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Mythen der Antike – Die Odyssee

Mit der Odyssee widmet sich die Splitter-Reihe „Mythen der Antike“ einem Klassiker der griechischen Antike.

Alle Abbildungen © Splitter Verlag

Literaturklassiker zu adaptieren, ist bekanntlich einigermaßen bequem, erfolgversprechend und anschlussfähig auch für ein Publikum, das Comics erst zur Kenntnis nimmt, wenn der Buchhändler des Vertrauens sie in ein Regal sortiert hat, das „Graphic Novels“ zu versammeln verspricht. Umso lukrativer ist natürlich, wenn die Autor*innen längst verstorben sind, denn 70 Jahre nach dem Tod des Verfassers erlischt das Urheberrecht, so dass man keine Lizenzgebühren mehr zahlen muss, wenn man Kafka (seit 1995), Thomas Mann (ab 2026), Bertolt Brecht (ab 2027) adaptieren möchte. Homer, mutmaßlicher Verfasser der antiken Epen Ilias und Odyssee, ist, sofern es ihn überhaupt jemals gab, nun lange genug tot, um Rechtskonflikten aus dem Weg gehen zu können.

Dieser Comic bemüht sich, die Leser*innen in seinen Bann zu ziehen: Überlieferungsgeschichtliche Fragen oder Widersprüche spielen keinerlei Rolle, stattdessen geht es um die Handlung an sich, und im Falle der Odyssee ist das Action pur.

Die Handlung setzt direkt nach dem Trojanischen Krieg ein, der in der Illias geschildert wird. Odysseus, der zuvor den Plan mit dem berühmten Pferd ausgeheckt hatte, befindet sich auf dem Rückweg nach Griechenland. Noch ahnt er nicht, dass seine Reise eine Irrfahrt werden würde, die als geflügeltes Wort von einer „Odyssee“ in unseren Wortschatz übergehen würde.

Auf der Insel der Kikonen begehen die Soldaten Odysseus‘ aus Rache ein Blutbad unter den Einwohner*innen, müssen allerdings selbst herbe Verluste einstecken, als diese aus einem Hinterhalt heraus zurückschlagen. Auf der Insel der Kyklopen wähnen sie sich in einem Paradies, bis sie bemerken, dass die Höhlen von einäugischen Riesen, Zyklopen eben, bevölkert werden. Sie werden von Polyphem gefangen genommen, und nur eine List des Odysseus kann sie aus der misslichen Lage befreien. Der Zyklop büßt dabei ein Auge ein, also sein einziges, und verflucht die herabziehenden Griechen. Wo auch immer die Seefahrer landen, bei Kirke, bei den Sirenen, bei Kalypso – die Gefolgschaft des Seefahrers schrumpft immer weiter zusammen, bis schließlich nur noch Odysseus selbst übrig ist.

Er kehrt zurück in sein altes Königreich Ithaka und zu seiner Frau Penelope. Um die seit zehn Jahren verhinderte Heimkehr ungestört zu ermöglichen, hat Athene die Gestalt des Odysseus verändert: Als Greis begegnet er alten Weggefährten und seinem Sohn Telemachos, um schließlich seinen alten Palast aufzusuchen. Penelope wird inzwischen von zahllosen Verehrern belagert, die Anspruch auf ihre Hand und damit auf das Königreich Ithaka anmelden. Das kann der alte Krieger natürlich nicht auf sich sitzen lassen …

Es ist wenig überraschend, dass die actionreiche Handlung erhebliche Kürzungen und Verknappungen vornehmen musste, und auch die Vereinfachung der Erzählweise durch eine andere Reihenfolge der Schilderungen trägt der Reduzierung auf (im französischen Original) vier Alben Rechnung. Um den Stoff nicht ganz und gar auf Action zu reduzieren, bietet das Nachwort von Luc Ferry natürlich jede Menge Kontextwissen.

Aber auch die Zeichnungen von Guiseppe Baiguera (Bd. 1) und Giovanni Lorusso (Bd. 2-4) warten mit so manchen Details auf, die sich aus dem bloßen Zusammenhang der Bildfolge kaum erklären lassen. So lässt Odysseus sich im Hause des Alkinoos in der erkalteten Asche einer offenen Feuerstelle nieder, ohne dass sich dem Leser ein Sinn dieser Handlung erschließen könnte. Es handelt sich dabei um ein Ritual der Hikesie, mit dem eine Person die Götter um Schutz anruft, aber diese Interpretation bleibt den Leser*innen überlassen. Das kann man nachlässig finden, oder man schätzt diese dezente Anspielung auf das Original, hier in der Übersetzung von Johann Heinrich Voss:

„Aber erbarmet euch mein, und sendet mich eilig zur Heimat;
Denn ich irre schon lang‘, entfernt von den Freunden, in Trübsal!
Also sprach er, und setzt‘ am Herd in die Asche sich nieder
Neben dein Feu’r; und alle verstummten umher, und schwiegen“
(7. Gesang, V. 151-154)

Die Odyssee ist im Original in Hexametern verfasst, also in Versen, und lange galt die deutsche Übersetzung von Voss aus dem Jahr 1781 als „Gold-Standard“ der Homer-Philologie, inzwischen aber gibt es verschiedene Übersetzungen in Prosa und auch in modernerer Sprache. Das Szenario von Clotilde Bruneau hat die mehr als 12.110 Verse auf Panels über einen Umfang von 192 Buchseiten komprimiert – weitere 30 Seiten umfasst der kunst- und kulturhistorische (und mitunter etwas sperrig geratene) Anhang von Luc Ferry. In Frankreich erschien das Comic-Original übrigens in vier Bänden zwischen September 2017 und Dezember 2020.

Natürlich ist der Comic eine dankbare Alternative zum umfangreichen Epos, wenngleich Altphilologen auch in Zukunft nicht umhin können, das Original zu lesen. Der Comic wagt keine großen Experimente, erzählt aber routiniert und unterhaltsam eine der bekanntesten Geschichten unserer Kultur.

Nicht auf dem Holzweg

7von10Mythen der Antike – Die Odyssee
Splitter Verlag, 2021
Text und Zeichnungen: Luc Ferry, Clotilde Bruneau und Guiseppe Baiguera, Giovanni Lorusso
Übersetzung: Harald Sachse
224 Seiten, Farbe, Hardcover
Preis: 39,80 Euro
ISBN: 978-3-96219-408-6
Leseprobe

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