Währenddessen blickt heute tief in die Vergangenheit. Christian überlegt, was die ersten Sigurd-Hefte ihm heute noch sagen können, Niklas vergräbt sich in Sleeper.
Christian: Vor mir liegen die ersten zwanzig Sigurd–Streifenhefte von 1953. Ich habe mich sehr darauf gefreut, sie mal wieder zu lesen: Schnelles Lesefutter kurz vom ins Bett gehen, wenn man nichts schwieriges mehr lesen mag und lieber Nahrung für gute Träume anlegt.
Es ging erstaunlich zäh. Die ersten Hefte haben durchaus Schwung, am Anfang wirken die Zeichnungen sogar sehr inspiriert, bis leider viel zu bald schon Routine eintritt und die ewig gleichen Fels- und Burglandschaften vorkommen. Auch die Story macht zunächst Spaß: Erst ein Kampf auf Leben und Tod zwischen den Junkern Sigurd und Bodo, der in ewiger Männerfreundschaft und Treue bis in alle Ewigkeit endet, dann eine Fehde unter Rittern, dann Gefangenschaft bei Räubern, wo Sigurd lebendig von Adlern verspeist werden soll, ein Schicksal, dem er sich zuletzt durch Sprung in einen Baumwipfel entzieht.
Nächstes Abenteuer: Eine Schatzsuche. Erst wollen zwei Banditen den Helden die Schatzkarte klauen, in einer Mühle wird gekämpft. Dann wird die Gegend immer unwirtlicher, Vulkane und Lavaseen machen die Reise beschwerlich, ein Bergvolk will die Helden opfern, eine Riesenspinne ist im Weg. Der Weg zum Schatz führt über eine Brücke, die beim Überqueren dann auch einstürzt und der Schatzsee, in dem sowohl der Schatz als auch Sigurds zukünftiges Zauberschwert liegen, wird von einem Seeungeheuer bewacht. Als dann der Schatz geborgen wird, stürzt Sigurd zuletzt einen Wasserfall hinunter und wird durch einen Strudel in eine völlig neue Landschaft gezogen, wo er sogleich auf ein brennendes Dorf stößt, das von plündernden Wikingern angezündet worden ist. Er befreit, den Jungen Cassim aus einem brennenden Haus und muss sich sogleich wieder neuen Gefahren stellen.
Solche Hopplahopp-Szenarien habe ich mir als Fünfjähriger ausgedacht. 1953 war das für die Achtjährigen sicher genau das richtige Lesefutter, als erwachsener Leser 2021 fällt es mir zunehmend schwer, bei so simplen Stories bei der Stange zu bleiben, denn es hört ja nie auf, sondern geht immer so weiter.
Man möge nicht schlecht von mir denken, aber die wenigen Szenen, die mich wachrütteln, sind die unerhörten Grausamkeiten, die hier und da passieren, die wenig später dank Jugendschutz leider nicht mehr gestattet waren: Ein Mühlrad zermalmt einen Räuber (Heft 5 – Gaspards Verrat), Sigurd wird seitenlang ausgepeitscht (Heft 11 – Hongo der Teufel), ein Verräter wird von Räubern auf ein Rad gebunden, dann das Rad in Brand gesetzt und in einen Abgrund gerollt (Heft 14 – Grausame Rache). So kleine Höhepunkte halten mich dann doch bisweilen wach.
Natürlich lese ich die Heftchen trotzdem mit großem Wohlwollen und weiß ja auch, dass später noch vieles passieren wird, das Spaß macht. Ich weiß aber auch, wie lang der Anstieg sein wird, bevor es so weit ist. Ich werde mir viel Zeit lassen. Aber ich werde es durchsteigen.
Niklas:
Die Bände 3 und 4 der Comicreihe Sleeper, „Die Gretchenfrage“ und „Das Lange Erwachen“, erzählen eine durchgehende Geschichte, also arbeite ich sie beide in einen Rutsch ab. Holden Carvers Mentor, der Regierungsbeamte Lynch, ist aus dem Koma wieder erwacht und möchte seinen Kampf gegen den Superschurken Tao fortsetzen. Die Spitzenposition seines ehemaligen Schülers kommt ihm recht, da er so glaubt, seinen Erzfeind dort zu haben wo er ihn haben möchte. Aber Tao ist Lynch auch dieses Mal einen Schritt voraus und hat Lynchs Pläne bereits in zukünftigen Intrigen berücksichtigt. Holden steht gefühlt wieder am Anfang, aber er hat sich in den letzten Jahren verändert. Auch er schmiedet jetzt eigene Pläne, um sich von den beiden Männern zu befreien, die glauben, sein Leben zu kontrolliere. Fragt sich nur, ob er es überleben wird. Oder möchte.
Die Wiedereinführung der Figur Lynch gab Sleeper eine neue Richtung und erzeugte frische Dynamiken. Denn auch wenn der Einäugige mit den Psikräften angeblich auf der Seite von Recht und Ordnung steht, erweist er sich in fast allen Bereichen als genauso großer Manipulator. Wo sich das Verbrechergenie aber immer freundlich und höflich gibt, macht Lynch keinen Hehl daraus, was er für ein Schweinehund ist. Ironischerweise zeigte aber gerade dieser Meistermanipulator hier und da aber auch echte Besorgnis um andere Leute, wenn er zum Beispiel erfolglos versucht, einen Köder vor Taos Handlangern zu retten. Für ihn mag der Zweck vielleicht die Mittel heiligen, wenn er zum Beispiel korrupte Agenten auf Holden ansetzt und hofft, dass sie beseitigt werden, aber er sieht sich immer als einen Guten. Das macht ihn zu einem interessanten Unsympathen und das Heft, indem auf die Vergangenheit zwischen ihm und Tao eingegangen wird, ist vielleicht sogar mein Liebstes in der ganzen Serie. Ansonsten bringt die Reihe ihre Themen und Handlungsstränge ordentlich zu Ende. Viele fanden das Ende ja zu simpel, aber ich fand es passend, da hier zwei Genies aufeinander treffen die so voneinander besessen sind, dass sie den eigenen Willen ihrer Schachfiguren vergessen. Ein altes Motiv, in dem ein Körnchen Wahrheit versteckt ist.
Ed Brubakers Schreibe bleibt also gut, auch wenn er einen recht plumpen Witz bringt, der sehr schlecht gealtert ist. Ich weiß jedenfalls nicht, ob die Welt auf eine Parodie von Peter Parkers Originstory mit einer Extradosis Homophobie gewartet hat. Sean Phillips Zeichnungen bleiben dagegen unangefochten klasse. Gerade eine Szene, in der Taos seinen Sadismus verdeutlicht, indem er einige extravagante Grimassen schneidet, bleiben mir immer positiv im Gedächtnis.
Ich frage mich aber immer, was mit der Farbgebung schiefgelaufen ist. Die Koloristen sind dieselben geblieben, aber irgendwie wirkt alles künstlicher. Sah alles in Band 1 und 2 noch wie gemalt aus, erinnert mich das Aussehen der meisten Figuren in Band 3 und 4 an unfertige Knetfiguren. Wenn dann aber in einer Nachtszene die Lichter einer Großstadt hervorgehoben werden, zeigen die Koloristen wieder, dass sie es können.
Es gibt also einiges zu mosern, aber trotzdem bleibt Sleeper einer meiner ewigen Favoriten. Zu schade, dass die Serie zumindest in Deutschland ein Schläferhit geblieben ist.