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Meine Geschichten sind klüger als ich selbst! – Ein Interview mit Horus W. Odenthal

„Wenn im Wald ein Baum umfällt, und niemand ist da, es zu hören, gibt es dann wirklich ein Geräusch?“ Horus W. Odenthal schrieb diesen Satz 2014 im Nachwort seines Urban-Fantasy-Romans Stadt des Zwielichts. Daraus spricht das dringende Bedürfnis jeden Autors, auch gelesen zu werden.

Horus‘ Autorenkarriere begann in den späten 1980er Jahren mit ersten Comicprojekten wie Jarro oder Brennan Moore. Für seine dreiteilige Albenreihe Schattenreich konnte er amerikanische Küstler wie David Lapham, Alex Simmons und Colleen Doran sowie den Newsletter Comic Shop News für wohlwollende bis enthusiastische Empfehlungen seiner Serie gewinnen, später schaffte er den Sprung zu einem Großverlag, als er bei Egmont mit Wüstensöhne und Schiller zwei opulent produzierte Alben veröffentlichen konnte.

Die Feuer Ragnaröks, Cover der neuen Version

Dennoch erwies sich das Produzieren von Comics für Horus als Sackgasse, weshalb er das Comiczeichnen schlussendlich aufgab und nach neuen Wegen suchte, Geschichten zu erzählen. Ergebnis dieses Schrittes sind bisher 29 Romane, alle unter dem Schirm des von ihm geschaffenen NINRAGON-Universums, das mehrere unabhängig voneinander zu lesende Fantasy-Zyklen umfasst, einige in einem Sword-and-Sorcery-Setting, andere im Stil der Urban Fantasy.

Im folgenden Interview habe ich mich mit Horus über seinen bisherigen Werdegang und die kommenden, anstehenden Umbrüche in seinem Werk unterhalten.

Comicgate: In deinem Roman Stadt des Zwielichts gibt es einen Wanderer zwischen den Welten, der im Moment höchster Gefahr zu seiner mächtigsten Geheimwaffe greift: einer Beere aus einer früheren, bereits untergegangenen Welt. Derjenige, der sie einnimmt, kann die große Kraft der Beere für sich nutzen – eine Kraft, die daher rührt, dass es sich um „[d]ie letzte Spur des Elmssogs aus der Welt am Anderen Ende“ handelt. Wenn ich das lese, beschleicht mich das Gefühl, dass sich hier deine komplette Karriere wiederspiegelt. Steckt hier etwas Biografisches vom Comic-Künstler, der vom Comic in die Welt der Schriftsteller gewechselt hat und dabei Motive der nun verschütteten Comicwelt hinüber in die Prosa-Welt gerettet hat?

Horus: Nicht bewusst. Aber das will ja nichts heißen. Oft sind die Geschichten klüger als ihr Autor. Das hat sich ja auch schon in meinem Comic Post Mortem Blues dargestellt. Da habe ich auch erst später kapiert, dass die Geschichte schon sehr viel mehr wusste als ich zu dem Zeitpunkt. Die Protagonistin steht vor einer Mauer und weiß, ihr Leben geht erst weiter, wenn sie es schafft, auf die andere Seite zu gelangen. Das war mein letzter Comic. Das nächste, was ich gemacht habe, war, dass ich angefangen habe, Romane zu schreiben. Vielleicht bezieht sich die Beere, die das letzte Relikt von einem Ort ist, der in einer anderen Welt aus der Existenz getilgt wurde, ja auf das Erbe und die Substanz, die ich aus den Comics hinüber in die fantastische Prosa bringe. Wer weiß? Ein schönes Bild wäre es. Wie gesagt, meine Geschichten sind immer klüger als ich selbst.

War es im Rückblick betrachtet eine gute Entscheidung, das Comiczeichnen aufzugeben?

