„Neue Serie“ prangt gut lesbar auf dem Cover des aktuellen Catwoman-Paperbacks von Panini. Dies suggeriert, dass der Band auch für Neueinsteiger geeignet ist, die die „Dawn-of-DC“-Initiative nutzen wollen, um frisch mit der Lektüre von Abenteuern ihrer Lieblingsheldinnen und -helden zu beginnen. Tatsächlich handelt es sich bei dem Storyarc „Rise and Revenge“ (#51–56, dt. „Es kann nur eine Katze geben“) aber um die Fortsetzung von Tini Howards Catwoman-Run (seit 2022), der einige der losen Fäden vorheriger Geschichten zum Abschluss bringt. Ein Muss für Fans der Meisterdiebin, beileibe aber kein „perfekter Einstiegspunkt“, wie der Klappentext verkündet.
Selina Kyle sitzt im Knast. Nach dem Mord an Valmont, der beinahe Batman getötet hätte (siehe #50), muss sich Selina erst in ihrer neuen Umgebung hinter Gittern zurechtfinden. Währenddessen versuchen ihre Freunde, draußen ein zwischen mehreren Verbrechersyndikaten aufgeteiltes Gotham zu stabilisieren: einerseits Eiko Hasigawa, die sich vorübergehend das Catwoman-Kostüm überstreift und dem organisierten Verbrechen den Kampf ansagt. Andererseits Dario Tomasso, der bei seinem Mafia-Papa in Ungnade gefallen ist und sich als Tomcat eine eigene Identität als Superheld aufzubauen versucht. Gemeinsam schmieden sie einen Plan, wie sie Selina aus dem Gefängnis befreien können, während sich diese hinter den Mauern von Gothams Bezirksgefängnis neue Verbündete sucht.
Tini Howards Version von Catwoman schreckt nicht vor der eigenen Albernheit zurück, gibt sich bewusst silly, sexy und selbstbewusst. Dass Catwoman in „Rise and Revenge“ etwa zum zweiten Mal einen theatralischen Auftritt in jenem Stripteaseclub hinlegen darf, in dem sie unter Howards Feder zum ersten Mal in Erscheinung trat (siehe #39), schlägt da gleich den für das Buch charakteristischen Ton an. Wer sich mit den seriöseren Noir-Stories von Ram V (der vor 2022 die Catwoman-Serie innehatte und sich eher an Brubakers Realismus orientierte) anfreunden konnte, wird Howards Variante vielleicht als Rückschritt empfinden. Dennoch kann der Reiz des Buches niemandem verborgen bleiben, der schon immer etwas für pointierte Dialoge, flott inszenierte Kämpfe und gezielt gesetzte Situationskomik übrighatte.
Über weite Strecken erinnern die Szenen im Frauenknast dann auch eher an Folgen aus der Netflix-Serie Orange Is The New Black (2013–19) als an ein bierernstes Gefängnisdrama. Wenn Selina zum Beispiel in Einzelhaft gesteckt wird, kann sie dank einer im Dunkeln bunt funkelnden Katze namens Duchess trotzdem mit der Außenwelt kommunizieren – und das ist noch nicht das verrückteste Detail, mit dem die Klischees traditioneller Gefängnisgeschichten hier aufgebrochen werden.
Was schon eher den Klischees entspricht, ist, dass sich Selina am Anfang unter ihren Mitinsassinnen wenig beliebt macht, dabei das eine oder andere blaue Auge davonträgt, sich aber bald Respekt verschaffen kann. Zuspruch bekommt sie nicht zuletzt von Batman selbst. In einer geheimen Nachricht rät er ihr: „Du bist wahrhaft die größte Kriminelle der Welt. Lass sie zu dir aufblicken.“ So baut sich Selina ein eigenes Netzwerk aus willigen Mitinsassinnen auf, trainiert sie im Stehlen und Kämpfen. Viele von ihnen bleiben absichtlich hinter Gittern, weil sie die geschützten Abgrenzungen des Gefängnisses der Todesfalle Gotham Citys voller Psychopathen und selbsternannter Vigilanten vorziehen. Das Gefängnis wird so zum Refugium weiblicher Solidarität, einer Ausbildungsstätte zum Sammeln, Planen und Durchatmen. Im Grunde variiert Howard hier ein Oliver-Twist-Motiv, das sich wie ein roter Faden durch viele Catwoman-Comics zieht: Selina nimmt sich ständig neuer Streuner an – ob damals in Alleytown oder jetzt im Bezirksgefängnis –, gewährt ihnen Unterschlupf, beschützt sie und bildet sie aus, um da draußen zu überleben.
Zu diesen Streunern zählte früher auch Dario Tomasso, der Sohn und einzige Erbe der mächtigen Tomasso-Mafia-Familie. Während sich Selina mit ihren Mitgefangenen arrangieren muss, bildet Darios Konfrontation mit seinem Ex-Lover Noah vielleicht das emotionale Zentrum der gesamten Story. Noah versuchte sich damals an Darios Vater anzubiedern, damit dieser ihm das Erbe des Clans überlässt. Dario wollte er damit erpressen, dessen Homosexualität publik zu machen, worauf sich dieser aber nicht einließ. Um lästige Zeugen zu beseitigen, hinterging Noah schließlich seinen Geliebten, woraufhin Dario flüchten musste und Unterschlupf bei Catwoman fand. Im aktuellen Band wird dieser Handlungsstrang wieder aufgegriffen. In einem Supermarkt stehen sich die beiden ehemals Liebenden schließlich unversöhnlich gegenüber. Als Noah versucht, Dario abzustechen, offenbart sich, dass niemand jemals wieder dem anderen wird vertrauen können. Stattdessen machen sie ein Treffen für ein letztes Duell aus. Das Panel, in dem sich die Silhouetten von Dario und Noah endgültig voneinander abwenden, bricht einem fast das Herz.
Vergleichsweise wenig weiß Howard leider mit der zweiten wichtigen Figur in Selinas Leben anzufangen. Eiko Hasigawa feierte ihr Debüt bereits vor knapp zehn Jahren in Genevieve Valentines phänomenalem Catwoman-Run (2014–15). Als Tochter der Hasigawa-Yakuza-Familie, welche den Hafen von Gotham kontrolliert, zog Eiko schon bald Selinas Aufmerksamkeit auf sich. Da Selina zu dieser Zeit selbst als Mafiaoberhaupt der Calabrese-Familie fungierte (ganz genau: Catwoman als Mafiaboss … Wer diese Geschichte nicht kennt, unbedingt nachlesen!), war sie sehr darauf bedacht, ein Bündnis mit den Yakuza zu schließen, um die kriminellen Aktivitäten in Gotham besser im Zaum zu halten. Selinas neue Berufung ließ es nicht mehr zu, als Catwoman die Dächer Gothams unsicher zu machen. Deswegen schlüpfte Eiko ins Katzenkostüm, damit das Verbrechen in Gotham wieder ein Korrektiv bekommt. Selina war von ihrer Nachahmerin sichtlich angetan – was schließlich zu einer hingebungsvollen Kussszene führte, die jahrelange Gerüchte um Catwomans Bisexualität bestätigte.
Die Romanze zwischen den beiden Frauen, die Valentine hier vor Jahren vorbereitet hat, wird von Howard pflichtschuldig anerkannt, aber nicht wirklich weiterentwickelt. Stattdessen führte sie mit dem ehemaligen League-of-Assassins-Killer Valmont ein neues love interest für Catwoman ein, der nach seinem raschen Tod aber kaum Spuren hinterlassen dürfte. Eiko dient Howard in erster Linie dazu, jemanden außerhalb der Gefängnismauern im Catsuit gegen andere kostümierte Schurkinnen wie Punchline oder Queen of Hearts kämpfen zu lassen. Jetzt, nachdem Eikos Stellvertreterdasein als Catwoman wieder beendet ist („Du musst aufhören, das Kostüm zu tragen“, ermahnt Selina Eiko gegen Ende des Bandes), darf man gespannt sein, was Howard noch mit der Figur vorhat. Einstweilen lässt sie sich diesbezüglich noch nicht in die Karten schauen.
Das Artwork ist durchweg solide. Sami Basris Zeichnungen bestechen vor allem in den Gefängnisszenen, zum Beispiel wenn Streitereien unter den physisch sehr unterschiedlich gebauten Insassinnen cartoonhaft überzeichnet werden. Außerdem kehrt Nico Leon, der schon Ram Vs Catwoman-Comics ihren atmosphärischen Look verpasste und durch ausdrucksstarke Gesichter punkten kann, für drei Ausgaben zurück. Die Cover von David Nakayama und Sweeney Boo bedienen durch ihre Stilisierung von kurvenreichen Frauenkörpern das, was man im Amerikanischen so schön als „Cheesecake“ bezeichnet. Der Begriff bezieht sich auf idealisierte Darstellungen weiblicher Sexualität und hat seinen Ursprung in der Pin-Up-Kunst der 40er Jahre. Boos Variant-Cover von Catwoman #52 ist wegen der unrealistisch langen Beine und dem herausgestreckten Hintern auf Ablehnung gestoßen (wie man unter anderem hier nachlesen kann). Eine Kritik, die hier Realismus einfordert, missversteht aber nicht nur das prinzipielle Potenzial gezeichneter Bilder zur Übertreibung, sondern verkennt auch, was zur Ikonographie von Gothams Feline Fatale einfach dazugehört.
Silly, sexy und selbstbewusst: Tini Howards Catwoman kann sich sehen lassen!
Panini, 2024
Text: Tini Howard, Zeichnungen: Sam Basri, Nico Leon, Marcus To, Marco Santucci
Übersetzung: Carolin Hidalgo
164 Seiten, Farbe, Softcover
Preis: 20,00 Euro
ISBN: 978-3-7416-3763-6
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