Zehn Jahre arbeitete Zeichner und Autor Frank Erik Weißmüller (Künstlername Erik) an seiner epischen Zeitreisegeschichte Deae ex machina. Vierhundert Seiten lang verfolgten die Leser die Pläne der drei Schicksalsgöttinnen Urd, Skuld und Verdandi, deren Geschichte Ende 2018 mit dem fünften Band der Reihe endete. Wir haben Erik zu diesem Anlass ein wenig über die Entstehungsgeschichte seiner Serie befragt und er beantwortet die großen Fragen über schlecht beschriftete Schicksalsstäbe, geplante Enden und ob Geschichte eine Moral hat.
Comicgate: Bevor es logeht: wie geht es dir, Erik? Zehn Jahre sind ja eine lange Zeit und vierhundert Seiten schon ein richtiges Mammutwerk. Hast du die Feierlichkeiten gut überstanden?
Erik: Die Feierlichkeiten stehen noch aus, aber sonst ist alles gut. Das Album ist meinerseits zwar seit dem Sommer fertig, aber jetzt gerade erst erschienen. Ich glaube, ich brauche noch ein bisschen, um zu verstehen, dass die Story mit der dazu gehörenden Lebensphase tatsächlich abgeschlossen ist.
Erinnerst du dich noch an die Initialzündung für Deae ex machina? Ein bestimmter Film, ein Buch oder einfach nur ein Witz (ich habe mal gelesen, dass einige der besten Geschichten als Witze begannen), aus dem dann die Idee für die Serie entstand?
Deae hatte mehrere Initialzündungen, das Ganze begann noch vor 2000. Da wollte ich einen Superhelden schaffen à la Stan Lee. Also übernatürliche Fähigkeiten hier, Handicap da. Das maximale Handicap wäre natürlich ein Held, den es gar nicht gibt. Körperlos, nicht wahrnehmbar, handlungsunfähig. Fand ich damals clever, war aber zunächst eine Sackgasse. Mit der Zeit kam die Kunst der Reinkarnation mit Hilfe eines magischen Amuletts dazu und zuletzt die Nornen. Da sie bekanntlich die Göttinnen von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft sind, hatte ich auch schnell die Zeitreisen. Aber Chris hatte immer noch keine überraschende Aufgabe.
Dann kam der 1. September 2001 und Terrorismus wurde zum Hauptthema. Ein paar Wochen später hat Otto von Klumpp in meinem Kopf gesagt: „Können Sie sich vorstellen, dass die großen Kataklysmen der Erdgeschichte keine Naturkatastrophen waren?” Mit der Umdeutung von historischen Katastrophen in durch Menschen verursachte Anschläge hatte Chris endlich eine Aufgabe und Deae ex machina konnte starten.
Wenn dich jemand fragen würde worum es in Deae ex machina geht, ohne dass du ihnen die Handlung beschreibst, was würdest du dann antworten?
Es geht um die ganz großen Fragen. Lebe ich ein selbstbestimmtes Leben, was ist determiniert, was ist Zufall, was Schicksal? Wäre ich einer anderen Zeit ein anderer Mensch geworden? Die unterhaltsame Antwort darauf kommt von drei verzankten Schicksalsgöttinnen, die sich keine große Mühe beim Beschriften unserer Schicksalsstäbe geben.
Der Comic spielt ja in vier Zeitepochen, von denen nur eine nicht auf dem eurasischen Kontinent stattfindet. Standen die zu Beginn schon fest oder musstest du auch mal eine austauschen, weil sie am Ende nicht zur Geschichte und deren Themen passten oder du keinen Spaß beim Zeichnen hattest? Und welche von den Epochen war eigentlich dein Favorit (zeichnerisch und thematisch)?
Die historischen Knotenpunkte der Story standen von Anfang an fest. Es mussten Ereignisse sein, die wir alle kennen. Bei den Szenen, die zeitlich dorthin führen, war ich freier. Die Brüder Lumière (Kapitel 49) habe ich spontan in Band 5 eingebaut, ich wollte Verdandi unbedingt in einer Tournüre zeigen. Am wohlsten habe ich mich in der Antike gefühlt, die ist einfach gut dokumentiert und macht optisch viel her.
Die drei Schicksalsgöttinnen sind ja die Hauptfiguren, aber in ihren Handlungsmöglichkeiten sehr passiv. Hat das beim Schreiben des Skriptes nicht zu Problemen geführt? Nicht, dass ich mich beschweren möchte, ihre bissigen Kommentare sind ein Highlight von Deae.
Beim Skript weniger, eher bei der visuellen Inszenierung. Deae wird sehr von den Dialogen getrieben, also mussten die natürlich möglichst spitz werden. Gleichzeitig sollten alle Szenen auch optisch attraktiv sein. Also werden die Nornen immer wieder neu eingekleidet. In Kapitel 26 (Band 3), tragen sie lebendige Pelze, die innerhalb der dialoglastigen Szene ein amüsantes Eigenleben führen. So hat das Auge des Lesers auch ohne große Action seinen Spaß.
