Kurz die Handlung, aber keine Angst, es wird besser: In einem verwunschenen Wäldchen im heutigen Spanien erwachen scheinbar zufällig der verbitterte Dämon Xamain und sein elfenartiger Bewacher Grian aus jahrhundertelangem Schlaf.
Xamain, erbost über den maroden Zustand der Welt, will die unbelehrbare Menschheit auslöschen, aber braucht dafür eine spezielle Triskele. Eine Triskele ist das aus drei einander jagenden Strudeln bestehende grenzwertige alte Symbol, das manchmal auf Schildern von Creperien auftaucht, diese hier fungiert als Landkarte für magische Plätze.
Parallel dazu kommt der schüchterne und schusselige Archäologe Artur Regio (lies: König Artus) Aufzeichnungen über diese Triskele auf die Spur, hinter denen und hinter der schnell verschiedenste, machtgierige Pseudo – Magier mit bösen Absichten her sind, darunter Arturs korrupter Doktorvater (der aussieht wie Boris Johnson). Mit der Hilfe von exzentrischen Verbündeten, die er auf dem Weg trifft, macht sich Artur ebenfalls auf die Suche nach der Triskele und kämpft damit, zunächst unwissend, gegen Xamain und verblendete Sterbliche um das Schicksal der Menschheit.
Diese Geschichte, oder zumindest eine sehr ähnliche, wurde im Comic alleine in der Reihe Hellblazer mehrere hundert Male erzählt, und Die Lethargie ist nicht gerade eine brillante Variante. Interessant ist auf dieser Ebene allenfalls, dass Prado völlig auf alle Stilelemente des Horrors verzichtet und ganz auf verschmitzten Magischen Realismus setzt, der hier hell und romantisch daherkommt.
So unbefriedigend die Erzählung als Ganzes ist, so großartig sind einzelne Szenen, Momente oder Handlungsstränge erzählt. Prado, schon immer ein geschickter Szenarist, entpuppt sich hier als Meister des Bildaufbaus und der Bildfolge im Dienst der Geschichte. Unser Blick saust gelenkt von einer Richtung in die andere, steigt auf und taucht ab, zoomt nahe heran und zieht sich distanziert zurück. Im Film als problematisch geltende extreme Perspektivwechsel wie Achsensprung und Reißschwenk werden permanent eingesetzt. Obwohl die Bilder die meiste Zeit spanische Landhäuser in idyllischer Umgebung zeigen, ist die Lektüre schweißtreibend. Die ständig wechselnden Bildhintergründe verraten meist mehr über das Innenleben der Figuren als ihre Sprechblase. Und überall warten Wunder und Schocks.
Einmal mehr malt Prado offensichtlich kantige Zeichnungen farbig direkt auf dem Papier aus, das Ergebnis erinnert an zersplitternde Glasfenster unter Weichzeichner. Auch wenn mir persönlich das etwas zu bunt mit zu viel grellem Flaschengrün ist, sieht es spektakulär aus und vermittelt, passend zur Geschichte, einen Eindruck von leicht distanzierter Schwärmerei für das organische Leben. Die Lethargie ist ein sinnlicher Comic ohne jede Erotik, der im Licht zwischen den Bäumen schwelgt, in der Textur von aufgewühlter Erde und in den ballettartigen Bewegungen von rot glühenden Hirschkäfern (die möglicherweise für den ganzen Schlamassel verantwortlich sind). Einige der besonders grünen Bilder erinnern dabei an die jüngeren Arbeiten David Hockneys, die bei diesem Band ganz sicher zu Prados Einflüssen gehörten.
Die Lust an visueller Pracht beschränkt sich dabei nicht auf die Natur: ja, genau so, wie es hier aussieht, sieht in der Sonne leuchtendes Kopfsteinpflaster aus, genau so, wie sie hier aussehen, fühlen sich etwas zu heiße, beinahe ausgestorbene Städte an einem leeren Nachmittag an, und genauso trotzig tragen darin junge Künstlerinnen ihre Bewerbungsmappen durch die Straßen.
Die Figuren, die Prado durch diese Traumlandschaften schickt, scheinen dagegen in ihrer physischen Unterschiedlichkeit kaum der gleichen Spezies anzugehören (auch wenn sie es größtenteils tun): Ein kleinwüchsiger Profischläger und -killer und ein hipper, schlacksiger Kunstfälscher könnten so auch aus Prados fiesen alten Geschichten über den „Täglichen Wahn“ stammen, ihnen gegenüber stehen großäugige Bilderbuchkinder und aufragende, stocksteife Adelige. Diese ansprechende Vielfalt wird durch den Dämon Xamain gekrönt, unsere heimliche Hauptfigur, der nicht nur äußerlich an einen intelligenteren und böseren blauen Hellboy erinnert (seine unwirklichen Farben sind vielleicht eine Verneigung vor Pans Labyrinth von Del Toro), sondern auch in seiner Verkleidung als zynischer Mensch eine furchteinflößend gute Figur macht.
Mit der Lethargie führt Prado eine Tradition des europäischen Autorencomics fort, die im Guten wie im Bösen kaum etwas mit dem Serienprinzip und dem postmodernen Pulp, den erzählerischen Finten und Offenbarungen englischsprachiger Comics gemein hat. Prado hätte keine Verwendung für einen Plot von bspw. Grant Morrison oder Jeff Lemire. Sein selbstbewusst künstlerischer Bilderreigen setzt nicht auf Dramaturgie, sondern ganz auf die Erfahrung neuer Blickwinkel auf, unter und hinter die Erde.
Eigentlich, so heißt es, sollte Xamain erst dann erwachen, wenn diese Erde entweder eindeutig ökologisch gerettet oder eindeutig dem Untergang geweiht ist. Wie würde er das herausfinden? Käme das in den Nachrichten? Und nun bebt er vor Verachtung, weil die träge Menschheit weder den einen, noch den anderen Punkt erreicht hat. Woher weiß er das nun wieder? Aus den Nachrichten?
Immer das Gleiche mit diesen Kunstmärchen. Aber schöner wird`s vermutlich nicht.
Alles voller Augenweiden: bildgewaltiges und sehr grünes Kunstmärchen aus dem Hier und Jetzt, voller Witz und guter Szenen, leider mit löcheriger Story.
Carlsen, 2021
Text und Zeichnungen: Prado
Übersetzung: André Höchemer
112 Seiten, Farbe, Hardcover
Preis: 22,00Euro
ISBN: 978-3-551-74858-4