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Somna

The devil’s work is done bei idle hands.

Für müßige Hände findet nur der Teufel Arbeit – das befürchtet der Hexenjäger Roland leider auch für seine Frau Ingrid. Diese hat nur wenig Interesse daran, der anstehenden Hexenverbrennung beizuwohnen, auch wenn es nur statthaft wäre, den Gatten beim Repräsentieren seines wichtigen Amtes zur Seite zu stehen. Am Abend aber gibt Roland seiner Gattin Bestätigung in ihrer Entscheidung. Ekelerregend und hart sei es gewesen, dabei zuzusehen, wie die Hexe brannte. Keinen Zweifel aber hat der Hexenjäger an der Notwendigkeit seines Tuns.

Die Künstlerinnen Becky Cloonan und Tula Lotay nehmen uns mit auf eine Zeitreise ins puritanische Amerika und tauchen tief ein in die Gefühlswelt der Frau des Hexenjägers. Dabei ist Roland kein Hexenjäger vom Schlage des fanatischen Heinrich Kramers, des berüchtigten Autors des Hexenhammers. Nicht Frauenhass ist Rolands Triebfeder, sondern die Notwendigkeit, als guter Beamter das zu tun, was von ihm erwartet wird.

Glauben, Zweifel, Hoffnung. Artwork von Becky Cloonan.

Was aber die Präsenz des Teufels angeht: Den fürchten sie alle. Jeder fürchtet, ihn versehentlich herbeizureden oder durch Fehlverhalten seine Aufmerksamkeit zu erregen. Präsent ist er so in Gedanken eigentlich ständig, was sich in zahlreichen Traumsequenzen niederschlägt, bei denen das Artwork uns Leser oft im Unklaren hält, was sich tatsächlich ereignet und was der Vorstellung der Figuren geschuldet ist. Das Gute und das Böse der menschlichen Natur sind bald nicht mehr voneinander zu trennen: Ist es „böse“, dass die Frau einen unerfüllten Sexualtrieb hat, wie man sich leicht einreden mag? Oder ist es „böse“, wenn ihr Mann, obwohl ihr angetraut, kein Interesse hat, seiner ‚ehelichen Pflicht‘ nachzukommen?

Aber Roland steht unter Druck. Seine Arbeit ist schwer, die Mühlen der Justiz sind erbarmungslos. Dazu kommt der örtliche Priester, der das Wort Gottes mit einer Geschmeidigkeit dreht und wendet, als wäre er selbst mit dem Teufel im Bunde. Und auch Ingrids Freundin Maja zündelt sehr, wenn sie hinter dem Rücken ihres Gatten Hermann mit dem Witwer der letzten verbrannten Hexe des Orts heimliche Liebe pflegt und sich dabei in ein Geflecht aus Lügen verstrickt. Da kann nichts Gutes dabei entstehen.

Somna ist ein klug arrangiertes Beziehungsgeflecht, das von den beiden Künstlerinnen bildmächtig auf Papier gebannt wird. Die ästhetische Wirkung verdankt sich dabei auch dem quadratischen Überformat des Bands, welches sich der Indie-Verleger DSTLRY recht offensichtlich vom DC-Verlag abgeschaut hat, genauer gesagt von den Miniserien des Black Labels, in dem ästhetisch besonders ansprechende, wenngleich hin und wieder inhaltlich eher dünne Geschichten um bekannte DC-Figuren wie Batman, Joker, Suicide Squad oder Wonder Woman erzählt werden. Bei DSTLRY bedient man sich des gleichen Formats, wählt aber neue Inhalte.

Becky Cloonan und Tula Lotay teilen sich auf recht uneindeutige Weise die Autorenschaft der Story, vom Stil her dagegen sind sie deutlich voneinander unterscheidbar. Scheint es zunächst, als übernehmen Tura Lotay die Traumsequenzen der Story, während Becky Cloonan die klareren Sequenzen bei Tageslicht gestaltet, so fließen die Stile im späteren Verlauf der Story zunehmend ineinander. Immer aber – so scheint es – öffnet Tura Lotays weichgezeichneter Stil den Raum für Gefühle und Begierden, während Becky Cloonans harte Konturen die manifeste Außenwelt recht eindeutig abbilden. Welche der beiden Stile nun die dämonischere und beängstigendere Welt repräsentiert, obliegt der Interpretation jedes Einzelnen. Einer völligen Eindeutigkeit entzieht sich Somna, stattdessen werden wir in ein Geflecht aus Pflichterfüllung, Sehnsucht, Intrigen, Aberglauben und Volksfrömmigkeit geworfen, die heutzutage gerne unter dem Begriff des Folk Horror subsummiert wird. Man sollte nicht so sicher sein, ob solche Denkweisen nicht auch heute noch jederzeit wieder hervortreten können.

Variant-Cover von Tula Lotay.

Mehr als einen Blick wert sind auch die zahlreichen Variant-Covers, die sehr originell das Motiv der teuflischen Verführung auf immer neue Weise variieren. Man möchte sich jedes einzelne davon am liebsten an die Wand hängen.

Ab Juli 2025 gibt es Somna auch auf Deutsch bei Cross Cult.

These are the hands that built America (U2)

10von10Somna
DSTLRY, 2024
Text und Zeichnungen: Becky Cloonan und Tura Lotay
168 Seiten, Farbe, Hardcover
Preis: 30 US-Dollar
ISBN: 978-1962265010
Leseprobe

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