Berichte & Interviews
Schreibe einen Kommentar

Gewaltlose Heldinnen und heldenhafte Alter Egos – Interview mit Ines Korth und Sarah Burrini

Auf dem diesjährigen Comic-Salon Erlangen haben sich Sarah Burrini und Ines Korth bereit erklärt, mit Jan-Niklas Bersenkowitsch ein wenig über ihre Projekte Nerd Girl und Massu Schmiedstochter zu plaudern. Beide Comics haben ihren Ursprung im Web und sind im Sommer als gedruckte Bände erschienen. Im Gespräch ging es um Themen wie Arbeitsteilung, Lieblingsszenen und wie schwer es ist, sich als Autorin von den eigenen Figuren zu lösen.

Achtung: Dieses Interview kann Spoiler enthalten, vor allem für Massu Schmiedstochter. Wer damit ein Problem hat, möge bitte erst den Comic lesen.

Jeweils vom Comic der anderen begeistert: Sarah Burrini und Ines Korth. Foto: Jan-Niklas Bersenkowitsch

Comicgate: Als ihr die Ideen für eure Projekte hattet, stand schon fest, dass ihr daraus mehrere Hefte oder ein Buch machen würdet oder hat sich das spontan beim Machen so entwickelt?

Sarah: Nee, ich hatte da schon einen Rahmen. Ich wusste, dass Nerd Girl eine Superheldin ist und ich abgeschlossene Probe-Episoden von einer Seite machen wollte. Daraus habe ich mir dann eine Rahmenhandlung notiert und hangle mich jetzt an der entlang. Geplant sind zwei, höchstens drei Hefte.

Ines: Bei mir war das so, dass ich einen langen Comic machen wollte. Es gab am Anfang immer wieder Schwankungen, wo die Geschichte hingehen sollte. Massu begann sogar als Videospielparodie, aber der Grundgedanke war, dass es eine abgeschlossene Geschichte wird. Das war mein Traum, ein richtiges Buch, das ich auch anfassen kann. Ich habe Massu dann als Webcomic begonnen, um zu schauen, ob ich das durchhalten kann, einfach weil ich noch nicht so viel Erfahrung mit längeren Geschichten besaß. Den Stil habe ich dann ja auch gewechselt, ich war vorher sehr vom Manga geprägt. Von Schwarzweiß auf Vollfarbe war auch eine Umstellung, aber nach den ersten fünf Kapiteln habe ich gedacht: „Na, das sechste schaffst du jetzt auch.“

Sarah: Also hat sich das bei dir organisch entwickelt und du hast das Internet als dein Spielfeld genutzt?

Ines: Ja, genau. Das war wirklich alles neu für mich und ich dachte: „Hoffentlich erschlagen die Leute mich nicht.“

Die gedruckte Ausgabe von Massu Schmiedstochter erschien bei Schwarzer Turm.

War es eigentlich geplant, dass Massu ihr Schwert nicht zieht? In anderen Geschichten wäre diese Szene ja irgendwann gekommen und Massu wäre durch Gewalt erwachsen und damit zur Frau geworden.

Ines: Ich wollte ein Mädchen mit Schwert, aber ziemlich schnell wurde mir klar, dass Massu es nie ziehen sollte. Ich wollte ihr ein Berserkerkerschwert – also ein dickes Schwert – geben, das total unrealistisch ist, weil sie es kaum tragen kann. Mir war immer klar, dass sie ein Schwert will, weil ihr Vater Schmied ist und sie von den Heldengeschichten begeistert ist, aber das sollte nie zu was führen. Massu sollte die Erkenntnis haben, dass sie nicht durch Kämpfen gewinnnt, sondern anderen klarmacht, dass Kämpfen möglich ist und ihnen damit Mut macht. Sie sollte keine Kriegerin werden, sondern jemand, der gewaltlos Konflikte löst, das sieht man auch im Epilog mit der erwachsenen Massu.

Ich bin erstaunt, wie konsequent du das durchgezogen hast. Das Größte, was Massu in der Geschichte vollbringt, ist, die Gefangenen zu befreien, während die Nebenfiguren den bösen König erschlagen.

