In der Kolumne „Währenddessen …“ zeigt die Comicgate-Redaktion, was sie sich diese Woche so zu Gemüte geführt hat.
Christian: „What’s your pleasure, sir?“
An Ostern habe ich zum ersten Mal seit mindestens 25 Jahren Clive Barkers Hellraiser wieder gesehen. Ich hatte die Filme gar nicht mehr so bewusst auf dem Schirm, bis mir kürzlich auf einer DVD-Börse die britische 4 DVD-Box von Anchor Bay ins Auge sprang. „Nur Englisch. 8 Euro“ , stand auf dem Preisaufkleber. Ich reib mir die Augen. So billig? Ich seh mir das Ding ungläubig an, sag dem Händler, dass ich prinzipiell Interesse hätte und dass die Filme ja sicher Untertitelfunktion hätten, woraufhin er meint, ja, aber nur auf Englisch. „Okay, ich geb’s dir für 6 Euro“, sagt er dann entschuldigend, was mir dann doch keine Wahl mehr ließ. That’s my pleasure, sir. Making Schnäppchen.
Der erste Hellraiser ist definitiv mehr ein Style- denn ein Content-Film. Ein Toter namens Frank kehrt aus der Hölle zurück, von seinem guten Aussehen ist ihm allerdings nicht viel geblieben, er ist kaum mehr als ein Bündel Knochen. Also fordert er seine ehemalige Geliebte Julia eindringlich dazu auf, ihm Menschen zukommen zu lassen, die er aussaugen kann, um sich nach und nach zu komplettieren. Der erste Mensch, den er aussaugt, gibt ihm Kraft, der nächste Fleisch; vom letzten, den er zu kriegen bekommt, erhält er Haut – und fast wäre alles nach Plan gelaufen, doch dann kommt die Stieftochter Kirstie dem unheimlichen Treiben auf die Schliche und schickt den Fiesling wieder in die Hölle zurück, wo er herkam. Eigentlich ein Plot by the numbers, aber die Details machen den Film so schön.
Der Zurückgekehrte war zu Lebzeiten ein charismatischer Kleinkrimineller auf der Suche nach sadomasochistischen Grenzerfahrungen. Erst korrumpierte er – in Rückblenden zu sehen – Kirsties Stiefmutter, dann kaufte er sich bei einem dubiosen chinesischen Händler einen Würfel, mit dem man das Tor zur Hölle öffnen und die sadistischen Zenobiten herbeirufen kann – „angels to some, demons to others“. Die zerren ihn mit scharfen Haken zunächst in die Hölle und bieten ihm dort etwas mehr Grenzerfahrung, als ihm lieb ist, weshalb er aus deren Foltergarten gerne wieder rausmöchte – was ja auch beinahe gelingt, bis ihm die kreuzbrave Steiftochter dann doch noch rechtzeitig ein Bein stellt.
Der Film überzeugt wegen seiner klar umrissenen Figuren: Der durchtriebene Narr Frank, der leichtfertig die Tür zur Hölle öffnet, die ihm hörige Stiefmutter, die sich mehr noch als ihr Freund willentlich zum Bösen entscheidet und die unschuldige Kirstie, die viel zu liebenswert für so einen blutigen Film wirkt und gerade deswegen eine gute Identifikationsfigur abgibt. Und natürlich wird der Film auch durch die Zenobiten getragen, die Gatekeeper der Hölle, die nur kommen, wenn man sie ruft. Sie haben die besten Sprüche – „We have such sights to show you“ – sind aber gottlob ohne jede Ironie in Szene gesetzt.
Clive Barker erspart uns einen theologischen Überbau. Seine Hölle ist nicht hierarchisch dem Himmel untergeordnet, sondern existiert im lovecraftschen Sinne eher parallel zur Welt. Barkers Hölle ist die Materialisierung von perverser Lust und repräsentiert damit einen Teil der menschlichen Psyche. Das macht vor allem den zweiten Teil psychologisch reizvoll, in dem die Figuren tatsächlich die Hälfte des Films in einem Escherschen Höllenlabyrinth umherirren, bei dem man nie sicher sein kann, ob es nicht viel eher der Kopf eines Wahnsinnigen ist.
