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Währenddessen… (KW 19)

Währenddessen diese Woche über Rainer Werner Fassbinders Niklashauser Fart und Garth Ennis‘ Qualität als revolutionärer Autor.

Der Bauernkrieg von 1525 feiert heute sein 500. Jubiläum. Aber schon in den Jahrzehnten davor gab es kleinere Freiheitsbestrebungen im einfachen Volk, der „Bauernkrieg“ war nur der Höhepunkt dieser Entwicklung. 1476 rief der junge Viehhirte Hans Böhm nach einer Marienerscheinung zu einer Wallfahrt nach Niklashausen auf, Rainer Werner Fassbinders Film Niklashauser Fart von 1970 handelt davon. Fassbinder verarbeitet darin seine Eindrücke der 68er-Bewegung und setzt sie in Zusammenhang mit den historischen Ereignissen von 1476.

Als Hans Böhm zur Wallfahrt aufrief, versprach er seinen Anhängern Ablass von ihren Sündern, verkündete die „soziale Gleichheit der Menschen, Gemeineigentum und Gottes Strafgericht über die Eitelkeit und unersättliche Gier der Fürsten und hohen Geistlichkeit.“ (siehe Wikipedia) Das kann man frühkommunistisches Denken nennen und war von großer Anmaßung gegenüber der Obrigkeit. Fassbinder verknüpft Böhms Bewegung mit den 68ern und arbeitet stilistisch radikal die Gemeinsamkeiten heraus, indem er die Schauspieler teils in moderner Straßenkleidung, teils in historischer Kleidung spielen lässt. In der ersten Drehbuchfassung war der Film noch ganz in der Historie angesiedelt. Die Entscheidung gegen einen Kostümfilm fiel erst kurz vor Beginn der Dreharbeiten; Fassbinder und Fengler, sein Co-Autor, begründeten das in der Fernsehspiel-Broschüre des WDR:

„Wir wollen keinen historischen Film, sondern wir wollen zeigen, wie und warum eine Revolution scheitert. Dazu müssen wir jede historische Begrenzung, die uns dabei beengen würde, bewusst vernichten.“

Selbst bei den Szenen in Gewandung bewegt man sich auf Landstraßen, auf denen Autos fahren oder im Hintergrund Stromtrassen zu sehen sind. Aber die Verfremdungen gehen viel weiter: Die Schergen, die die Wallfahrer am Ende dahinmetzeln, sind amerikanische Militärpolizisten afroamerikanischer Herkunft, Hans Böhm wird mit zwei weiteren Angeklagten auf einem Autoschrottplatz verbrannt, danach bricht ein Guerillakrieg nach modernem Muster aus.

Interessanterweise erweist sich diese Künstlichkeit als Bereicherung für die Darstellung. Die Inszenierung ist eben nicht museal historisierend, stattdessen ist Hans Böhms Anliegen als zeitlos herausgearbeitet. Überlieferte Thesen sind nahezu bruchlos auf moderne Verhältnisse übertragbar, ebenso passen Thesen der 68er problemlos ins historische Setting – die Schranken der Geschichte fallen in sich zusammen, die menschliche Verfassung wird als seit je her unverändert sichtbar gemacht. Es bleibt kein Zweifel, dass damals im Spätmittelalter modernes Denken passierte. (Es gibt auch keinen Zweifel daran, dass heutzutage eine Menge mittelalterliches Denken passiert.)

Das Christentum wird im Film dialektisch reflektiert. Ein von Walter Sedlmayer gespielter Priester belehrt Hans Böhm:

„Trotzdem: Jeder revolutionäre Aufstand erzeugt neues Unrecht, bringt neue Störungen des Gleichgewichts mit sich, ruft neue Zerrüttungen hervor.“

Hans Böhm aber vertritt andere Standpunkte:

  • „Diejenigen, die heute die Macht haben, sind eine Minderheit wirtschaftlich Privilegierter. Diese Minderheit wird niemals Maßnahmen gegen ihre eigenen Interessen treffen. Deshalb muß die Mehrheit sich organisieren […] Alle Banken, Krankenhäuser, Kliniken und die Ausbeutung der Naturschätze des Landes werden verstaatlicht. Schulbesuch wird bis zum Abschluß der Oberschule oder der Berufsschule obligatorisch sein. Eltern, die die Schulpflicht ihrer Kinder vernachlässigen, werden bestraft. Folgende Vergehen werden als Verbrechen gegen die Gesellschaft angesehen werden: Wucher, Hortung, Spekulation, Kapitalflucht, Schmuggel, Verleumdung durch Presse, Rundfunk, Fernsehen und Film, Irreführung der öffentlichen Meinung durch falsche Nachrichten und unvollständige und tendenziöse Information.“
  • „Christus, mein Herr, hat gesagt: Ich bin nicht gekommen, um Frieden zu bringen, sondern das Schwert. Jeder Christ hat die Pflicht, ein Revolutionär zu sein. Jeder Revolutionär hat die Pflicht, die Revolution zu machen.“ (Eine Formulierung, der der Jesuitenpater Jörg Alt, der aus Gründen des Klimaprotests im Gefängnis ist, sicher einiges abgewinnen kann.)