Ines: (nickt) Genau.

Also haben wir ein Mädchen, das erwachsen geworden ist und eine erwachsene Frau, die ihren Mädchentraum erfüllt.

Sarah: (lacht) Oh, was ist das für eine Dieter-Thomas-Heck’sche Traumüberleitung!

Nerd Girl erfüllt sich ja ihren Traum, nicht wahr? Was ich mich beim nochmaligen Lesen gefragt habe: Ist Nerd Girl jetzt eine Superheldin oder ist das immer noch eine Parodie? Und wo im komplexen Burrini-Verse kann man die Figur verorten?

Sarah: Also aufmerksamen Beobachtern ist schon mal aufgefallen, dass im Regal von Nerd Girls Wohnzimmer ein Butterblume-Plüschtier liegt.1 Es ist also ein Paralleluniversum, in dem die Serie spielt. Andere Figuren, die man aus dem Ponyhof kennt, existieren dort also auch nicht, trotzdem ist die Hauptfigur wieder ich … wobei die Hauptfigur aus dem Ponyhof ja auch wieder ich bin (lacht). Ich habe mir gedacht, wenn DC und Marvel Paralleluniversen machen, in denen niemand mehr durchblickt, mach ich das auch mal so. Es bleibt natürlich eine absurde Realität, in der vieles mehr möglich ist, als in unserer Welt.

Nerd Girl erscheint in der Edition Kwimbi.

Ines: Assoziierst du dich eigentlich noch selber mit dieser Figur oder hat sich Sarah als Figur verselbstständigt?

Sarah: Vor dem Ponyhof hatte ich ja einen Prä-Ponyhof, da hieß die Figur Helene. Das hat aber nicht funktioniert, denn am Ende bin das immer noch ich. Und das bin dann auch wieder ich beim Ponyhof und bei Nerd Girl. So richtig habe ich mich nie davon lösen können. Natürlich bin ich das. Und dann auch wieder nicht. Nerd Girl ist eine selektive Sarah, mit selektiven Eigenschaften, wie im Ponyhof, aber nichts an meinem Alltag ist so wie bei Nerd Girl. Ich schaff es nicht, die Figuren anders zu nennen, da die so nah an mir dran sind.

Ist sie denn mehr Marvel oder mehr DC, deine Sarah?

Sarah: Ach, das ist mir ehrlich gesagt wurscht. Ich lese beides und bei beiden Verlagen gibt es Müll und bei beiden gibt es richtige Perlen. Die tun sich da nichts. Man muss auch sagen, dass es schon alles gegeben hat von Kakerlakenman zu Deadpool. Der Witz ist eigentlich durch und man muss sich davon lösen, originell zu sein und Spaß haben. Nerd Girl soll halt ein bisschen unschuldig sein. Mal sehen, ob ich da noch was Dramatisches oder Gewalttätiges einbaue. Sowas wie Nudity wird es aber bei mir nicht geben. Das machen andere Comics.

Ines, du hast für Sarah das erste Heft von Nerd Girl koloriert. Wie begann die Zusammenarbeit? Sitzt ihr beide im selben Studio?

Ines: Nein, wir kennen und organisieren uns online, obwohl wir nicht weit auseinander wohnen. Wir treffen uns gelegentlich, aber eigentlich zu wenig. Irgendwann kam Sarah auf mich zu und sagte: „Heyyy, möchtest du nicht mal was für mich machen?“ Ich erinnere mich noch daran, vor zwei Jahren auf der Rückfahrt von Erlangen hat sie mich gefragt, ob ich das erste Heft kolorieren möchte.

Sarah: Ich habe gesehen, dass Ines für andere koloriert hat, da dachte ich halt nur so „Ah, ich muss nicht alles selber machen“ und ich finde das Konzept von Arbeitsteilung auch sinnvoll. In Deutschland ist das ja nicht so wie in den USA, wo das zum Standard gehört. Mir macht das richtig Spaß, die Arbeit zu teilen. Die Ergebnisse sind sehr spannend, vor allem, wenn man sich untereinander austauscht und voneinander lernt. Ich finde das richtig interessant, da ich nie auf die Farbimpulse gekommen wäre, die Ines einfallen.

