Prometheus – der dümmste Film aller Zeiten? No way: Der Film ist atemberaubend!
Christian: Ridley Scotts Prometheus ist ein Alien-Prequel, das es dem Publikum nicht leicht macht. Die Kritiken waren gut, die Einspielergebnisse konnten sich sehen lassen, trotzdem sind die Alien-Fans sehr gespalten gegenüber dem Film. Manche Zuschauer – darunter prominente Stimmen – halten ihn gar für den dümmsten Film, den sie je gesehen haben.
Kritische Aspekte des Films:
- Es wird die so abgegriffene wie pseudowissenschaftliche Erich-von-Däniken-Theorie von Göttern aus dem All aufgegriffen. Aliens (nicht die xenomorphen) haben – global verteilt – in Höhlenmalereien Signaturen hinterlassen, die auf deren Herkunft in einem ganz bestimmten Sternensystem hingewiesen, welches im 21. Jahrhundert entdeckt wird. Nun will eine von Weyland finanzierte Expedition hinfliegen zur Kontaktaufnahme.
- Die Heldin Elizabeth ist gläubige Christin und tritt die Reise ins All an, um die Götter zu treffen. Sie will nicht weniger als den Beweis, dass es Gott gibt.
- Der Film baut die Analogie auf, dass der Mensch zu den Göttern aus dem All in einem ähnlichen Verhältnis steht wie Androiden gegenüber den Menschen. Dies Götter werden im Film als „Konstrukteure“ bzw. „Engineers“ bezeichnet.
- In Alien (1979) gehen die Raumfahrenden in die Falle wie Fliegen, die sich in einem Spinnennetz verfangen. In Prometheus wird ein großer metaphysischer, esoterischer Überbau nachgereicht, am Ende geht aber doch nur wieder eine Raumschiffcrew in eine ähnliche Fliegenfalle.
- Ist das alles nur viel aufgeblasenes, esoterisches, metaphysisches, prätentiöses Gedöns?
Es hat etwas von Lovecraft, dass die Frage nach Gott in Prometheus ins Leere läuft und die Antwort den Menschen nicht den erhofften Trost spendet. Das wird den Skeptikern und den beinharten Atheisten unter den Alien-Fans kaum ausreichen, wenn sie bereits von der esoterisch-unwissenschaftlichen Grundprämisse des Films genervt sind. Sowas soll Hard Science Fiction sein? Und das soll der zukünftige erzählerische Rahmen für den großartigen Alien von 1979 sein? Im Weltall von Prometheus findet sich jedenfalls nichts gütiges oder sinnstiftendes, lediglich die kalten Engineers, die nun auch noch beschlossen haben, ihre Schöpfung mittels biologischer Massenvernichtungswaffen zu vernichten.
Aber die Reaktion der von Noomi Rapace gespielten Elizabeth auf diese Erkenntnis ist stimmig. Elizabeth hält trotz aller Ernüchterung durch die auf LV-223 gesammelten Erkenntnisse weiter an ihrer Überzeugung fest, dass im Weltall die Antworten für ihre Suche zu finden sein müssen und beschließt, weiter dem Ursprung der Engineers (und damit dem Ursprung des Lebens) entgegenzufliegen. Sie ist für mich nicht weniger als eine Symbolfigur für das menschliche Streben überhaupt: eine Frau, die alles analysiert, zerlegt, noch weiter in die Tiefenstruktur eintaucht und einfach trotzig immer weiter forscht, weil die von ihr gestellte Frage das einfach einfordert. Sie steht damit exemplarisch für die Synthese aus Glauben und Wissenschaft, in meinen Augen einer der Grundbausteine für Zivilisation überhaupt. Das grenzt sie deutlich von ihren fundamentalistischen Glaubensbrüdern ab. Es rührt einen, dass sie dennoch so felsenfest an ihrer Hoffnung auf Gott festhält, aber für Menschen wie Elizabeth steckt Gott immer gerade in den Lücken, die noch nicht bewiesen sind. Diese werden einerseits immer kleiner, andererseits gibt es zunehmend mehr davon. Das wird nie enden.
Und je länger ich diesen Film sehe, desto klarer wird mir, dass es Ridley Scott in Prometheus gar nicht so sehr um Worldbuilding geht. Er greift das alte Thema mit einem Abstand von fast 35 Jahren noch einmal auf, will aber jetzt völlig neue Dinge erzählen, völlig neue Akzente setzen. Es geht um das Spannungsfeld zwischen dem menschlichen Bedürfnis, etwas zu bedeuten, und der objektiven Tatsache, dass der Mensch unbedeutend im großen All ist. Aber ich will nicht immer nur mit Lovecrafts kosmischem Horror argumentieren: Ridley Scott gelingt es meisterhaft, eine Ambivalenz zu etablieren, die die gläubige Perspektive einerseits fast schon – vermutlich intuitiv – dekonstruiert, aber dennoch ernst nimmt. Wo, wenn nicht im unendlichen All sind solche Fragestellungen angemessen? Ridley Scott liefert aber keine Antworten.
Visuell ist der Film wie ein wahrgewordener Traum für Fans des alten Schwermetall-Magazins. Zwar ist Hansruedi Gigers Werk nur noch in übersichtlichen Spuren enthalten, dafür dominiert hier die visuelle Wucht, die an Künstler wie Juan Gimenez (Kaste der Meta-Barone) oder Paolo Serpieri (Druuna) denken lässt. Die Seestern-Tentakel-Sequenz gegen Ende ist hier beispielhaft. Sie ist atemberaubend. Erzählerisch wie visuell halte ich Prometheus für Ridley Scotts aufregendste Arbeit des neuen Jahrtausends. Auch wenn ich die Fortsetzung Covenant beinahe ebenso schätze: Prometheus steht auf ganz eigenen Füßen. Das offene Ende hat viel Kraft.