Die Filme sind tatsächlich sehr blutig, aber seit geraumer Zeit vom Index gestrichen. Zum Glück, denn die Hellraiser-Filme zählen zu den originellsten und ernsthaftesten Genrebeiträgen der 80er Jahre. Obwohl die Prämisse der Filme eindeutig sadomasochistisch ist, stehen sie Lichtjahre über den dumpfen Grausamkeiten der Saw-Filme. Verglichen mit den Torture Porn-Filmen der 2000er Jahre sind Clive Barkers Höllenfilme regelrecht sympathisch. Trotzdem seien Zartbesaitete gewarnt: Selbstverständlich sind die Hellraiser-Filme trotz ihrer Poesie ganz schön heftig.
Niklas: Wenn ich mich recht erinnere, habe ich 2005 bis 2006 nur drei Filme immer wieder geschaut. Blade Runner: Directors Cut war einer davon. Wer diese Version irgendwo noch finden kann, sollte sie sich zulegen, da der Final Cut nur ein paar Monologe in Szenen hinzufügt, die stumm besser funktionieren. Ansonsten hat sich nicht viel verändert und das ist auch gut so, denn Blade Runner gilt zurecht als einer der besten Filme aller Zeiten.
Aber warum eigentlich? Zeitlos ist der Film nicht, das sieht man an den riesigen Bildschirmen und der an Japan angelehnten Ästhetik, was halt sehr dem Zeitgeist der 80er entspricht und die Handlung wird in der zweiten Hälfte für einige sehr starke Szenen geopfert. Auf der anderen Seite sitzt jedes Wort, das die wortkargen Figuren zwischen ihren Lippen herauspressen, da alles eine tiefere Bedeutung hat – und das Thema des Filmes ist zeitlos. Nicht unbedingt die Frage, ob künstliche Intelligenz nicht die gleichen Rechte haben sollte wie Menschen oder wo der Mensch anfängt und der Replikant aufhört. Nein, für mich dreht sich Blade Runner um die Angst vor dem Tod.
Nicht nur die Angst vor dem Ende der eigenen Existenz, sondern des langsamen Dahinsiechens, bis man zwar noch funktioniert, aber schon lange diese Welt verlassen hat. Der Blade Runner Rick Deckard, brillant gespielt von Harrison Ford, ist ein solcher Toter. In jeder Szene können wir sehen, dass dieser traumatisierte Auftragskiller der Regierung sich nur noch unter großen Schwierigkeiten dazu aufraffen kann, seinen Job zu tun. Nicht nur die Morde scheinen Schuld zu sein, denn der Verfall ist an jeder Ecke dieser Welt zu erkennen. Der Himmel ist dunkel, es regnet die ganze Zeit, ganze Wohnblocks sind nur noch verlassene Ruinen und über den Köpfen der Einwohner wird fleißig Werbung für die Kolonien auf dem Mars gemacht, die ein besseres Leben versprechen. Die Welt ist gestorben, warum sich also nicht einfach hinlegen und das Ende erwarten? Deckard ist da nicht anders, selbst wenn das Ende auf dem ersten Blick hoffnungsvoll erscheint. Der Blade Runner ist schon lange gestorben, aber ein kleiner Teil von ihm klammert sich immer noch an den Gedanken, dass ihn jemand lieben könnte, auch wenn er die Fähigkeit dazu schon lange verloren hat. Jemand anderes soll für ihn leben und ihn mitziehen. Das kann nur schlecht ausgehen.
Umso ironischer ist es doch, dass ausgerechnet die Replikanten, künstliche Lebewesen, sich so verzweifelt an ihre Existenz klammern und sich wie Kinder über jede Erfahrung zu freuen scheinen. Sie lachen, sie weinen und schützen einander. Wahrscheinlich spielen sie sich nur etwas vor. Denn wie soll eine Maschine zu leben lernen, wenn ihr Schöpfer das schon vor langer Zeit vergessen hat?
Was habt ihr diese Woche gekauft, gesehen, gelesen, gespielt? Postet eure Bilder, Geschichten und Links einfach in die Kommentare.
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