In der Kolumne „Währenddessen …“ zeigt die Comicgate-Redaktion, was sie sich diese Woche so zu Gemüte geführt hat.
Christian: Irgendwann im angehenden neuen Jahrtausend, fast 20 Jahre her, klingelte mal ein Freund an meiner Haustür. Er schenkte mir eine Schallplatte, einfach so. Er wusste, dass ich auf der Suche danach war, nach diesen Dollar Hits, eine Scheibe, die er selbst ebenfalls besaß und von der ich bis dahin nur eine ausgelutschte Kassettenaufnahme hatte. Diese lief bei mir in Dauerrotation und war in meinem Autoradio ebenso unentbehrlich wie dem Big Lebowski sein Creedence-Tape. Dollar Hits war für alle, die mit mir zu tun hatten, ein gängiger Begriff. Ist er heute noch.
Erstaunlich, aber die 40-minütige Zusammenstellung von Filmkompositionen Ennio Morricones enthält mehr Juwelen als manche 3-CD-Box. Neben den obligatorischen Stücken aus The Good, the Bad and the Ugly (mit dem zugegeben unerreichten „The Ecstasy of Gold“) sind darauf nämlich vor allem Filme der B-Liste enthalten, die nicht unbedingt erste Wahl für den Gelegenheitshörer waren, darunter der recht unbekannte Von Mann zu Mann (faszinierend verschobene Melodie) und Navajo Joe, hier noch aufgeführt unter dem wunderschönen Titel „An seinen Stiefeln klebte Blut“ (Quentin Tarantino hat dessen herausragende Titelmelodie in seinem Kill Bill wieder in Erinnerung gebracht). Unglaublich gut auch die vier Stücke aus Der Gehetzte der Sierra Madre: Neben dem von Schlagersängerin Christie gesungenen „Run Man Run“ überzeugen die zusätzlichen Instrumentalstücke, die auf fast keinem der gängigen Compilations zu finden ist, fast noch mehr. Die Geräuschcollagen in den Stücken „Second Desert“ und „The Big Gundown“ sind fast schon aberwitzig und müssen unbedingt laut gespielt werden.
Ich mochte Morricones Soundtracks für die Sergio-Leone-Filme natürlich schon immer. Ich verdanke es aber vor allem der Dollar Hits-Scheibe, dass ich mich auf die Jagd nach weiteren Filmen machte, die Morricone-Soundtracks hatten. Ich musste die Filme einfach kennenlernen, zu denen solche Klangbilder ausgedacht worden sind. Bald kam ich dahinter, dass auch die Nicht-Western ein interessantes Feld waren, bald sogar interessanter, da völlig offen und mit dem Versprechen auf immer neue Entdeckungen. Mal schaltete ich Sat 1 ein und sah einen seltsamen Horrorfilm mit Franco Nero, Das verfluchte Haus, der einen Morricone-Soundtrack hatte, dann fand ich heraus, dass der Maestro auch mit den Horror-Titanen Lucio Fulci und Dario Argento zusammengearbeitet hat. Gerade Fulci hatte ich bis dato für einen Dilettanten gehalten, der irgendwelche hirnrissige Gore-Streifen für Perverse gedreht hat. Als ich feststellte, dass mein Musikidol mit diesen Menschen zusammenarbeitete, fing ich an, genauer hinzusehen und auch hier tat sich mir eine neue Welt auf.
Es gibt keinen anderen Filmkomponisten, der mich nur annähernd so fasziniert wie Morricone. John Williams mag ebenso ein genialer Komponist sein, aber dessen Symphonien sind mir viel zu groß, pompös und schwer. Jerry Goldsmith ist von den ultraberühmten Komponisten der einzige, dessen Arbeiten ich auch ohne die Filme anhören mag. Aber einzig Morricone eröffnet mir neue Erfahrungswelten. Er macht mich zum Suchenden nach immer neuen Raritäten. Zum Glück gab es immer wieder Compilations abseits der üblichen Verdächtigen, beispielsweise die Reihe Mondo Morricone, die Song-Zusammenstellungen der Reihe Canto Morricone von dem Label Bear Family (Vol. 1 und 2 sind essentiell) oder die völlig abgedrehte 2-CD Crime and Dissonance, zusammengestellt von keinem geringeren als Mike Patton (Faith No More), der vor Jahren ja auch mal den von Morricone komponierten Titelsong des Mario-Bava-Films Diabolik neu aufgenommen hat.
