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Währenddessen … (KW 13)

In der Kolumne „Währenddessen …“ zeigt die Comicgate-Redaktion, was sie sich diese Woche so zu Gemüte geführt hat.

Daniel: Zwei Männer um die dreißig Jahren sitzen zusammen in einem amerikanischen Diner. Sie unterhalten sich über ihre Ängste, über Literatur, über das Leben und über den ganzen Rest. End of the Tour ist ein Bio-Pic von der Sorte, die ich nur sehr ungern angucke: Es wird versucht einen Einblick in das Leben einer berühmten Person zu geben – wie sie geredet hat, wie sie gewohnt hat, warum sie sich umgebracht hat. In End of the Tour spielt Jason Segal (How I met your mother, Muppets) den amerikanischen Autor David Foster Wallace. Leider habe ich mich nie durch die Tausend Seiten von Infinite Jest durchwühlen können, dafür habe ich Kurze Interviews mit fiesen Männern und den wunderbaren Essay über Kreuzfahrten Schrecklich amüsant – aber in Zukunft ohne mich gelesen. Im Alter von 46 Jahren nahm sich Wallace das Leben. Der Bio-Pic blickt zurück auf eine Zeit 12 Jahre davor. Wallace hat gerade Infinite Jest veröffentlicht, wird von Kritikern gefeiert und vom „Rolling Stone“-Autor David Lipsky (gespielt von Jesse Eisenberg) besucht und interviewt. Lipsky ist selbst Autor und es entwickelt sich interessante Gespräche, aber auch eine unangenehme Spannung zwischen den beiden Männern. Doch trotz Wallace‘ Trademark-Kopftuch sehe ich nur Marshmallow (Segal) und auf der anderen Seite den Jungen aus Social Network (Eisenberg). Mein Innerstes weigert sich den halben Film lang die Figuren zu akzeptieren. Nur ganz langsam beginne ich während des Films zu verstehen, dass sich hier zwei Männer in meinem Alter – naja fast in meinem Alter – über Themen unterhalten, die auch mich jeden Tag grübeln lassen: Zweifel, soziale Zwänge, Literatur und die Kunst, das alles in einen Alltag zu stecken – ohne dabei wahnsinnig zu werden. Wer etwas über David Foster Wallace erfahren will, soll seine Bücher lesen. Wer gerne über das Leben philosophiert, kann das hier mit Eisenberg und Segal tun.

Christian: Wenn ich mir ein Crossed-Comic durchblättere, denke ich mir oft, den Autoren muss doch einer ins Hirn geschissen haben. Kürzlich habe ich die Storyline „Family Values“ gelesen, und ich muss zugeben, dass die gar nicht so schlecht war, stellenweise sogar überraschend intelligent. Trotzdem: Den Autoren muss einer ins Hirn geschissen haben, denn Crossed beinhaltet alles, wirklich alles, was Soziopathen, Psychopaten, Sadisten, Masochisten oder auch nur den kleinen Gorehound von nebenan glücklich macht. Der Euphemismus dazu lautet „Grand Guignol“, ich bin mir allerdings nicht sicher, ob man wirklich jeden Auswurf künstlerisch derart hochstilisieren muss. Sicher, das Ultrabrutale gehört zum Gesamtkunstwerk, aber die selbstverliebten Wimmelbilder mit krassen Szenen nutzen sich erstaunlich schnell ab (was man natürlich ebenfalls als Intention sehen kann – aber nicht muss). Ich stelle mir immer wieder gerne vor, wie sich die Crossed-Leute beim amerikanischen Avatar-Verlag selbst feiern und nachts auf dem Grab von Frederic Wertham tanzen, dem Psychiater, der vor über 60 Jahren in allen noch so harmlosen Comics Phallussymbole, Homosexualität und anderes anrüchiges fand. Zählen Sie doch die Phallusse in Crossed, Herr Wertham! Ja, die Zivilisation hat es in den letzten 60 Jahren weit gebracht, ich muss schon sagen.

Dabei verirren sich durchaus auch verdiente und politisch sensible Typen wie der von mir hoch geschätzte Jamie Delano, ehemals Autor von Hellblazer, in die Abgründe des Crossed-Projekts. Der war im Nachhinein aber so abgestoßen davon, dass seine Hefte auch mit frauenfeindlichen und extrem gewaltpornografischen „Torture-Variant Covers“ auf den Markt kamen, dass er für Avatar nie mehr arbeiten wird. Jamie: „Ein Cover zu verwenden, das in keinerlei Zusammenhang mit der Story steht, nur um des Schockeffekts wegen und um die niedersten Instinkte von irgendwelchen Jungs zu befriedigen, die irgendwann vielleicht mal ein Schulmassaker oder so anrichten werden? Ja. Ich muss sagen, ich war etwas vor den Kopf gestoßen.“ Immerhin, Jamie Delano hat irgendwann gemerkt, in was für einem miesen Porno er tatsächlich mitgespielt hat. Genügend andere halten Crossed allerdings immer noch für Provokation, Spaß und Ironie – oder, schlimmer noch, für ein tiefsinniges Lehrstück.

Crossed

© Avatar Comics

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