Das Attentat auf Charlie Hebdo am vergangenen Mittwoch (siehe Links der Woche 1/15) bleibt das bestimmende Thema. Nach Geiseldramen, Großeinsätzen von Polizei und Militär und weiteren Toten konnten drei Täter überwältigt werden, auch sie sind tot.
In Paris gingen am heutigen Sonntag Hunderttausende zu einem Schweigemarsch auf die Straße, die Presse spricht von der “größten Kundgebung seit Ende des Zweiten Weltkrieges”). In Hamburg wurde letzte Nacht ein Brandanschlag auf das Gebäude der Boulevardzeitung Hamburger Morgenpost verübt. Verletzt wurde niemand, zu den Hintergründen oder etwaigen Tätern ist noch nichts bekannt. Die MoPo hatte wie viele andere Zeitungen nach dem Pariser Anschlag einige der provokanten Karikaturen aus Charlie Hebdo abgedruckt.
Mittlerweile läuft längst die Meta-Diskussion über die Reaktionen der Öffentlichkeit auf das Attentat. Steht Meinungsfreiheit immer über allem, darf Satire wirklich alles, oder gibt es Grenzen? Ist es okay, sich bedingungslos zu Charlie zu bekennen, müssen wir mehr differenzieren? Der Link-Überblick legt einen Schwerpunkt auf diese Debatte, widmet sich am Ende aber auch ganz anderen Comicthemen.
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On Satire – a response to the Charlie Hebdo attacks
The Guardian, Joe Sacco
Joe Sacco, Leitfigur des Journalismus in Comicform, mit einem Debattenbeitrag in Comicform: “When we draw a line, we are often crossing one, too.” Sacco gibt keine einfache Antwort, sondern ermuntert uns, uns Fragen zu stellen.
Charlie Sein oder Nichtsein
Süddeutsche Zeitung, Lilith Volkert
“Unter dem Hashtag #JeNeSuisPasCharlie (Ich bin nicht Charlie) erklären nun viele, warum sie die Attentate von Paris verurteilen, Charlie Hebdo aber trotzdem kritisch sehen.”
Frankreichs Zeichner suchen nach den Grautönen
Zeit Online, Wenke Husmann
Dieser Artikel zitiert auch die Zeichnerin Zeina Abirached (Das Spiel der Schwalben): „Man muss mit den Karikaturen von Charlie Hebdo nicht einverstanden sein. Aber dass eine solche Redaktion in einer Gesellschaft existiert, damit müsste jeder einverstanden sein.“
Für Satire dieser Art ist in Amerika kein Platz
Frankfurter Allgemeine, Patrick Bahners
Viele große amerikanische Medien haben die drastische Religionskritik von Charlie Hebdo nicht nachgedruckt. Patrick Bahners macht ihnen dies in der FAZ zum Vorwurf: “Sie versagen den Arbeiten der Toten, die sie als vulgär und krude beschreiben, die Chance, für sich selbst zu sprechen.”
A Close Call on Publication of Charlie Hebdo Cartoons
The New York Times, Margaret Sullivan
Die Redaktion der New York Times wehrt sich gegen den Vorwurf, zu feige für einen Nachdruck der Karikaturen zu sein und erklärt ihre Haltung.
Über Satire und Gewalt
Neue Zürcher Zeitung, Hartwig Isernhagen
Sehr lesenswerter Kommentar des Basler Anglisitikprofessors Hartwig Isernhagen:
“[Satire] braucht einen kulturellen Raum, in dem sie richtig verstanden wird, und ein Publikum, das gelernt hat, sie zu verstehen, damit ihre beabsichtigte Richtung (von der Empörung als Handlungsimpuls zur empörten Äusserung) nicht um einhundertachtzig Grad gedreht wird. Das heisst, die Satire braucht einen soliden kulturellen Rahmen, der in kulturell heterogener werdenden Gesellschaften immer weniger leicht zu erstellen ist. Sie braucht einen kulturellen Konsens, was satirisierbar ist und was nicht, welche satirischen Überzeichnungen legitim sind, welche nicht. Denn die nun wieder zu Recht beschworene Meinungsfreiheit hat auch in den freiesten Gesellschaften des Westens nie unbeschränkt gegolten.”