Sondercover mit Artwork von Horus

Ja, absolut. Siehe „Mauer“. Nicht, weil ich das Medium nicht mehr mag – auf keinen Fall. Aber ich persönlich kam da nicht weiter; da habe ich die Comics gern anderen überlassen, die dort besser tätig sein konnten als ich. Die Geschichten, die ich persönlich erzählen wollte, konnte ich im Comic nicht mehr erzählen. Nicht damals, nicht in der damaligen kommerziellen Situation des Comic-Marktes, nicht ohne Jahre auf eine Geschichte zu verwenden, die ich in Prosa ziemlich schnell erzählt hätte. Ich finde auch, dass ich besser schreiben als zeichnen kann. Und ich habe schon immer mehr zum Wort gestrebt, als manche Leser gern gesehen haben. Jetzt sähen sie vielleicht gern mehr Illustrationen zu den Geschichten von mir, aber das werden sie verschmerzen können. Die Bilder sind jetzt nicht mehr auf dem Papier, sondern im Kopf des Lesers. Für die, die trotzdem gerne Illustrationen vor sich auf dem Papier sehen möchten, gibt es die Sonderausgabe von Das Rad der Schatten mit irgendwo zwischen 250 und 300 Illustrationen, die aus dem Comic stammen, der die Geschichte inspiriert hat. Das Einzige für mich Bedauerliche ist, dass ich beim Zeichnen immer viel Musik gehört habe. Das geht für mich beim Schreiben leider nicht.

Würdest du sagen, dass du dich neu erfunden hast? Oder ist die Kontinuität in deinem Schaffen größer als der Bruch?

Die Kontinuität ist größer als der Bruch. Immerhin mache ich jetzt mit meinen Geschichten das, was ich als Serie mit meinem ersten Comic-Band Brennan Moore vorhatte. Von dem noch ca. drei Bände in der Schublade liegen, zwei davon nicht ganz vollendet. Schade, das wird wohl nie den Weg ins Gedruckte finden. Aber jetzt schreibe ich meine Saga und was ich geschrieben habe, wird veröffentlicht. Die Geschichte wächst und verzweigt sich. Wunderbar.

Kannst du etwas über das Entstehen deines NINRAGON-Universums erzählen? Wie lange hattest du das Projekt im Kopf, bevor es den Weg aufs Papier fand? Eine erste Version deines Urban-Fantasy-Zyklus um „Verlorene Hierarchien“ ist ja bereits in den 90ern entstanden.

Woah! Das ist eine einfache Frage mit einer komplizierten, beziehungsweise langen Antwort. Ich würde sagen, ich wusste nicht, dass ich das NINRAGON-Universum erschreiben wollte, bevor ich damit angefangen habe. Aber dann fiel auf einmal alles ineinander und passte. Es gab ein paar Schlüsselerlebnisse oder besser Schlüsselfragen, bei denen es Klick gemacht hat. Ich sage oft, „’Warum nicht?‘ ist eine der kreativsten Fragen.“

Ich gab mir eine jahrelange Abstinenz von der Fantasy – weil mich diese ganzen Klappentexte mit dunklen Herrscher*innen und Knaben der Prophezeiung und der ganze alte Mist schon endlos abgenervt haben. Aber dann habe ich angefangen, mir vorzustellen, wie denn Fantasy aussehen müsste, damit sie für mich interessant wäre. Dann flossen ein paar Sätze aufs Papier, von denen ich noch gar nicht wusste, was sie bedeuteten. Ich wollte etwas anders und für meinen Geschmack realistischer machen, ein Ansatz für dieses Buch – „Die Saga von Auric dem Schwarzen“ -, den ich heute so zusammenfassen würde: Barbaren sind Arschlöcher und Elfen sind Aliens. Als Protagonist fiel Darachel in die Geschichte, der schon im Comic Schattenreich auftauchte. Mein Arbeitskonstrukt war: Das ist er, nur sehr, sehr lange, bevor er zu dem wurde, als was er uns im Comic erscheint.

