Zu einem kleine Subgenre der Dystopie hat sich seit ein paar Jahren die immer wieder aufs Neue variierte Erzählung des Todesspiels gemausert, in der sich eine Gruppe Menschen – meist sind es Jugendliche – auf Leben und Tod bekämpfen muss. Einer der bekanntesten Vertreter ist sicher Suzanne Collins‘ Die Tribute von Panem, aber auch Koushun Takamis Battle Royale ist inzwischen ein kleiner Klassiker. Ein Roman, der seit seinem Erscheinen 1999 bereits zwei Filme und eine Adaption als Manga nach sich zog.
Während Suzanne Collins in Tribute von Panem jedoch den ganz großen Entwurf einer Dystopie episch ausbreitet, wird in Battle Royale der dystopische Hintergrund lediglich kurz aufskizziert: Japan ist eine repressive Militärdiktatur, Rock’n Roll gilt als unsittlich und ist verboten, ansonsten wirkt das Leben der Menschen in Battle Royale in seiner alltäglichen Fassade sehr vertraut. Aber es gibt eben auch die „Spiele“, zu denen Schüler gegen ihren Willen zur Teilnahme gezwungen werden. Die Kids erhalten dabei jeder eine Sporttasche mit einer willkürlich ausgewählten Waffe und den Auftrag, alle anderen Mitschüler zu töten. Sollten sie das Spiel jedoch kollektiv verweigern und nach 24 Stunden kein Kill stattgefunden haben, explodieren die Halsbänder, die ihnen angelegt wurden.
Das ist schon eine bedrückende Prämisse, und anders als in den Tributen von Panem geht es in Battle nicht um das Überwinden der Strukturen und um den Umsturz des perversen Systems, sondern tatsächlich nur um den Überlebenskampf. Es ist fast eine Versuchsanordnung: Auf der einen Seite die braven Schüler, die sich an die verzweifelte Hoffnung klammern, vielleicht doch noch einen Ausweg zu finden, auf der anderen Seite die Raubtiere unter ihnen, die tatsächlich ins Spiel einsteigen und bald schon über Leichen gehen. Und während man sich noch die Frage stellt, ob man als Leser wirklich mit dabei sein möchte, wenn brave Schüler entweder sterben oder zu Mördern korrumpiert werden, ist man schon überrumpelt vom großen Erzähltalent von Autor und Zeichner.
Geschickt bringen uns Takami und sein Zeichner Masayuki Taguchi mit Rückblenden die Figuren nahe und erzählen dabei viel über die Hackordnung einer typischen Schulklasse. Da sind zum Beispiel Akamatsu, der vor allem deshalb zum willigen Täter wird, weil er sich bisher immer als Opfer gefühlt hat, oder der völlig empathielose Kiriyama (der freilich etwas unrealistisch dämonisch charakterisiert ist). Auf der anderen Seite gibt es gerade unter denen, die das Töten vermeiden wollen, sehr charismatische Führungsfiguren, die in der Lage sind, die schwächeren Durchschnittsschüler an sich zu binden, weil sie ihnen einen möglichen Ausweg versprechen.
Große Gefühle wie Hoffnung oder Verzweiflung, Liebe und Hass, werden auf immer neue Weise auf die Spitze getrieben, so dass Battle Royale zu einer Achterbahnfahrt ohne Beispiel wird. Es wäre jedoch ein zweifelhaftes Vergnügen, wenn diese Gefühlswallungen nur Manipulation wären, um den Leser ein ums andere Mal mit dem Tod einer Figur vor den Kopf zu stoßen. Aber Battle Royale geht über die reine Exploitation – die es natürlich auch ist – hinaus und erzählt durchaus einfühlsam. Wie fühlt es sich an, nur Mitläufer zu sein? Und wie ist es, wenn man die überraschende Chance erhält, selbst initiativ zu werden und aus der Opferrolle ausbrechen zu können? So ist es folgerichtig, dass die Schwächeren eher zur Gewalt greifen, während die Stärkeren die Macht haben, auch selbstlos handeln zu können.
Battle Royale taucht tief ein in die Angstwelten der jungen Menschen und spiegelt in verdichteter, zugespitzter Form das pubertäre Gefühlschaos. Damit ist es weit mehr als nur die offensichtliche Oper aus Action und Gewalt. Glücklicherweise hat sogar das Prüfergremium der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften diese Qualität erkannt und einen Indizierungsantrag für Battle Royale zugunsten einer Freigabe entschieden (weitere Hintergründe darüber können hier nachgelesen werden). Gemessen daran, wie viel Sex und Gewalt in diesem Szenario mit jugendlichen Akteuren enthalten ist, ist das tatsächlich ein erfreulicher Präzedenzfall und beweist, dass man von staatlicher Seite her gewillt ist, sich auch auf riskante Geschichten einzulassen.
Der Coververmerk „Ab 18“ ist aus gutem Grund auf den Covers von Battle Royale gedruckt. Dennoch halte ich es gerade für ältere Jugendliche aufgrund des großen Identifikationsangebots durchaus für adäquate Lektüre. Aber auch jeder Erwachsene, der keine Berührungsängste mit heftiger fiktiver Gewalt hat, kann bedenkenlos zugreifen. Battle Royale verkauft den Leser nicht für dumm, ist intelligent konstruiert, durchaus bedrückend, aber auch sehr unterhaltsam. Trotz des düsteren Hintergrunds zieht sich ein positives Menschenbild wie ein roter Faden durch die Handlung und bis zuletzt teilt man als Leser gerne die Hoffnung der Figuren. Battle Royale ist eine mitreißende Erzählung, in die man sich für viele Stunden fallen lassen mag.
Tokyopop präsentiert uns Battle Royale als überarbeitete Neuauflage. Die offensichtliche Veränderung gegenüber der Erstausgabe von 2008 ist, dass nun die japanischen Schriftzeichen für Soundwords mit ihrer deutschen Entsprechung untertitelt sind. Battle Royale wimmelt nun mit onomatopoetischen Kunstwörtern wie „Ssst“, „Strahl“, „Knarz“, „Tschak“, „Grack“, „Baduum“, „Szzmm“, „Dusch“ oder „Raschel“, was grafisch zum Glück wenig stört, das Kopfkino beim Lesen aber auch nicht wirklich bereichert. Leider fehlen dafür jetzt die Zwischentafeln mit Schlüsselbegriffen zum „Battle“, technischen Beschreibungen der Waffen und den Kurzportraits der Schüler. Schade, denn das vorrübergehende Verlassen der Erzählebene zugunsten eines dokumentarischen Einschubs bereichert die Geschichte durchaus. Aber vielleicht werden die Einschübe auch nur umarrangiert und zu einem späteren Zeitpunkt nachgereicht.
Battle Royale ist der perfekte Pageturner
Tokyopop, 2018
Text: Koushun Takami
Zeichnungen: Massayuki Taguchi
Übersetzung: Michael Ecke und Hana Rude
404 Seiten, schwarz-weiß, Softcover
Preis: 14,00 Euro
ISBN: 978-3842046276