‘We vomit’ on Charlie’s sudden friends: staff cartoonist
rawstory.com
Die Agentur AFP zitiert den niederländischen Zeichner Willem, der auch für Charlie Hebdo arbeitet. Er muss kotzen, wenn er sieht, wer sich nun alles hinter Charlie Hebdo stellt, ohne das Blatt je gelesen zu haben.
Am Abend nach dem Anschlag …
Facebook, Ralf König
Schon am Mittwoch hatte sich Ralf König, schon lange ein Kämpfer für Meinungsfreiheit und gegen die Intoleranz religiöser Fundamentalisten, auf Facebook mit einem Statement gemeldet und dazu eine zum Thema passende, alte Karikatur von ihm gepostet. Dieses Posting hat er nun wieder gelöscht. Anders als in der Diskussion um die dänischen Mohammed-Karikaturen wolle er sich diesmal mit Kommentaren oder Cartoons zurückhalten, nicht zuletzt auf Bitten seines Agenten.
Aufrecht leben, statt kniend sterben!
Männer, David Berger
Der Chefredakteur des Schwulenmagazins Männer verteidigt König gegen die teils harschen Reaktionen auf seinen Entschluss: “Jeder, der das Verhalten Königs nun verurteilt, ihn als Feigling beschimpft, muss sich fragen lassen: Wie hättest Du gehandelt, wenn du in dieser konkreten Situation gewesen wärst?”
Zeitungsverleger instrumentalisieren „Charlie Hebdo“-Anschlag für Kampf gegen Pegida
Stefan Niggemeier
Der Bundesverband der Zeitungsverleger (BDZV) reagierte auf das Attentat mit einer Solidaritätsaktion. Zahlreiche Zeitungen druckten einen Kommentar von BDZV-Präsident Helmut Heinen, zusammen mit einer Karikatur von Klaus Stuttmann. Heine und Stuttmann schlagen darin einen Bogen vom gewaltsamen Angriff auf die Pressefreiheit in Paris zu den Pegida-Anhängern, die die etablierten Medien als “Lügenpresse” beschimpfen. Medienjournalist Stefan Niggemeier hält das für falsch: “Die Presse bestätigt aus Pegida-Sicht so, auf kaum zu übertreffende Weise, den Vorwurf von der ‘Lügenpresse’.”
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On Optimism
Medium, Anders Nilsen
Nach den Ereignissen in Frankreich ist der Slogan “Why 2015 won’t suck” eigentlich schon wieder hinfällig. Unter diesem Motto hat das Webmagazin Medium eine Reihe von Aufsätzen veröffentlicht, die davon handeln, warum man sich auf das neue Jahr freuen darf. Darunter auch ein Comic von Anders Nilsen (Große Fragen) über den Optimismus. Es gibt nämlich immer noch Gründe dafür.
Comics oder Graphic Novels vor!
Börsenblatt
Seit 1979 wird alle zwei Jahre der Christoph-Martin-Wieland-Preis für Übersetzungen vergeben. Dabei konzentriert sich der Freundeskreis zur Förderung literarischer und wissenschaftlicher Übersetzungen e.V., der den Preis vergibt, jedes Mal auf ein bestimmtes Gebiet (z.B. Bühnenstücke, Biographien oder Lyrik). In diesem Jahr sollen erstmals Übersetzungen von Comics ins Deutsche ausgezeichnet werden. Bis zum 20. März können Verlage und Übersetzer ihre Bewerbungen einreichen. Der vom Land Baden-Württemberg finanzierte Preis ist mit 12.000 Euro dotiert.