Nachdem dann ein zweiter Protagonist aus meinen ersten jugendlichen Schreibversuchen hereingeschneit kam, wurde aus dem Arbeitskonstrukt plötzlich die Gewissheit: Das IST tatsächlich der gleiche Darachel.  Die Frage war, was ist zwischen dem jetzigen und dem zukünftigen Darachel passiert, denn hier war er der Protagonist, dort der Antagonist, und das spannte den Bogen des NINRAversums auf, mit den beiden Geschichten „Die Saga von Auric dem Schwarzen“ und „Verlorene Hierarchien“ quasi als den Buchstützen, den Anfangs- und Endpunkten dessen, was man in dieser Welt erschreiben konnte.

Alle schwarzweißen Comicpanels sind aus den Schattenreich-Comics, erschienen bei Neun-Comics, 2001. Artwork by Horus

Der zweite Erkenntnismoment kam bei mir einfach mit der Befremdung demgegenüber, was damals als Fantasy galt. Elfen, Zwerge, Orks und Konsorten als Tolkien-Derivate, edles Geschwafel (ich mag Tolkien übrigens, nur der zwölfte Absud nervt), Heldenverehrung, nur heroische, gute Menschen und abgrundtief böses Gewürm, das man deshalb ohne Bedenken abschlachten darf. Diese ganze Mittelaltertümelei kam mir so viel weniger reizvoll vor als die Sachen, welche die Science Fiction als Tropes zu bieten hatte. Dann blitzte bei mir mit einem Mal die Frage auf: Kann man nicht eigentlich jedes Konzept unabhängig vom Genre erzählen? Kann man nicht auch die Themen der SF in der Fantasy verwenden, wenn man in anderer Sprache und Begriffen darüber redet? So wurde aus einem Roboter oder Androiden ein Homunkulus, Bewusstseinstransfer geht per Seelensteinen und so weiter und so fort. Daher ist NINRAGON vom Bewusstsein und vom Geist her ziemlich modern und gar nicht mittelalterträchtig.

Das Ausland folgte mir bald auf diesem gedanklichen Pfad, nur in Deutschland ist das in manchen Kreisen noch immer Ketzerei. „Wir haben unsere Orks gern dreckig und unsere Kampfmaschinen ohne Schmierfett.“ So bastelte ich munter an diesem Universum und möglichen ungeschriebenen und inzwischen geschriebenen Geschichten hin und her und plötzlich stellte ich fest, dass der imaginäre Endpunkt (der Comic Schattenreich) einerseits als Prosa nicht immer imaginär bleiben musste und andererseits sich die Comicversion sehr weit vom Kanon entfernt hatte. Der Entschluss, in „Verlorene Hierarchien“ den (kanonisierten) Roman dazu zu schreiben, lag auf der Hand.

Dein Romandebut ist 2013 für den Deutschen Phantastik Preis nominiert worden. Wie kam es zu dieser Nominierung? Hast du dein Debut selbst eingeschickt?

Mein Anteil war, von einem Freund auf meine Nominierung hingewiesen zu werden, mich zu freuen, dass ich es als Self-Publisher auf die Longlist geschafft hatte, auf der sonst nur Verlagsautoren waren, und dann ein bisschen mit Interviews und Hinweisen zu rühren, weil ich es schon klasse gefunden hätte, für die Self-Publisher eine Lanze zu brechen und eines ihrer Bücher vor dem der großen Verlage zu platzieren. Hat nicht ganz geklappt, aber auf dem Platz hinter Perry Rhodan als beste Serie zu landen, hat auch was. Ansonsten halte ich es mit dem Preise-Hämorrhoiden-Vergleich von Billy Wilder und schreibe munter meine Geschichten.

Was hat sich seither getan? Hat die Nominierung das Leserinteresse an den Geschichten sehr gesteigert?

Siehe oben unter „Billy Wilder“ und „munter Geschichten schreiben“. Und was das Leserinteresse betrifft … Vielleicht ein bisschen. Aber ansonsten erinnere ich daran, dass in Erlangen bestimmte Verlage lieber nicht den Max-und-Moritz-Preis bekommen wollen, weil sie das als geschäftsschädigend ansehen.

Um was geht es in NINRAGON eigentlich?