Aber warum sind es schwarze Militärpolizisten, die Hans Böhm schlussendlich verhaften und die Wallfahrer in ihren Zelten massakrieren? Auch darauf liefert der Film in Form eines Monologs von Fassbinder-Schauspieler Günter Kaufmann, Aufschluss:

„Wenn eine Regierung durch eine lange Kette von Mißbräuchen und Rechtsbrüchen einen absoluten Despotismus hervorgebracht hat, dann ist es unser Recht, dann ist es unsere Pflicht, eine solche Regierung abzuwerfen. Überall haben junge Freiheitskämpfer damit begonnen den Widerstand zu organisieren. Die anderen, die den Faschismus hassen, können aber gezwungen oder verführt  werden, Anhänger des faschistischen Lagers oder Stoßtrupps der Pigs zu werden, es sei denn, sie entscheiden sich unverzüglich, die Brüder und Schwestern zu unterstützen, die den Kampf um die Gründung einer Volksarmee aufgenommen haben, die das Heer der Pigs schlagen wird.“

Es kann leicht passieren, dass man ins Heer der Mächtigen verführt wird.

Der Begriff „Pigs“ für Polizei stammt aus der amerikanischen Black Panther-Bewegung und fand bald im linksradikalen Milieu Verwendung. Er fällt im Film just zu dem Zeitpunkt, als die Bewegung gewaltsam gestoppt wird und der Weltbürgerkrieg ausbricht. Fassbinders Film ist aber kein Propagandafilm, sondern von großer Melancholie durchsetzt. Er zeigt auf, dass das idealistische Anliegen zwangsläufig in einen Strudel von Gewalt führt. Fassbinder stellt Fragen, manchmal betont naiv und blauäugig, liefert aber keine Antworten. Eine schöne Analyse dazu liefert Thomas Elsaesser in seinem bei Bertz erschienenen Fassbinder-Buch, wo es heißt, es werde „deutlich, dass Fassbinder nach einem Weg suchte, den Figuren ihre Menschenwürde anzuerkennen, sich aber trotzdem von der Stupidität ihrer Handlungen und Ziele distanzieren zu können, egal ob es sich dabei um offizielle oder oppositionelle, egoistische oder altruistische Ziele handelte.“

Das linke Milieu von damals mochte den Film nicht.

Niklashauser Fart, ist vor einiger Zeit auf DVD erschienen, aber nur noch zu Sammlerpreisen zu erwerben. Auf verschiedenen VOD-Plattformen ist er für vergleichsweise wenig Geld zu bekommen. Es lohnt sich, den Film neu zu entdecken.

Anmerkung zu Währenddessen… (KW 18)

Angesichts meiner Beschäftigung mit solchen Fragen, drängt sich mir der Wunsch auf, meinen Beitrag von KW 18 noch einmal unter einem klareren Licht zu betrachten, genauer: den Satz “What has our royal family ever done except feed off the blood of the people?”, den Sir Marston zu John Constantine sagt.

Letzte Woche, am 25.04.2025, hat sich Virginia Giuffre, eine der wichtigsten Zeuginnen des Epstein-Skandals, suizidiert. Sie war es, die als minderjähriges Party-Girl von Jeffrey Epstein an Prinz Andrew weiter vermittelt wurde. Ich empfehle zu dem Thema den Podcast „Mord auf Ex“, in dem die beiden Podcast-Hosts ein sehr gründliches Bild von Virginia Giuffre liefern und erklären, wie es geschehen konnte, dass gerade sie, ein Missbrauchsopfer von Kind an, immer wieder aufs Neue in ein System von Menschenhandel und Zwangsprostitution geraten konnte. Das verleiht dem Satz aus „Royal Blood“ im Rückblick sehr viel Relevanz, denn die Epstein-Story legt doch nahe, dass die Armen lediglich als Ressource dienen und nach Bedarf manipuliert werden können. Garth Ennis hat solches immer wieder thematisiert, insbesondere in Punisher: The Slavers oder The Boys: Herogasm.

Man kann nur darüber staunen, wie beständig es Ennis gelingt, den Finger immer wieder auf die Wunde zu legen. Vor allem aber ist erstaunlich, wie viel Weitblick er 1992, da war er gerade 22, bereits hatte, als er ein System beschrieb, ähnlich dem, das 2019, im Zuge der Me-Too-Diskussion, offengelegt wurde. Es bleibt nur zu hoffen, dass Ennis irgendwann mal als einer der großen Autoren des frühen 21. Jahrhunderts in Erinnerung bleiben wird.

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