Konservierung und Restaurierung von Comics
SWR 2 Impuls, Charlotte Grieser
Ein Hörfunkbeitrag beschreibt, wie im Brüsseler Comicmuseum die Originalseiten, die dort aufbeawahrt und gezeigt werden, vor Verfall geschützt werden. (MP3-Download, ca. 5 Minuten)
Die Comics
Gratis Comic Tag
Der Gratis-Comic-Tag findet dieses Jahr am 9. Mai statt. Zum fünften Mal gibt es im Comichandel eine Auswahl aus 34 extra für diesen Tag produzierten kostenlosen Comics aus zahlreichen deutschen Comicverlagen. Die Auswahl für dieses Jahr, die in dieser Woche veröffentlicht wurden, lässt auch einen Blick darauf zu, welche Comics in diesem Jahr von ihren jeweiligen Verlagen besonders in den Mittelpunkt gestellt werden.
Kickstarter Numberwang
Oh Joy, Sex Toy, Matthew Nolan
Aus dem erfolgreichen Webcomic Oh Joy, Sex Toy von Erika Moen ist ein erstes gedrucktes Buch entstanden, dass die Zeichnerin zusammen mit ihrem Mann Matthew Nolan per Crowdfunding finanziert hat, was ihnen recht mühelos gelungen ist. In kurzer Zeit wurden auf Kickstarter fast 70.000 US-Dollar eingesammelt. Nolan sorgt nun für Transparenz, indem er genau aufschlüsselt, wofür dieses Geld verwendet wurde und was unterm Strich als “Gewinn” übrig blieb. Außerdem wird genau beschrieben, wie die beiden ihre Kickstarter-Kampagne planten, wie sie ihre ursprüngliches Ziel definierten und es im Laufe des Fundings anpassten und welche Lehren man daraus ziehen kann. Sicher nicht auf alle Crowdfunding-Comics übertragbar, schon gar nicht auf deutsche Verhältnisse, aber ein selten detaillierter Einblick in ein Finanzierungsmodell, dass im Detail natürlich komplexer ist, als es auf den ersten Blick aussieht.
„Das Jahr der Widersprüche“ – Der französische Comic-Markt 2014
Dreimalalles, Christian Maiwald
Der französische Verband der Comickritiker und -journalisten ACBD veröffentlicht jedes Jahr einen umfangreichen Marktreport über die Lage der Comicbranche in Frankreich. Christian Maiwald fasst ihn zusammen und wertet die wichtigsten Zahlen aus. Den vollständigen Bericht des ACBD gibt es hier als PDF zum Download.
IDW Publishing Acquires Top Shelf Productions
Top Shelf Productions
Ein interessanter Zusammenschluss auf dem amerikanischen Comicmarkt: Der Independent-Verlag Top Shelf Productions, der vor allem für seine Graphic Novels bekannt ist (u.a. erschienen dort Werke von Craig Thompson, Jeff Lemire, Ed Piskor und Alan Moore) wird Teil von IDW Publishing und wird dort als eigenständiges Imprint weitergeführt. IDW fasste mit dem Überraschungserfolg 30 Days of Night (2002) Fuß in der Branche und teilt hat im “Direct Market” einen Marktanteil um die 5 Prozent, was den Verlag auf Position vier nach den Big Playern Marvel und DC sowie dem Drittplatzierten Image Comics bringt. Großen Anteil am Verlagsprogramm von IDW haben lizenzierte Comics zu Film- und Serienhits wie Star Trek, Transformers oder My Little Pony, es gibt aber auch Eigenentwicklungen wie Locke & Key. Viel Lob gab es zuletzt für IDWs Faksimileausgaben von Comicklassikern (“Artists Editions”), sowie eine Reihe von Archivausgaben klassischer Zeitungscomics. Das Portfolio von Top Shelf erweitert das Programm von IDW nun um ein weiteres Standbein.
Marvel vs DC Epic Trailer
YouTube, Alex Luthor
Ein Film-Crossover zwischen den Superhelden-Universen von Marvel und DC wird es in absehbarer Zeit nicht geben. Aber inzwischen liegt aus Film und Fernsehen soviel Material vor, dass man sich ein solches Crossover schon ziemlich gut zusammenschneiden kann, zumindest als dreiminütigen Trailer zu einem fiktiven Film: