Nach vielen Abenteuern … Christian liest endlich wieder Sigurd.
Christian: Nach vielen Monaten habe ich meinen Plan wieder aufgegriffen, sämtliche Sigurd-Comics der 1950er und 60er-Jahre zu lesen. Zuletzt habe ich das Piccolo 80 von 1954 aus der Hand gelegt, nun fange ich 1968 bei den letzten Heften wieder an. Es hat sich viel geändert.
Krass ist die veränderte Statur von Sigurd. 1954 war die Figur noch eher athletisch und hochgewachsen, 1968 war er längst zum etwas ungelenken Kastenmann mutiert, was den Bildern leider etwas von ihrer Dynamik nimmt. Dennoch wären die Zeichnungen passabel, wenn nur die Farben nicht wären. Im Walter-Lehning-Verlag war man längst dazu übergegangen, die wenigen Farben, die zur Verfügung standen, im großen Stil abzuarbeiten, was zur Folge hat, dass die Seiten in Gelb und Pink völlig ersaufen. In den Gebirgen sind häufig die vorderen Felsen in einem weißlichen Gelb, die Felsen weiter hinten hellrosa, ganz gelegentlich die noch weiter hinten liegenden Felsen grau gehalten, ein Farbschema, das auch in – eigentlich – dunklen Höhlen und bei Nachtszenen nicht bis kaum variiert wird und völlig planlos wirkt. Wie schön wären diese Hefte, hätte man auf die Farben nur verzichtet. Sie wären wie die italienischen Zagor und Tex-Hefte. So wie Walter Lehning seinen Wäscher veröffentlicht hat, hat er ihm großen Schaden angetan und so schade es auch war, dass 1968 mit allen Serien Schluss war – irgendwie war es auch an der Zeit, dass der Spuk vorbei war.
Inhaltlich hat der Meister für seine letzte Story (Heft 243 bis 257) ein reizvolles Thema aufgegriffen. Der Wirt einer kleinen Schenke versucht sich in seiner Freizeit als Goldmacher. An dem Abend, als Sigurd, Bodo und Cassim bei ihm zu Gast sind, tönt er, dass die Sterne günstig stünden. Ein halber Fledermausflügel, das Auge einer Kreuzotter, eine Prise gemahlener Krötenknochen – und dann ist da noch das Goldstück, das ihm Cassim in einem unaufmerksamen Moment in den Tiegel gibt, und schon glaubt der Mann, es wäre ihm nun tatsächlich gelungen. Das weckt Begehrlichkeiten. Bald hat der arme Mann eine fiese Räuberbande am Hals und einen Räuberhauptmann, der ihn zwingen will, ab sofort für ihn Gold zu machen. Aber selbst wenn es den Freunden gelingen würde, den armen Wirt zu befreien: Würde nicht als nächstes der gute Graf Corte ebenso für sich Gold machen lassen wollen? Hansrudi Wäscher reißt damit auch eine politische Dimension an, dass auch der Mächtige, der für Gerechtigkeit sorgen kann, vor Machtmissbrauch nicht gefeit ist – und hat nicht den Porzellanhersteller Böttger genau dieses Schicksal ereilt (1705 – siehe Wikipedia)? Wäscher erzählt ein großes, reizvolles Drama, ausgelöst durch einen Streich. Wer an den schlimmen Farben vorbeischaut, kann eine sehr unterhaltsame Zeit verbringen.
Mit Nummer 257 war dann Schluss. Mit Ach und Krach gelingt es noch, das Abenteuer einigermaßen zu beenden, nur der vollendende Abschluss blieb noch aus. Der wurde 20 Jahre später in einem Nachdruck des Norbert-Hethke-Verlags nachgereicht, eine letzte spannende Wendung mit Verfolgungsjagd und Tod des Schurken, was aber vor allem eines bewies: Sigurd-Geschichten sind nicht sonderlich spannend, wenn nicht stetig das Prinzip des Cliffhangers und der sich ineinander schachtelnden Plots gepflegt wird. Da helfen auch der ausgefeilte Stil und die besseren Farben nichts. Eine alternative Fortsetzung gab es dann noch mal 27 Jahre später durch den Ingraban Ewald-Verlag. Sie war näher an dem, was Wäscher ursprünglich ‘68 im Sinn hatte und bringt die Story viel zügiger und ohne künstliches Zerdehnen zum Abschluss. Das ist gute Arbeit, die bei Ewald gemacht wird und die seitdem im Stil Wäschers fortgesetzt wird. Seitdem geht die Heftchenserie weiter, als wäre es immer noch ’68 und die Farbgebung passt jetzt auch, womit die Ewald-Hefte durchaus viel Spaß machen.
Ach Norbert Hethke: Hansrudi Wäscher hätte ja damals 1984/85 durchaus gerne noch länger an seinen neuen Fenrir-Geschichten geschrieben, die einige neue Akzente setzten, aber Norbert Hethke wollte unbedingt wieder Sigurd haben. Als dann die ersten neuen Stories „Kampf um Irf“ und „Die Geisterinsel“ zu fantastisch waren, musste Wäscher dann schon wieder seine Interessen zurückstecken und einen „realistischeren“ Sigurd in Szene setzen. Der war nun zwar keine Katastrophe und zeichnerisch durchaus ambitioniert, aber der Schwung war raus und sollte nie mehr richtig wieder kommen.
Nichtsdestotrotz sollten noch viele Arbeiten für Hethke folgen, so dass man wohl schon von einer gelungenen Zusammenarbeit reden kann. Der Pragmatiker Wäscher wird gewusst haben, wie er mit Hethkes Wünschen am besten umgeht, er war ja schon seit jeher in der Lage, auf Zuruf neue Helden zu kreieren. Irgendwie lässt einen die Frage aber doch nicht los, was sonst noch hätte sein können.