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Währenddessen… (KW 22)

Währenddessen im Schatten der Ärzte …

Christian: Es ist wirklich leicht, sich heute hinzustellen und Manaras Klick! als misogynen Schund hinzustellen. Manara war damals bereits über 35 Jahre alt, man könnte von einem Mann in diesem Alter besseren Geschmack erwarten usw. usf. – aber Hand aufs Herz: Sind wir mit dem Ärzten auch so streng – also mit Farin, Bela und The Incredible Hagen, bzw. bis 1986 noch Sahnie? (Rod ist erst seit 1993 dabei.)

Die in den 80ern meistindizierte Band genießt sicher einen besser gelittenen Status als jener italienische Pornograf mit seinem sexistischen Schmuddelzeugs, dabei hatten die jungen Ärzte ihrerseits ebenso ihren Manara verinnerlicht, für gut befunden und der hübschen Claudia aus Klick! gleich auch noch ein Lied gewidmet – denn die Urszene vom Mädchen Claudia, die’s so nötig hat, dass sie es mit einem Schäferhund macht, stammt doch eindeutig aus Klick! Aber einem rotzigen Schlager von der besten Band der Welt verzeiht man gerne, was man einem Manara dann doch eher noch um die Ohren hauen würde. Musik verbindet halt doch noch mal ganz anders.

Sie heißt wirklich Claudia. © Splitter-Comics, Milo Manara

Letzte Woche bin ich mal wieder durch meine Sammlung gegangen und habe nach Dingen gesucht, die ich nicht mehr brauche, und da kam mir doch eine alte Mini-LP der Ärzte zwischen die Finger. Nur ein letztes Mal wollte ich sie mir doch noch mal anhören, …

… seitdem läuft sie bei mir in Dauerrotation. Die Ärzte spielten damals ja wirklich teils unerwartet derb-dreckigen Rockabilly. Auch ein Innencover ist mit dabei, in dem die Zensurgeschichte der Ärzte veranschaulicht wird, samt der legendären Formulierung der Bundesprüfstelle, dass im Lied über Claudia zwar auch auf die Gefahr des „Verharzens“ hingewiesen werde,

„ … dennoch wird der Gesamteindruck vermittelt, geschlechtliche Kontakte mit einem Schäferhund überträfen bei weitem heterosexuelle Befriedigung.“

Humor hatten sie halt auch bei der BpjS – ach, das war deren Ernst?

Ne, die alte LP gebe ich nicht her, die macht Spaß. Inzwischen ist sie ja auf Spotify zu finden, du kannst dir inzwischen völlig problemlos den „Schäferhund“ anhören und die Fortsetzung mit dem Pferd, mit dem „sie manchmal autofährt“ gibt’s obendrein. Mein Lieblingslied aber ist „Sweet Gwendolyne“, ebenfalls von einem verruchten Comic-Klassiker inspiriert. Der Künstler Schwarwel hat dazu seine legendäre Gwendolyne-Vignette kreiert, die lange eine Art Aushängeschild der Band war. Auch „Helmut K.“ ist auf der Platte, ein recht geschmackloses Liedchen über domestic violence im Hause Kohl, das ein paar denkwürdige Reime hat, z.B. „Er ist ein Mann, genau wie wir und tief in ihm, da steckt ein Tier“. Die Ärzte waren damals schon sehr, sehr dreckig.

Ein einziges Lied befindet sich immer noch unter Verschluss und wird nicht mehr öffentlich gehalten, fast wieder wie beim guten alten Manara, der auch eine einzige Sache nicht mehr in seinen Comics sehen will: die Sache mit dem Inzest und der Jugendsexualität. Dabei ist der perfide Text des Lieds durchaus so geschrieben, dass einem dank der Geschmacklosigkeit das Lachen eher im Halse stecken bleibt – und Farins leises, fieses Lachen in der Zeile „die Eltern die sind weggefahren“ ist wirklich genial vorgetragen, gefolgt von „auf die Gelegenheit warte ich seit 14 Jahren“, womit sogar auf die völlige Ausweglosigkeit hingewiesen wäre, wenn man es mit einem so fokussierten Täter zu tun hat. Psychologisch ist das plausibel. Fun Punk stell ich mir anders vor. Das geht deutlich tiefer und ist auf dem Niveau von Faith No Mores „Edge of the World“.

Ach Gott, eine kranke Welt, in der nur brave Schlager existieren würden, die alles übertünchen, wäre doch auch zum Kotzen. Apropos Übertünchen: auf den späteren Auflagen der indizierten dritten Ärzte-Scheibe findet sich eine Neuaufnahme der oben zitierten Verschlusssache mit dem neuen Titel „Frühjahrsputz“: wie Farin hier den geschmacklosen Text mit lustigen Reimen übermalt ist schon sehr, sehr lustig.

Szenenbild aus „Il buono, il brutto e il cattivo“: Auch il cattivo hat’s in die Textschmiede der Ärzte geschafft. Der ist zwar bei Sergio Leone kein Cowboy, aber Claudia ist bei den Ärzten ja auch nicht verheiratet, sondern lebt noch bei ihren Eltern.

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