Jetzt ist Ennio Morricone von uns gegangen. Ein echter „Extraordinary Gentleman“ und einer der wenigen Künstler, über die ich ein Spontan-Referat von mehr als einer halben Stunde halten könnte. Ein guter Anlass, das Internet mal wieder nach vergessenen Filmen zu durchforsten – einzig der Musik wegen of course.
Niklas: Monatelang habe ich versucht, eine Rezension zu The League Of Extraordinary Gentlemen: The Tempest zu schreiben. Deswegen habe ich die Serie letztes Jahr auch im Detail noch einmal vorgestellt (hier). Jetzt habe ich The Tempest noch einmal gelesen und mir kam der Gedanke, dass ich alles schon gesagt habe, was es zu sagen gab. Dasselbe gilt auch für Moore und O‘Neill. Im Band 2009 hauten sie raus, was sie von der modernen Fiktion halten und treten jetzt nur noch einmal nach. The Tempest ist kein Kommentar über die moderne Fiktion (Alles doof), sondern allerhöchstens ein gehässiger Blick auf die Comiclandschaft im Allgemeinen. Wo es vorher Agenten-, Sportcomics und andere Genres gab, sind nur noch Superhelden. Die Amerikaner dominieren alles und alle Versuche der Briten, dem etwas entgegenzusetzen, wurden unterbunden, so Moore. Das ist nicht einmal ein Problem der Neuzeit, wie der Comic anhand einer satirischen Bonusgeschichte zeigt, in der Großbritanniens Helden an der eigenen Inkompetenz und der Macht der Konzerne scheitern. Es war schon immer alles blöd und das Medium ist Mist. Alles Schund, alles blöd.
The Tempest liest sich müde. Die Handlung wird zwar solide aufgebaut und es gibt erneut ein paar nette Spielereien mit dem Format, aber die ganze Zeit habe ich das Gefühl, dass es endlich enden möchte. Selbst die eingewobene Apokalypse, Moores liebste Art von Geschichte, wirkt halbherzig und gehässig, wenn eine Figur letztendlich dafür bestraft wird, Gutes tun zu wollen. Besonders arrogant an diesem Punkt ist auch, dass man die Geschichte nicht mal mehr verstehen kann, wenn man die Prosatexte in Century, die auch nur eine Beigabe waren, nicht gelesen hat. Moore als Künstler ist vielleicht an den Punkt angekommen, an dem er nichts mehr beizutragen hat. Sein Medium waren die Comics, vor allem die Superheldencomics und jetzt muss er sich damit abfinden, dass er nicht mehr relevant ist. Das er vielleicht nie relevant war, nie die gewünschten Veränderungen bewirkte und seine Kunst auch nur der weitere Auswurf einer Industrie war, die sich letztendlich nur für Verkaufszahlen interessiert.
The Tempest ist kein kritischer Kommentar über die gesamte Industrie, sondern der zornige Nachtritt eines Mannes, der nicht mehr die Kraft besitzt wie auf seinem Zenit. Ein Rebell, dessen Rebellion impotent war, der jetzt dem Rest der Welt die Schuld am eigenen Scheitern gibt und dabei alle mitreißen möchte. Denn andere haben ihn inzwischen vergessen und vielleicht sogar übertrumpft, wenn ich mir intelligente Serien wie Carla Speed McNeils Finder oder Dylan Meconis Family Man anschaue. Das sind Comics, die ähnlich harte Themen behandeln, es aber wesentlich intelligenter tun und das außerhalb des Mainstreams. Derselbe Mainstream, den Moore so hasst, aber in dem er am ehesten aufblühte. Kunst soll aus meiner Sicht auch Anregungen dafür geben, wie man am besten leben und wie man mit genug Würde von der Bühne treten kann. The Tempest zeigt, wie man es nicht machen sollte.
Was habt ihr diese Woche gekauft, gesehen, gelesen, gespielt? Postet eure Bilder, Geschichten und Links einfach in die Kommentare.