Ines: Kolorierung ist auch eine eigene Ebene, da passe ich mich dem Stil der Zeichner an. Für richtige Lines müsste ich Sarahs richtig studieren.

Apropos Stil, wie bist du denn an die Weltschöpfung von Massu herangegangen? Da orientieren sich ja viele KünstlerInnen an der bekannten Mythologie.

Ines: Es ist schon eine klassische Fantasywelt. Ich bin mit Fantasybüchern von Autoren wie Tolkien groß geworden, den ich einmal rauf und runter gelesen haben. Mein Ansatz ist ebenfalls relativ klassisch und ich gebe mich da auch keinen Illusionen hin, was Neues erschlossen zu haben. Orientiert habe ich mich viel an der angelsächsischen und nordeuropäischen Folklore und passte da viel an. Die Zerviden zum Beispiel sind eigentlich Zentauren2, die ich umgeschrieben und zu meinem eigenen Volk gemacht habe, auch wenn es sie so schon gab.

Sarah: Ist halt wie mit Superhelden, die es auch schon gab, und trotzdem deine eigene Variante.

Ines: Genau.

Sarah: Ich finde es übrigens schön, dass Massu ein richtiger Vorbildcharakter ist, nicht nur für kleine Mädchen, sondern für alle anderen, vor allem für die Figuren im Buch, die sich anfangs nicht trauen.

Ines: Ja, das ist, was Massu halt macht. Sie sagt ihnen ganz klar: „Entweder helft ihr mir oder ihr habt Pech gehabt.“ Das ist es ja, was die anderen anstachelt, dass sie alle überzeugt, sich zusammenzuraufen und es trotzdem anzupacken. Sie geht aber weiterhin ihren eigenen Weg.

So wie Nerd Girl ihren eigenen Weg als Superheldin zur Miete geht.

Sarah: Ha, wieder so ein Übergang!

Wie wird es mit deiner Heldin weitergehen?

Sarah: Ich möchte im zweiten Comic über ihren Alltag schreiben. Natürlich nicht über den der echten Sarah, sondern den dieser Figur, welche Freunde sie hat und so weiter. Im Gegensatz zu Massu ist sie halt dieser klassische, tollpatschige Held, der überhaupt nichts mit Vorbildfunktion am Hut hat. Das ist ja auch so ein Trope, dass man über die Tollpatschigkeit eine gewisse Verantwortung übernimmt. Damit schaffst du auch Drama. Wenn Figuren selber alles egal ist, ist es ja den Lesern auch egal. Das ist halt dieses Problem, dass ich mit Deadpool habe. Wenn alles Meta ist, geht das Drama verloren. Richtiges Erzählen klappt dann halt nicht mehr. Nerd Girl wird weiterhin ihr Bestes geben, aber sie kann auch scheitern. Mal sehen, was kommt.

Ines: Aber du steuerst schon eine Entwicklung an, ja?

Sarah: Ja. Sie arbeitet daran, ihre Rolle ernstzunehmen. Im ersten Heft spielt sie ja mehr die Superheldin und davon soll sie langsam weggehen.

Gab es Szenen in euren Comics, auf die ihr euch besonders gefreut habt oder die besser wurden als gedacht?

Sarah: Die Stelle, die mir wirklich gelungen ist, war der Angriff der zwei Veganer. Nerd Girl bewirft sie da mit Müll und kurz darauf werden sie von Tauben angegriffen. Ich habe das geschrieben und gedacht: „Ich lasse das jetzt so stehen und denke mir später was Einfaches aus, weil das ja auf eine Massenszene hinausläuft.“ Dann kam „später“ immer näher und näher und ich dachte „scheiß drauf“. Es ist bescheuert, es ist ein bisschen zu viel Arbeit, aber all diese kleinen Details zu zeichnen, wie diese Taube mit der Zigarette, macht ja schon Spaß. Auf solche Sachen freue ich mich ja auch.

Die Szene fasst auch schön den Humor der Serie zusammen oder? Immer zwischen Selbstkasteiung und total bescheuert.

