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Die Erektion – Buch 2

Da stehen sie nun. Eine völlig aufgelöste Alexandra mit verschmiertem Make-up, eine dezent wütende Lea, der inzwischen völlig verunsicherte Florent und nicht zuletzt sein bester Freund, immer noch unter dem Einfluss der kleinen, unheilvollen Pille. Die Situation versteift sich zusehend, eine Entspannung scheint nicht in Sicht. Doch die Nacht hält noch einige Überraschungen bereit und wird dunkle Geheimnisse hinter der bürgerlichen Fassade offenbaren.

Die Erektion begann im ersten Buch mit den Voraussetzungen eines Theaterstücks. Alle Handlungen spielten an einem Ort, der Wohnung von Lea und Florent. Lediglich kurze Blicke auf den Hausflur und den Balkon wurden erhascht. Leider – das erste große Manko des Bandes – wird die Einheit des Ortes gebrochen, denn ab dem sechsten Akt begibt man sich auf die Straßen der Stadt, in die Wohnung der partyverrückten Nachbarn und nicht zuletzt in ein Hotelzimmer. Während man Leas Ausflug auf die Straße und in die Nachbarswohnung noch mit einer Auslassung hätte umgehen können, folgt Jim seiner Protagonistin, vertieft so zwar ihren Charakter, konterkariert aber sein eigenes Experiment. Nicht-Wissen wäre hier deutlich dem Wissen vorzuziehen, denn in diesem sehr eigenen Szenario hätte die Verschleierung bestimmter Geheimnisse deutlich zur Atmosphäre beigetragen.

Alle Abbildungen: © Splitter Verlag

Während Lea nun ihre Wut abreagiert, erfährt der Leser von einem Geheimnis zwischen Florent und Alexandra, eine Szene, die Lounis Chabane mit einem wirklich stilvollen Panel illustriert, das sich in der Farbgebung und reduzierten Palette vom Rest des Comics abhebt. Delphine, die Koloristin, tüncht die emotionalen Momente, das Lebendige, in rot-orange Töne. Das Geheimnis indes böte, gerade in der heutigen Zeit, idealen Sprengstoff zur völligen Eskalation und ließe ein Gedankenspiel zur Eigen- und Fremdwahrnehmung zu. In Süße Versuchung hätte ausgerechnet diese Tat nicht zur Versöhnung der Protagonisten beigetragen, sondern hätte, zumindest eine der beiden Personen, ruiniert. Der Erektion hingegen wird eine äußerst interessante Rolle zukommen, die zwar naheliegt, aber in diesem speziellen Fall tatsächlich zur Deeskalation und Aufmunterung zumindest einer Beteiligten beisteuert.

Besonders elegant geriet indes eine Sequenz aus vier Panels, von denen drei erneut kinematografisches Format einnehmen und den Balkon des Hauses zeigen, während man, einem Voyeur gleich, in den Fenstern der Wohnung den Protagonisten beim Diskutieren zusehen darf, ehe das finale, quadratische Panel, weitere Stockwerke des Hauses präsentiert. Eine deutliche Verbesserung zum ersten Band stellen auch die Gesichter dar, die nun nicht mehr an Grimassen erinnern.

Der zweite Band von Die Erektion gehört bereits zur zweiten Arbeit Jims, die nicht in allen Belangen überzeugt: Endete der zweite Band von Helena noch mit einem unfassbar fiesen Finale (und entkrampfte somit den sehr seltsam angelegten ersten Band, der noch vorgab, die Sichtweise des Hauptfigur zu teilen), das sich deutlich gegen seinen Protagonisten und sein traurig-verzweifeltes Verhalten stellt, schwächt hier der zweite Band zwar nicht narrativ ab, doch scheitert Jim letztendlich an seinem eigenen Experiment. Abseits der selbstauferlegten Einschränkungen gewährt der Verfasser jedoch erneut einen Blick ins Leben von Menschen in der Midlifecrisis, setzt sich mit ihren Nöten und Wünschen auseinander, diesmal sogar auch aus der Perspektive der Frauen, die nicht minder an sich selbst zweifeln wie die Männer – eine deutlich positive Entwicklung auf narrativer Ebene.

Gut erzählt, elegant gezeichnet, aber nicht ganz so überzeugend wie Band 1

Die Erektion – Buch 2
Splitter Verlag, 2018
Text: Jim
Zeichnungen: Lounis Chabane
Farbe: Delphine
Übersetzung: Resel Rebiersch
70 Seiten, farbig, Hardcover
Preis: 16,80 Euro
ISBN: 978-3-96219-024-8
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