Das Neu-Erzählen von Geschichten ist so alt wie das Geschichtenerzählen selbst. Dass jedoch Comickünstler ihre eigenen Comics noch einmal komplett neu schreiben und zeichnen, dürfte ziemlich selten passieren. Olivia Vieweg hat es getan: Ihre Zombie-Story Endzeit, zunächst als Diplomarbeit entstanden und 2012 bei Schwarzer Turm erschienen, hat sie erst zu einem Filmdrehbuch gemacht (der Film soll nächstes Jahr ins Kino kommen) und dann noch einmal zu einem Comic-Remake verarbeitet – mit 280 Seiten fast viermal so dick wie das Ursprungswerk.
Die Grundzüge des Plots bleiben die gleichen: Wir befinden uns in einem heißen thüringischen Sommer, wo sich zwei Jahre vorher eine Zombie-Apokalypse ereignet hat. Nur in Jena und in Weimar ist es den Bewohnern gelungen, sich durch Zäune abzuschotten und die Seuche draußen zu halten. Zwei junge Frauen – die psychisch labile Vivi und die ältere und deutlich abgebrühtere Eva – werden unfreiwillig zu einem Gespann, das zu Fuß durch ungesichertes Gelände nach Jena gelangen muss.
Es ist gar nicht so einfach, dem Zombie-Genre, dessen Basiskoordinaten ja sehr simpel angelegt sind, immer noch neue Facetten abzugewinnen. Der Schauplatz Deutschland allein kann es spätestens seit der Zwerchfell-Reihe Die Toten (seit 2010) nicht mehr sein, aber Olivia Vieweg gelingt es sehr gut, eigene Akzente zu setzen. Diese liegen nicht so sehr in der Handlung als vielmehr in der Atmosphäre und Erzählweise des Comics. Der Fokus liegt hier nicht auf spektakulären Begegnungen mit den Untoten (obwohl es diese durchaus gibt), sondern auf den beiden Hauptfiguren und ihren – sehr unterschiedlichen – Charaktereigenschaften. Sie haben nicht nur einen Weg von A nach B zurückzulegen und Gefahren zu überstehen. Sie müssen auch zueinander und zu sich selbst finden, denn beide sind belastet von Geschehnissen der Vergangenheit, denen sie sich stellen müssen.
In Teilen ist Endzeit fraglos ein Horrorcomic. Es gibt harte und blutige Szenen und den ein oder anderen Schockmoment. Auf der anderen Seite hat der Comic eine fast poetische Grundstimmung. Die Einsamkeit und Menschenleere im Gebiet zwischen den beiden Städten hat etwas Schönes und Romantisches. Da kommt man dann auch mal ins Philosophieren: „Ich glaube, die Erde ist ’ne kluge alte Frau,“ sagt Eva einmal zu Livi, „und die Menschen haben ihr zu lange keine Miete gezahlt. Und das da draußen, das ist jetzt die Räumungsklage.“ Ganz wesentlich gestützt wird diese Atmosphäre von der Kolorierung: Hier holte sich Vieweg Unterstützung bei ihren KollegInnen Ines Korth und Adrian vom Baur, welche die hitzeerfüllte Landschaft in gleißendes Gelb-Rot tauchen, aber auch Nachtszenen effektiv in Szene setzen.
Zeichnerisch hat Olivia Vieweg, deren Werk für ihre 31 Jahre ja schon sehr umfangreich ist, ihren eigenen Stil längst gefunden. Von ihren Manga-Wurzeln hat sie sich über die Jahre emanzipiert, sie weiß dessen Stilmittel aber besonders in Actionszenen elegant zu nutzen. Insofern ist sie mit Endzeit wieder etwas näher an den Manga gerückt als in ihren Vorgängern Antoinette kehrt zurück oder Schwere See, mein Herz. Das Seitenlayout ist dagegen sehr klassisch, fast schon konservativ. Auf ungewöhnliche Panelformen oder -anordnungen wird komplett verzichtet, somit ist der Comic jederzeit sehr klar und einfach lesbar. Für Dynamik kann die Zeichnerin auch anders sorgen, zum Beispiel, indem sie auffällig oft mit Close-Ups sehr nah an die Figuren herangeht.
Vieweg ist nicht daran interessiert, anhand der Genrekonstellation mehr oder weniger tiefgründige Aussagen über Politik und Gesellschaft zu treffen, wie es bei vielen Zombie-Klassikern der Fall ist. Es gibt keine Lektion zu lernen, die Autorin bleibt sehr eng bei ihren Protagonistinnen und deren Überlebensstrategien. Wer mag, kann den Comic durchaus auch feministisch lesen – fast alle Figuren darin sind weiblich, Männer spielen einfach keine tragende Rolle und werden weder als Antagonisten noch als rettende weiße Ritter benötigt. Ohne groß darauf hinzuweisen, wird hier einfach eine spannende Geschichte erzählt, die auf männliche Figuren ganz selbstverständlich verzichten kann.
Endzeit hat nicht die Ambitionen, ein herausragendes Kunstwerk oder ein besonders vielschichtiger Comic zu sein. Der Comic will auch nicht sein Genre ironisieren oder dekonstruieren, er möchte einfach eine gute, spannende Geschichte mit interessanten Figuren erzählen. Auch das ist eine Kunst, und zwar eine, die man gerade hierzulande nicht allzu oft in dieser Qualität sieht. Olivia Vieweg bleibt innerhalb der Genrekonventionen, setzt aber genug eigene Akzente, mit denen sie diese aufzufrischen versteht. Trotz des düsteren Settings und einiger blutiger Szenen hat das Werk einen optimistischen Grundton und dürfte durchaus auch bei jugendlichen Leserinnen und Lesern Anklang finden.
Lesenswerter Horrorstoff mit eigener Note
Carlsen Verlag, 2018
Text und Zeichnungen: Olivia Vieweg
288 Seiten, Farbe, Hardcover
Preis: 22,00 Euro
ISBN: 978-3-551-76169-9
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