Sarah: (lacht) Ja. Und immer wenn ich denke „das kann ich nicht bringen“ oder „das ist zu doof“, dann überlege ich noch mal und komm dann zum Schluss, dass ich diese Szenen bringen muss.

Ines: Bei mir waren es zwei Szenen, auf die ich mich freute, aber vor denen ich auch richtig Angst hatte. Massu reitet zum Schluss auf Wolfsmutter in den Endkampf, vor dem Hintergrund einer großen Schlacht. Massenszenen sind ja schwer zu zeichnen und das war eine gewaltige Schlacht mit zwei Heeren, von denen das eine aus Geistern und das andere aus all den Völkern bestand, denen Massu im Verlauf der Geschichte begegnet war.

Sarah: (grinst) Du hättest es machen sollen wie in der ersten Staffel von Game of Thrones. Da ist Tyrion ja auch eine ganze Schlacht über bewusstlos.

Ines: (schmunzelt) Ich wollte schon zeigen, dass sie das sieht, um ihre Lektion daraus zu ziehen, dass Krieg nicht schön ist. Die andere Szene, auf die mich gefreut habe, war der absolute Tiefpunkt der Geschichte. Da sagt Wolfsmutter, die Massu den Großteil der Handlung begleitet hat, sehr brutal, dass die Rettung des Vaters nicht klappen wird. Wolfsmutter sagt ganz offen, dass sie nur zum Sterben gekommen ist und Massu bricht zusammen, da sie jetzt die Realität einholt und sie die Aussichtslosigkeit ihres Ziels bis dahin immer nach hinten geschoben hat. Es ist der emotionalste Moment im Buch und ich freue mich auch, wenn die Leser mir sagen, wie sehr sie diese Szene mitgenommen hat.

Mir fällt auf, dass ihr euch beide nicht auf die gewalttätigen Inhalte konzentriert. Darauf greifen heute ja viele zurück.

Ines: Ich wollte das auch zeichnen, dass Gewalt keine Lösung ist. Vielleicht ist das schon wieder altertümlich, was ich zeige …

Sarah: Nee, finde ich nicht. Wir sehen, dass ein Trend sich lange durchzieht und nach all dem Blut und dem Sex, habe ich das Gefühl, dass das immer inflationärer wird und es langsam zurückgeht.

Ines: Das ist auch nicht, was ich erzählen wollte. Ich wollte eine klassische Geschichte erzählen, die man als Heranwachsender und Erwachsener immer noch schön finden kann. Es geht um Mut und Freundschaft, Themen, die einen immer noch begeistern.

Sarah: Sowas wie bei Michael Ende halt. Der hat es ja auch geschafft, so zeitlose Geschichten wie Momo zu schreiben. Dem hat man auch immer Eskapismus vorgeworfen. Aber dann gibt es da die Grauen Herren, die man erst später versteht und du merkst, dass es um mehr geht. Es gibt so viele Themen, die ohne Splatterorgien auskommen. Ich meine, ich mag meine Splatterorgien, aber Themen wie Freundschaft und Fantasie begeistern mich ja immer noch, auch als Erwachsene.

Ines: Lustigerweise sind das vor allem die Erwachsenen, die Massu jetzt kaufen.

Vielen Dank für das Interview, ihr beiden!

Die nebenberuflichen Abenteuer von Nerdgirl #1
Edition Kwimbi, 2018
Text & Zeichnungen: Sarah Burrini; Farben: Ines Korth
28 Seiten, farbig, Heft
Preis 4,99 Euro
ISBN: 978-3-947-698-00-4

Massu Schmiedstochter
Schwarzer Turm, 2018
Text und Zeichnungen: Ines Korth
200 Seiten, farbig, Softcover
Preis: 22 Euro
ISBN: 978-3934167889

1 Butterblume ist eine der Hauptfiguren aus Sarahs Webcomic Das Leben ist kein Ponyhof. Ein süßes Pony, das es faustdick hinter den Ohren hat und dass es tatsächlich auch als Plüschtier gibt.

2 Wesen aus der griechischen Mythologie, halb Mensch, halb Pferd.

Schreibe einen Kommentar

Mit dem Abschicken dieses Formulars erklärst du dich mit unserer Datenschutzerklärung einverstanden.