Mit Todd Phillips‘ Joker ist den Warner-Studios eine sehr rentable Comicverfilmung gelungen, die unbeschwert vom Ballast eines großen Filmuniversums und vergleichsweise kostengünstig realisiert werden konnte. Zwar wurde bei den DC-Filmen schon des Öfteren auf andere Akzente gesetzt als bei Marvel, aber so richtig in Tritt gekommen ist man bisher doch eher nicht. Stattdessen bewegte man sich unentschlossen zwischen düsteren Filmen wie The Dark Knight auf der einen und einem an Marvel orientiertem Shared-Universe-Ansatz auf der anderen Seite, was bei Filmen wie Patty Jenkins‘ Wonder Woman und Zakk Snyders Batman v Superman: Dawn of Justice ja auch durchaus seinen Reiz hatte.
Und nun ein weiterer Richtungswechsel. In Joker herrscht ein Realismus, der den Marvel- und DC-Comics der späten 1980er Jahre nahekommt. Damals schlugen Autoren wie Frank Miller, Mike Grell, Howard Chaykin oder Alan Moore in den amerikanischen Serienheftchen einen Tonfall an, der diese weit weg führte von der Naivität des Silver Age. Plötzlich waren Anleihen an Filme des New Hollywood der 1970er auszumachen. Gleichzeitig deutete damals aber noch nichts auf die exzessive Düsternis von Christopher Nolans später entstandenen Batman-Filmen hin, die eben keineswegs „realistisch“ sind. Zwar bemerkt man auch bei Christopher Nolans Batman-Filmen den nachhaltigen Einfluss von Frank Miller, doch herrscht in seinen Filmen ein grotesker Tonfall, der in Atmosphäre wechselweise an Filme wie Fight Club, Matrix, Robocop oder Saw erinnert, aber sicher nicht an Serpico, Dirty Harry, Death Wish oder Taxi Driver. Aber genau da kam Frank Millers Batman her. Und genau dort knüpft Joker an.
Die Klarheit des Joker-Films verblüfft. Das wird vor allem gegen Ende des Films bewusst, als die Origin-Story des „Clown-Prince of Crime“ auserzählt und die Wandlung des armen Clowns Arthur Fleck zum Joker vollzogen ist. Genau an dieser Stelle, dachte ich mir, wäre der ideale Zeitpunkt für den Film, zu enden. Sicher aber, so meine durch jahrzehntelange Seherfahrung geprägte Befürchtung, würde jetzt noch einmal am Handlungsrad gedreht und eine weitere Eskalation mit großem Bumms aus dem Hut gezogen. Aber nein, der Film endet exakt an der Stelle, an der er seine Story auserzählt hatte, ohne Knall- und Schockeffekte und ohne Überlänge. Das ist im „Superheldengenre“, zu dem ich diesen Film definitiv nicht zählen möchte, tatsächlich ein Novum.
Und doch verleugnet der Film den Batman-Kontext nicht. Wenn die Origin-Story von Batman angedeutet wird, dann ist das nicht nur ein nettes Easter Egg, sondern auch eine Reminiszenz an die Batman-Hefte der späten 1980er Jahre, als ebenfalls oft und gerne auf die Urszene zurückgegriffen wurde, in der Bruce Waynes Eltern Thomas und Martha in der Crime Alley erschossen werden. Auch in Joker ist diese Situation und die Bildsprache, in der sie erzählt wird, vertraut, doch gibt es diesmal eine Akzentverschiebung zugunsten einer politischen Lesart – was den Batman-Mythos relevant wirken lässt und in einem erfrischend neuen Licht zeigt.
Was ist aber nun von dem Vorwurf zu halten, dass Todd Phillips‘ Film das Bild eines gekränkten Mannes zeichne, der Amok läuft, weil er an den Verhältnissen scheitert? Der Text „Reaktionärer Backlash gegen MeToo – Was die Kritik an ‚Joker‘ über Hollywood verrät“, der am 8.10.2019 auf der Internet-Seite des Tagesspiegel erschien, macht deutlich, dass man in den Joker-Film reaktionäre Tendenzen und gar eine Gegenposition zur MeToo-Bewegung hineinlesen kann, wenn man die Hintergründe einiger zunächst unauffälliger Details richtig beleuchtet. Als Beispiel sei hier die Verwendung eines instrumentalen Gary-Glitter-Stücks in einer Schlüsselszene genannt, die tatsächlich einen schalen Beigeschmack hat.
Es ist zu hoffen, dass diese Entscheidung auf Grund nicht vorhandenen Wissens getroffen wurde und nicht aus Zynismus und Provokationslust – ich möchte Provokationslust aber auch nicht ausschließen. Vielleicht sollte man bei Warner über eine neue Schnittfassung mit neuem Soundtrack nachdenken? Oder man akzeptiert, dass es sich um ein (nicht besonders beeindruckendes) Rock’n’Roll-Stück handelt, das auch in amerikanischen Sportstadien ohne Hintergedanken oft und gerne gespielt wird. Man kann auch zu viel in einen Film hineinlesen und hineininterpretieren.
Was unterm Strich zählen sollte, ist das zugespitzte, gut erzählte Abrutschen eines Underdogs, der nirgends Halt findet, bis er zuletzt eben doch eine Umgebung findet, in der er endlich jemand sein kann. Das ist leider ein glaubwürdiges Szenario. Todd Phillips hat mit Joker genau zum richtigen Zeitpunkt einen nachhaltigen Film gedreht, der weniger drastisch als befürchtet ist, aber den Zuschauer dennoch eiskalt erwischt.
Wer Batman: Year One mochte, wird Joker lieben
USA 2019
Regie: Todd Phillips
Drehbuch: Todd Phillips, Scott Silver
Hauptdarsteller: Joaquin Phoenix, Robert De Niro, Zazie Beetz