In der Kolumne „Währenddessen …“ zeigt die Comicgate-Redaktion, was sie sich diese Woche so zu Gemüte geführt hat.
Thomas: Animationsfilme werden in Deutschland ja immer noch fast ausschließlich als Kinder- bzw. Familienfilme wahrgenommen. Was nicht in die Schemata der höchst erfolgreichen Mainstream-Trickfilme passt, hat es an der Kinokasse schwer oder wird erst gar nicht im Kino gezeigt. Es kann daher schon als Glücksfall gelten, dass dem Zeichentrickfilm Die rote Schildkröte (La Tortue Rouge) von Michael Dudok de Wit im Frühjahr zumindest ein kleiner Kinostart in Deutschland vergönnt war. Inzwischen ist auch die Heimkinofassung (DVD, BluRay, Download) des Films auf den Markt, der von der Kritik vielfach gefeiert und mit einigen Preisen ausgezeichnet wurde.
Der Film ist die erste Koproduktion des japanischen Ghibli-Studios mit europäischen Filmemachern. Das passt, denn der typische Vibe, den viele Ghibli-Filme haben, ist auch hier zu spüren: Im Mittelpunkt steht die enge Verbindung von Mensch und Natur. Doch anders als die Filme von Miyazaki und Co., die meist spannende Abenteuergeschichten erzählen, beschränkt sich Dudok de Wit auf einen sehr minimalistischen Plot, der auf die Robinson-Thematik zurückgreift. Ein Mann strandet allein auf einer einsamen Insel, versucht von dort wegzukommen, scheitert und arrangiert sich nach und nach mit den Gegebenheiten. Wichtiger als die Story aber ist hier die Atmosphäre, die der Film erzeugt. Die rote Schildkröte lebt von einer poetischen, fast meditativen Stimmung, die von wunderschön gezeichneten Szenerien geprägt ist und noch dadurch verstärkt wird, dass im ganzen Film kein Wort gesprochen wird. Der Film widerspricht unseren normalen Sehgewohnheiten und mag auf den ersten Blick etwas anstrengend oder auch langweilig wirken. Wenn man sich aber auf ihn einlässt, kann man in ihm schwelgen und versinken wie in einem großen Bildband oder einem musikalischen Epos und bekommt ein angenehm leises Trickfilm-Märchen, das mit dem so banalen Adjektiv „schön“ eigentlich am besten beschrieben ist.
Daniel: The Lobster hat mich umgehauen. Was für ein Erlebnis. Ein bisschen wie ein Wes-Anderson-Film, aber ohne den nervigen Klamauk. The Lobster erzählt die Geschichte eines Mannes (Collin Farrell), dessen Frau Schluss mit ihm gemacht hat. Er muss umziehen, in ein Hotel, bis er sich nach 45 Tagen in einen Hummer verwandelt wird. Denn die Gesellschaft duldet keine Singles. Wem es nicht gelingt, in diesem Zeitraum einen neuen Partner zu finden, wird in ein Tier seiner Wahl verwandelt. Wer flieht, wird von den Hotelgästen mit Betäubungsgewehren gejagt. Für jeden Abschuss dürfen sie einen Tag länger Mensch bleiben. Nun ließe sich der Film schnell als dystopische Analogie auf unsere Gesellschaft lesen. Ja, die böse Gesellschaft. Sie schreibt uns vor, dass wir nur als Pärchen überleben und glücklich sein können. Die Gesellschaft ist Schuld. Nieder mit der Gesellschaft!
Nur gibt Regisseur und Autor Yorgos Lanthimos in The Lobster nicht der Gesellschaft die Schuld. Er gibt niemandem Schuld. Stattdessen lässt er uns zuschauen. Er zeigt uns, wie kühl seine Figuren flirten, wie nüchtern sie Sex haben. Selbst die Liebe wird zu einem simplen Faktum, das auf Ähnlichkeiten basiert. Ihr lispelt beide? Ihr seid wie für einander geschaffen. Wer würde nicht sofort mit dem Lispeln anfangen, um dem Dasein als Pony zu entrinnen? The Lobster ist kein Arthouse-Film, er ist nicht verkünstelt, sondern trägt seine Handlung sehr direkt vor. Der Film ist aber auch keine Komödie. The Lobster ist der ungewöhnlichste Film des vergangenen Jahres ansehen. Er ist schonungslos aber schön. Weil er uns Menschen als hilfslose Wesen präsentiert, die irgendwie versuchen, das große Ganze zu verstehen. Sei es die Liebe oder das Leben.