Puh, das ist eine Frage! Die ich auch nicht so generell beantworten kann. NINRAGON ist ja eigentlich nur der Name für eine Welt, in der die verschiedenen Geschichten angesiedelt sind. Jede davon steht für sich und unterscheidet sich von den anderen. Dabei gibt es natürlich bestimmte Verbindungen, die zu entdecken vielleicht einen gewissen Reiz ausmacht, wenn man die verschiedenen Geschichten liest. „Die Saga von Auric dem Schwarzen“ ist epische Fantasy, aber von der realistischeren, härteren und anspruchsvollereren Sorte. Ich denke, wer davor nicht zurückschreckt, hat eine Entdeckung vor sich.

Nicht umsonst ist es die Geschichte, welche die Leser am meisten polarisiert. Diejenigen, die leichte, süffige Lesekost erwartet haben, das übliche abgenudelte Schema mit Elfen, Orks, Helden und dem Knaben der Prophezeiung, möglichst ohne Nebensätze, sind hier ziemlich aufgelaufen und haben Gift und Galle gespien. Weil dieses Buch all das in Frage stellt. Die andere Seite des Spektrums bilden jene, von denen einer die „Auric“-Trilogie als das beste Fantasy-Werk der letzten Jahre bezeichnet hat. Und darüber habe ich mich sehr gefreut. Ich kann nur sagen, dass ich dort immer wieder was nachschlagen muss, dann regelmäßig daran hängenbleibe und bestimmte Szenen immer und immer wieder lese. Und wie ich hörte, bin ich da nicht allein.

Ich bin in meinem Erstlingsroman an einige der typischen Themen des Genres herangegangen und habe sie in Frage gestellt oder neu erfunden (siehe: „Barbaren sind Arschlöcher und Elfen sind Aliens“). Hinzu käme: Kriege sind nicht glorreich, sondern dreckig. Helden schlafen nachts schlecht und kommen mit dem normalen Leben nicht mehr so wirklich zurecht. Meine Frage war: Wie fühlt sich das an, was in normalen Fantasy-Romanen beschrieben wird? Alles eingepackt in den Stoff einer spannenden Geschichte über einen Barbaren, der für den Rest seiner Leute zu klug ist, in der Armee der kulturstiftenden Nation dieser Welt rasch Karriere macht und dabei, ohne es zu ahnen, in eine großangelegte Verschwörung gerät, die ihre Wurzel in uralter Zeit hat.

Homunkulus spielt in einer von einer Nichtmenschenrasse (man könnte auch Elfenrasse sagen) nach einer Invasion besetzten Stadt. Die Heldin Danak hat dem Söldnerleben und den Kriegen der Mächtigen den Rücken gekehrt und will ab jetzt für die kämpfen, für die es sich lohnt und die keine Lobby haben. Deshalb ist sie jetzt in dieser Stadt Rhun bei der Stadtgarde (also der Polizei). Sie glaubt, dass der nach wie vor schwelende Krieg nichts an ihrer ursprünglichen Mission ändern kann, nämlich diejenigen vor Gewalt zu beschützen, die es selbst nicht können – die einfachen Bürger. Dafür muss sie sich nur aus all dem anderen Kram raushalten. Spätestens nachdem man ihr als neuen Vorgesetzten einen Helfershelfer der Besatzer vor die Nase setzt und jemand in ihr Kader kommt, der von den Nichtmenschen erzogen wurde und sich nun als einer der ihren fühlt, merkt sie, dass das nicht so einfach ist. Erst recht nach dieser Rebellenaktion, in die sie hineingezogen wird.

Dann gibt’s noch ein paar kleinere Sachen und den großen Zyklus um die „Verlorenen Hierarchien“, der in unserer Welt und in unserer Zeit spielt. Der Leser weiß hier so viel wie der Held, der plötzlich in eine riesige Sache gerät, die in einem anderen Zeitalter ihren Anfang nahm. Derzeit mein Lieblings-Ding. Elfen mit Schwertern. Magie. Maschinenpistolen. Sonnenbrillen. Motorräder. Ein mythisches Schwert und eine alte Prophezeiung. Und eine andere Welt, in der nicht Technik, sondern Magie die Räder treibt; und in der Konflikte noch immer mit Schwertern ausgetragen werden, weil Schießpulver nicht funktioniert.

