Was ist, wenn ein schwedischer Brokkoliebaum ein schottisches Seeungeheuer wäre? In Bruno Duhamels #Erstkontakt geht es um Nessie und eine Menge Idioten.
Douglas Murdock ist ein zurückgezogen lebender Hobby-Fotograf, der seine Fotos nicht mehr veröffentlicht, sondern sie für sich behält: „Ich will Fotos machen, ohne wertenden Blicken unterworfen zu sein.“ Sein Account auf der fiktiven Social-Media-Plattform Twister ist nahezu tot: Seit 17 Monaten hat er nichts veröffentlicht, nur noch drei Fans folgen ihm auf Twister, als er von seinem Klappstuhl Schwarzweißfotos von der schottischen Fauna macht. Von einem Reiher – klick. Von einem Marder – klick. Von einem Papageientaucher – klick. Von einem halbdurchsichtigen Seenungeheuer mit Tentakeln – klick. Völlig geschockt und zunehmend von seinen Medikamenten benebelt lädt er die Fotos hoch und geht ins Bett. Am nächsten Morgen haben 348.069 Personen seinen Post geteilt.
Zeitungsreporter, Fernsehteams, Politiker, Apokalyptiker und andere Schaulustige suchen Doug heim und möchten von dieser Story profitieren. Ob die am See gelegene Firma Gen X etwas damit zu tun hat?
Was hat das mit einem schwedischen Brokkolibaum zu tun? Zwischen 2013 und 2017 entwickelte sich ein entfernt brokkoli-ähnlicher Baum an der schwedischen Küste via Social Media zu einem Internethype. Der Fotograf Patrik Svedberg machte am 12. Mai 2013 beiläufig ein unbedeutendes Foto eines unbedeutenden Baumes und veröffentlichte es auf Instagram. Nach und nach steigerte sich das Interesse an den Brokkolibaumbildern – aktuell hat der Insta-Account @thebroccolitree beeindruckende 37.300 Follower:innen, das sind fast 10-mal so viele wie Mawil (@mawilgram) oder fast 20-mal so viele wie Birgit Weyhe (@birgitweyhe).
Aus dem Nichts entstand ein Internethype. Svedberg hielt Vorträge an Universitäten; TV- und Radiosender berichteten über den Baum, der zum Wahrzeichen der Stadt Huskvarna ausgerufen wurde, und eine brasilianische Schulklasse wollte eine Brieffreundschaft mit dem Fotografen führen. Völlig verrückt also. Am 27. September 2017 wurde der Baum zum Opfer nächtlichen Vandalismus‘, als Unbekannte die Äste mit Motorsägen verletzten, so dass er kurz darauf gefällt werden musste. Eine absurde Geschichte darüber, wie etwas Nichtssagendes überbordende Bedeutung erlangt und zu einem Symbol wird.
Doug reflektiert über sein Verhältnis zu seinen Fotos und zu seiner Umwelt und darüber, wie Social Media beides verändert hat: „Als ich Twister entdeckt hab, dachte ich, ich kann endlich alles, was ich mag, mit anderen teilen … ohne Ambitionen. Ohne Filter. Ohne Geld. Nur zum Spaß …“ Aber seine Erwartungen wurden enttäuscht: „Twister hat mich zur Ware gemacht. Also hab ich aufgehört zu posten … und Fotos zu machen.“ Das erinnert an den Spruch, der vielen Menschen zugeschrieben wird: Wenn du für ein Produkt nichts zahlen musst, bist du das Produkt.
Doug bereut es, seine Fotos veröffentlicht zu haben, genau wie auch Patrik Svedberg. Der sagte nach dem Tod des Brokkolibaumes: „Ich weiß nicht, ob ich das Bild ein zweites Mal machen würde, wenn ich noch mal die Wahl hätte. … Doch, ich würde ihn nochmals fotografieren. Aber ich würde das Foto niemandem zeigen.“
Das Internet, die Geltungssucht und die Verführungskraft nichtssagender Katzenbilder treibt die Menschen in Scharen an diesen schottischen See: Jäger und Tierschützer, Anarchisten und Identitäre, Esoteriker und Wissenschaftler. Manche, so der Gag, sehen sich ähnlicher, als die Transparente und Maskierungen es vermuten lassen würden. Duhamel hat dem Comic ein Zitat des französischen Dichters und Chansonniers Georges Brassens vorangestellt: „Der Plural nutzt dem Menschen nichts und kaum sind wir mehr als vier, sind wir eine Bande Idioten.“
In #Erstkontakt geht es nicht um die Schönheit der schottischen Landschaft und nicht um Begegnungen mit Außerirdischen, sondern darum, was Soziale Medien mit Menschen machen und was Menschen schon immer gemacht haben, auch als es noch kein Insta, X oder Tiktok gab: Blödsinn. Am Ende fragt Doug sich, ob die Menschheit sich positiv entwickelt habe. Natürlich nicht – „wir sind immer noch genauso blöd.“ Der Comic gibt nur vordergründig den Sozialen Medien die Schuld an allem, denn so einfach ist die Wirklichkeit bekanntlich nicht. Doug ist auch ganz ohne Computer ein Idiot, wie er im Umgang mit seinen Mitmenschen beweist, und das gilt für alle anderen gleichermaßen.
Dabei ist der Comic auch noch saukomisch, die Dialoge so unterhaltsam, wie Duhamel es schon in Falsche Fährten (avant-Verlag 2022), Niemals (avant-Verlag 2021) und Niemals – D-Day (avant-Verlag 2023) bewiesen hat. Und seine kauzigen Figuren mit der so herrlich überzogenen Mimik machen durchweg Freude. Mehr als Brokkolibäume. Oder Brokkoli.
Noch besser als Brokkoli
avant-Verlag, 2024
Text und Zeichnungen: Bruno Duhamel
Übersetzung: Lilian Pithan
72 Seiten, Farbe, Hardcover
Preis: 22,00 Euro
ISBN: 978-3-96445-045-6
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