Comics und Helden? Nicht überraschend. Und Herkules? Auch nicht. Und dennoch gibt Herakles von Clotilde Bruneau, Annabel und C.R. Duarte aus der Splitter-Serie „Mythen der Antike“ zu denken.
Vor Hulk Hogan und Tim Wiese galt Herakles (griechisch) bzw. Herkules (lateinisch) als stärkster Mann der Welt. Der einer Vergewaltigung Alkmenes durch den in Gestalt ihres Mannes erscheinenden Zeus entsprungene Halbgott hatte Kräfte, die bis heute sprichwörtlich sind. Der uneheliche Sohn zog die Wut Heras auf sich, der die Untreue ihres Göttergatten Zeus nicht verborgen geblieben war. Aber weder ihr Giftschlangen-Anschlag noch alle späteren Versuche, Herakles zu töten, waren erfolgreich.
Wir lernen in Herakles einen unbändig kräftigen, aber auch jähzornigen und maßlosen Helden kennen. Grausam schildern Bruneau und Annabel, wie Herakles seine Kinder, die er mit seiner Frau Megara hat, in einem wahnhaften Anfall, verursacht von Hera, tötet. Die Herkulesaufgaben stehen im Zentrum der Erzählung: zwölf von Hera erdachte Aufgaben, in deren Verlauf Herakles sterben oder wenigstens verzweifeln soll.
Bruneau erzählt sorgsam an den bei Homer, Euripides, Appolodor etc. überlieferten Mythen entlang und erfüllt damit wohl den Bildungsauftrag, den der die Serie betreuende Luc Ferry, ehemaliger Bildungsminister Frankreichs, sicherlich diesen Comics abverlangt. Es fehlt etwa die Szene von Herkules am Scheideweg, ein wenig überraschend, gehört sie doch zum ikonografischen Kanon der Herkules-Sagen.
Die Helden der griechischen Antike als Vorläufer der Comic-Superhelden zu interpretieren oder von diesen abzugrenzen (wie Umberto Eco in Apokalyptiker und Integrierte, 1964, dt. 1984), ist so naheliegend wie die ständigen Wiedererzählungen der gleichen Geschichte als ‚Arbeit am Mythos‘ (Hans Blumenberg) zu lesen.
Wie Literaturadaptionen rufen auch Mythenadaptionen bzw. -fortschreibungen bei mir immer starkes Misstrauen hervor: Zum einen liegt der Verdacht nahe, sich der Popularität einer „starken Marke“ (wie Kafka oder Herkules) bedienen zu wollen und von dem Bekanntheitsgrad des Themas zu profitieren. Auch und gerade mit einem Auge auf Schüler*innen, denen die Lektüre von Homers Epen zu umständlich ist, ganz in der Tradition der „Classics Illustrated“. Das ist keine schmeichelhafte Aufgabe für Comics, die als wertvoll erachtet werden, wenn sie klassisches Bildungsgut transportieren. Wobei wir auch stets ehrlich zu uns bleiben sollten: Wer greift schon täglich in seinem bzw. ihrem Klassiker-Bücherregal zu Dante, Homer und Shakespeare?
Zum anderen, und dieser Vorwurf wiegt schwerer, biedert sich eine Literaturadaption fast Notwendigerweise einem elitären FAZ-Publikum an, dessen Ansprüchen er wahrscheinlich nie wirklich gerecht werden kann. Obwohl Comics längst nicht mehr in Bausch und Bogen als Populär- oder Subkultur bezeichnet werden können, ist die Kluft zwischen bunten Bildfolgen und griechischer Mythologie à la Homer denkbar groß.
Genau dieser Kluft widmet sich die Splitter-Serie Mythen der Antike, wissenschaftlich betreut von Luc Ferry, einem vormaligen Bildungsminister Frankreichs. In bislang neun Comic-Projekten im Albenformat, die Szenarios jeweils von Clothilde Bruneau, die Zeichnungen von verschiedenen Künstler*innen, werden klassische griechische Mythen neu erzählt: Homers Ilias und Odyssee, Daidalus und Ikarus, Antigone, König Midas, Oedipus, Perseus und Medusa, Theseus und der Minotauros, Jason und eben Herakles. Letzterer erschien zuerst in drei Bänden zwischen März 2017 und September 2020 bei Editions Glenat. In Kürze folgen Eros & Psyche sowie Prometheus und die Büchse der Pandora.
Herakles ist nicht der erste Auftritt des griechischen Kraftmenschen im Comic: Neben vereinzelten Auftritten bei DC Comics (etwa 1940 bei Wonder Woman) hat er dort 1975 mit Hercules Unbound auch eine eigene Serie gehabt, die ihn in eine ferne Science-Fiction-Zukunft versetzt. 2015 erschien bei Splitter die Science-Fiction-Trilogie Herkules von Jean-David Morvan, die den antiken Helden ebenfalls in eine andere Zeit transformiert hat.
Der aktuelle Herakles erzählt viel akkurater und dichter an den Quellen, nicht ganz unähnlich Hera zum Ruhm (eine wörtliche Übersetzung von „Herakles“) von Serge le Tendre und Christian Rossi (Schreiber & Leser). Bruneau modernisiert nur sprachlich, nicht aber inhaltlich, und belässt den Mythos so befremdlich, wie er manchmal auch sein sollte – immerhin ist die Geschichte mehr als 2.000 Jahre alt.
Das erste Kapitel, identisch mit dem ersten der drei ursprünglich angelegten Alben, ist von Annabel wunderschön und detailreich illustriert worden: In den Nahaufnahmen kommt der Schrecken der Figuren über die Taten und Untaten von Herakles gut zur Geltung. In den muskelüberwucherten Zeichnungen des belgischen Zeichners Duarte für die beiden Folgebände nehmen die dynamischen Kampfszenen mehr Raum ein – beim Blättern kann man diesen Zeichner*innenwechsel etwas bedauern, denn der Einstieg mit Annabel ist schon sehr ansehnlich geraten.
Wem die Lektüre der griechischen und lateinischen Klassiker zu mühsam ist und wer Gustav Schwabs Mythen-Longseller Sagen des klassischen Altertums nicht zur Hand hat, kann sich mit Herakles auf eine ebenso zuverlässige wie kurzweilige Lektüre einlassen. Das kulturgeschichtliche Nachwort von Luc Ferry ist ein bildungsbürgerliches Feigenblatt, das dieser Comic eigentlich gar nicht nötig hat.
Splitter Verlag, 2020
Text: Luc Ferry, Clotilde Bruneau
Zeichnungen: Annabel sowie Carlos Rafael Duarte
Übersetzung: Harald Sachse
168 Seiten, Farbe, Hardcover
Preis: 35,- Euro
ISBN: 978-3-95839-292-2
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