Wie sind deine Erfahrungen mit dem Self-Publishing? Welche Hürden sind zu überwinden?

Das Gute am Self-Publishing ist, dass man alles selber macht. Das Schlechte ist, dass man alles selber machen muss. Aber meine Oscar-Wilde-Persönlichkeit mal beiseite: Das Gute am Self-Publishing ist, dass man alles selbst unter Kontrolle hat, bestimmen kann, welche Geschichten man erzählen möchte, in welchen Längen und Formaten. Das Heikle am Self-Publishing ist, dass man, um direkt richtig dicken Erfolg zu haben, sich noch mehr an das, was gängig und Mainstream ist, halten muss. Im grauen Bereich dazwischen liegt, dass einen niemand zu einer Richtung zwingt, also man sich selber die Schuld geben muss, wenn man nicht zufrieden ist. Das Self-Publishing ist einfach die Zukunft, ob uns das gefällt oder nicht, und es hat sich bereits ein System aus zwei miteinander interagierenden Teilen, Verlagswelt und Self-Publishing entwickelt, und das wird in Zukunft nur umso mehr geschehen.

Man könnte es böse ausdrücken: Das Spektrum des Self-Publishing spannt sich zwischen zwei Polen auf: dem, was die Verlage sich schämen zu publizieren und dem, was sie sich nicht trauen zu publizieren. Die Herausforderung ist, die Kenntnis des Publikums, das Einssein mit einem Publikum mit dem Mut zu verbinden, Dinge zu tun, von denen die Leser noch gar nicht wissen, dass sie sie mögen werden, und die die Verlage nicht tun, weil sie dafür keinen Programmplatz haben und ihnen sonst Vertrieb und Marketing aufs Dach steigen. Die Hürde ist, dass man sich selbst gut organisieren muss, weil man ja sein eigener Chef und viele der Angestellten gleichzeitig ist. Und dass man zwischen dem Künstler und dem Vermarkter dessen, was der produziert, umschalten muss. In diesem Bereich lernt man nie aus.

Gehst du dann auch auf Self-Publisher-Messen?

Bisher eher selten, weil ich in den letzten Jahren sehr mit Aufgaben überfrachtet war, die damit zu tun haben, dass ich alle meine Bücher vom Markt genommen habe und jetzt einen kompletten Relaunch starte, der im Oktober mit der ersten Trilogie aus der Welt von „Verlorene Hierarchien“ losgeht, den Romanen Stadt des Zwielichts, Ruf der Anderswelt und Die Feuer Ragnaröks.

In diesem Jahr will ich aber zur Frankfurter Buchmesse, um einmal mehr meiner Kollegen aus dem Self-Publishing kennenzulernen. Ansonsten gibt es immer die Erwägung, ob man die Kraft, die Zeit und den Aufwand, die sowas verbraucht, nicht lieber in das nächste Buch steckt.

Würdest du irgendwann gerne zu einem „richtigen“ Verlag wechseln?

Man sollte niemals nie sagen. Macht mir einen guten Vertrag, ein Angebot, das ich nicht ablehnen kann und beweist mir, dass ich euch trauen kann, eurer Aufrichtigkeit und eurer Kompetenz. Ich bräuchte dazu Leute, denen ich vertraue. Und es muss für mich einen Grund dafür geben. Ansonsten: Nein, nicht zwingend. Kooperationen der verschiedensten Art auf Augenhöhe schließe ich aber nicht aus. Ja, das kann auch ein Verlag sein.

Außerdem bin ich ein richtiger Verlag. Nach den Erfahrungen, die ich gemacht habe, sogar richtiger als viele andere. Ich fühle mich bei mir jedenfalls gut und kompetent betreut. Um die gleichen Ergebnisse zu erzielen, müsste ich bei einem Verlag mehr als das zehnfache absetzen. Das muss ein Verlag erst einmal leisten. Einen Großverlag müsste ich dazu ganz schön durch einen ungeheuren Vorschuss unter Druck gesetzt haben, etwas für mein Buch zu tun. Oder sie „glauben“ an dich. Aber die Verlagswelt ist nun mal kein Theologieseminar mehr. Hier hat sich in der letzten Zeit einiges geändert.

