom Tod kann es überleben, wenn man ihn für weitere Interpretationen öffnet. Die zwei stummen Szenen, in denen die Übersetzer Dialogzeilen eingefügt haben, hätten allerdings nicht sein müssen. Damit haben sie dem Film einen Teil seiner Magie geraubt.

 Egal. Spiel mir das Lied vom Tod bleibt trotzdem mein Lieblingsfilm.

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