Wie gehst du beim Zeichnen vor? Kommt erst die Idee und dann suchst du Referenzen oder hast du zuerst Recherchen betrieben und daraus dann die Reihenfolge der Szenen erstellt, die du zeichnen wolltest?
Zuerst kommt der Plot. Die 59 Kapitel müssen trotz der zunächst verwirrenden Zeitsprünge aufeinander aufbauen, eine Spannungskurve erzeugen und letztlich in den Showdown münden. Ich habe alle Kapitel als Kurzbeschreibung in der Größe eines Post-its ausgedruckt und auf einem großen Bogen Papier wochenlang hin- und hergeschoben. Erst als ich ein gutes Gefühl mit dem Aufbau hatte, habe ich mit der ersten Seite angefangen.
Was ist für dich eigentlich am schwersten zu zeichnen gewesen? Damit meine ich zum Beispiel nicht nur Fahrzeuge oder Tiere, sondern auch bestimmte dramatische Momente, die es dir schwer machten, in Szene gesetzt zu werden?
Das Finale war ein Kraftakt. Es läuft über 18 Seiten, 12 Charaktere agieren miteinander, es gibt Action, Lichteffekte und dramatische Wendungen. Außerdem wollte ich, dass die Szenen auch noch stimmen, wenn man sie vor Ort, also im Stephansdom von Metz, lesen würde. Ich habe also immer auf den Grundriss der Kirche geschielt und auf die Fotos, die ich extra fürs Finale dort aufgenommen hatte. Am Ende habe ich mehr als doppelt so lange dafür gebraucht als geplant.
Gibt es eigentlich bestimmte Zeichner, die dich besonders beeinflusst haben? Ich kenne mich leider nicht so sehr mit französischen Künstlern aus, aber wenn ich deine schönen Frauen und die Gesichter deiner Männer betrachte, muss ich gleich an Spirou und Asterix denken, nur blutiger und sexier.
Ich sehe mich gar nicht so sehr in der französischen oder belgischen Tradition, auch wenn Deae ex machina letztlich ein Semi-Funny ist. Der kalligrafische Strich ist natürlich schon europäisch, aber Proportionen, Bildausschnitte, Perspektiven und Montage, also wie du von einem Panel zum nächsten kommst, haben auch amerikanische und japanische Einflüsse. Das eine ist die Oberfläche und das andere die Substanz, die darunter steckt. Ich habe in meiner Jugend parallel Corto Maltese und Savage Sword of Conan gelesen, The Spirit und Tim und Struppi, Blueberry und alle Marvel-Titel. Hauptsache, es waren Comics. In den 90ern kamen dann Manga dazu.
Das Ende hat mich sehr überrascht. Ohne jetzt zu viel verraten zu wollen, war das so geplant oder hast du irgendwann mal innegehalten und es noch einmal umgeschrieben? In zehn Jahren kann ja viel passieren.
Ja, das Ende war genau so geplant. Die Schlussdialoge standen schon, bevor ich die Kapitel auf dem großen Bogen hin- und hergeschoben habe. Auf die letzte Szene habe ich mich jahrelang gefreut. Auch das weitere Schicksal der Nebenfiguren stand von Anfang an fest. Deae ex machina bietet ja einen eher düsteren Blick auf die Historie, der Moral eher verneint. Den wollte ich bis zum Schluss beibehalten.
Okay, letzte Frage. Die stelle ich besonders gern: hattest du in all den Jahren ein privates Highlight, das dir besonders in Erinnerung blieb? Irgendeine Szene, die besser geworden ist als anfangs gedacht, oder die zu zeichnen es dir schon in den Fingern juckte? Vielleicht war es sogar nur ein kleiner Dialogfetzen oder ein einzelnes Panel, bei dem du dir auf die Schulter geklopft hast?
Ich mag das 21. Kapitel (in Band 3). Da versuchen drei makedonische Soldaten, sich während der Schlacht um Tyros zu bereichern. Die Szene ist in ihrer Absurdität und Brutalität intensiver geworden als erhofft. Ich mag aber auch den Dialog der Nornen am Ende des 40. Kapitels (in Band 4). Skuld, die nur in die Zukunft schaut, wirft Urd vor, dass ihre Gedanken ausschließlich rückwärts gerichtet sind. Zwei limitierte Sichtweisen, die eine konstruktive Zusammenarbeit ausschließen.
Möchtest du noch etwas hinzufügen? Irgendwelche großen Projekte, auf die wir vielleicht schon dieses Jahr hoffen können?
Es ist einfach ein tolles Gefühl, dass die Story jetzt in ihrer ganzen Länge vorliegt. Na, ja, hat aber auch zehn Jahre gedauert, weil ich meinen Lebensunterhalt anders verdienen musste. Lust hätte ich schon auf die nächste lange Geschichte, aber zurzeit plane ich erst mal am nächsten Dédé. Ein klassischer 48-Seiter kommt jetzt gerade richtig. Ob er noch 2019 fertig wird, hängt von Umständen ab, die ich selbst kaum beeinflussen kann. Fragen wir die Nornen.
Das wird bestimmt schon, die wollen schließlich auch unterhalten werden. Vielen lieben Dank für deine Zeit!
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