Christian: Mit der Musik von Hawkwind groß geworden zu sein, gibt einem eine Ahnung von Unendlichkeit. Das liegt einerseits natürlich daran, dass Hawkwind immer wieder versuchen, die Kälte des Weltalls in Musiknoten zu bannen, aber auch daran, dass Dave Brock mit seinen Spacerockern schon da war, als ich noch gar nicht auf der Welt war. Gut, das könnte man über die Rolling Stones auch sagen, aber im Gegensatz zu den Stones sind Hawkwind immer Underground geblieben; das sind immer noch Jungs wie wir. Auch Hawkwind haben einen Promi hervorgebracht, der hieß Lemmy Kilmister, aber den haben sie rausgeworfen, weil sein Speed-Konsum inkompatibel war mit den Soft Drugs seiner psychedelischen Kollegen. (Wenn der eine wach war, schliefen die andern und andersrum – oder so). Hawkwind selbst sind nie richtig groß geworden, und wenn es von ihnen ein bekanntes Stück gibt, dann ist das „Silver Machine“, ein mächtig stumpfer Rumpler, bei dem man sich schon die Frage stellt, was daran besonders sein soll – selbst wenn’s der Lemmy ist, der da den Text runternölt. Aber das Gerumpel war immer nur die eine Seite der Medaille. Auf der anderen Seite waren Großtaten wie „Space is deep“, „The Psychdelic Warlords“, „D-Rider“, „Seven by Seven“ oder „Master of the Universe“ (letzteres vor einiger Zeit mal verwendet in einem Werbespot, weiß nicht mehr für was). Und später, in der Post-Lemmy Ära, als die Musik poppiger wurde, wurden sie fast noch besser mit Liedern wie „High Rise“, „Levitation“, „Who’s gonna win the War“ oder „Motorway City“.
Ich hab nicht schlecht geguckt, als ich kürzlich im Geschäft über die neue Hawkwind stolperte. Kurz rein gehört wurde schnell klar, dass Mastermind Dave Brock immer noch interessant ist (seit einiger Zeit spielt er auch auf dem Theremin). Wie derzeit auch Black Sabbath besinnt man sich auf die Wurzeln und klingt sehr nach der frühen Space-Ära. Das Cover und die Lyrics vermitteln dabei eine Stimmung, die an die frühen Hellblazer-Comics von Jamie Delano erinnert, an damals in den 80ern, als John Constantine mit einer Gruppe Hippies, die keltische Steinkreise und Kraftplätze verehrten, durch die Gegend fuhr. Das ist natürlich furchtbar esoterisch, aber irgendwohin muss die Suche nach „Dem da Draußen“ ja weitergehen. An Raumschiffe mag in der Trump-Ära wohl keiner mehr glauben, und die Reise nach Innen war für die alten Psychedeliker ja schon immer die eigentliche Richtung, oder? Bedenkt man, dass sich die Haltung von Hawkwind in vielen Werken von Jamie Delano wiedergespiegelt wird (Ghost Dancing, Animal Man, Hellblazer), die Gruppe immer ein Hauch von 2000 AD umwehte und Dave Brock schon immer ein Faible für Typen wie J.G. Ballard und Michael Moorcock hatte (letzterer hat mit Hawkwind auch immer wieder zusammengearbeitet), kann man schon sagen, „very british“, diese Typen.
Als Einstieg für Neulinge empfehle ich das großartige Box-Set Epoche „Eclipse: 30 Years of Hawkwind“, danach den Live Mitschnitt „Welcome to the future“, schon weil man darauf die beste Version von „High Rise“ findet. Danach aber muss jeder Astronaut die Reise alleine fortsetzen.
Was habt ihr diese Woche gekauft, gesehen, gelesen, gespielt? Postet eure Bilder, Geschichten und Links einfach in die Kommentare.
1 Kommentare