Wie viel Aufwand steckt im Self-Promoting?

Viel. Ich mache das, was der Verlag macht; und was noch schwerer wiegt, ich mache das, was der Verlag heutzutage auf den Autor abwälzt. Das Gute ist, ich mache das nicht, was der Verlag noch immer aus reinen Gewohnheit macht, aber nichts bringt. Aber genauso wichtig wie das Self-Promoting ist die Selbstanalyse. Wie oft der Autor Horus beim Marketing-Mann und Verleger Odenthal auf der Couch liegt oder die beiden sich Stunden am Wochenende freischaufeln, um in aller Ruhe Kompasskontrolle zu machen, ruhig zu brainstormen oder (metaphorisch) miteinander Zigarren zu rauchen, geht auf keine Kuhhaut. Und meistens führt das dazu, dass die beiden in der nächsten Zeit einen Sack voll Arbeit haben.

Ganz ehrlich, vermisst du das Zeichnen?

(Denkpause)

Nein. Ich denke ich bin ein besserer Autor als Zeichner. Andererseits zeichne ich heute in fünf Minuten beim Telefonieren bessere Bilder als jemals während meiner aktiven Comic-Zeit. Und ich vermisse bestimmt nicht die Plackerei „in den Gräben“, wenn die eigentliche kreative Arbeit vorbei ist und man nur noch alles ins Reine zeichnen muss. Wenn ich heute noch einmal einen Comic zeichnen würde, dann müsste der ganz anders aussehen als die, die ich vorher gemacht habe. Viel einfacher. Ich schaue manchmal in einen Comic von Jack Kirby oder Hugo Pratt rein und denke: Ja, so geht’s!

Die meisten heutigen Mainstream-Comics lese ich eine Zeitlang gerne. Aber die Zeichnungen sind zu überblasen. Da muss sich nur jemand abquälen, um ein Level an Details und generischer Anmutung zu erreichen, die – wie man glaubt – verlangt wird, die aber niemand mehr sieht. Darum sind die Marvel-Filme auch besser als die Comics. Die Comics tun nur so, als wären sie ein Film. Viele Striche, die nichts bedeuten. Ich mag Striche, die etwas bedeuten. Oder etwas transportieren. Wenn man hinter ihnen eine Wirklichkeit sieht, wie bei einem Buch, das man liest, dann ist es richtig. Wenn sie wie eine Wand, wie eine feste Wirklichkeit vor einem stehen, dann stimmt was nicht. Das ist übrigens für mich auch bei vielen hochgelobten Alternativ-Comics oder „Graphic Novels“ der Fall. Übrigens ein komischer Begriff. Wobei ich gut verstehen kann, dass man sich nicht auf „Boring Comics“ einigen wollte.

Ist Erzählen in Textform anders als in Comicpanels?

Ja. Und nein. Und ja. Und nein. Seit ich mit den Comics aufgehört und mit den Romanen angefangen habe, bin ich durch verschiedene Phasen gegangen, in denen sich änderte, wie ich Comic und Schreiben in Beziehung gesetzt habe. Die erste war ein starkes Herleiten aus den Zusammenhängen des Comics, die zweite war „Comic hat gar nichts mit dem Schreiben zu tun und aus dem einen kann man nichts für das andere lernen“.

Inzwischen bin ich bei dieser Maxime angelangt: Sequenz ist der Kern belletristischen Erzählens. Alles andere ist nur Beiwerk. Sie rückt Comics und Schreiben für mich wieder näher zusammen, wenn auch auf einer anderen Ebene. Sequenz, Ablauf und Reihenfolge der Information ist alles. Wortwahl etc. sind nur die Tünche, die Werkzeuge. Sequenz ist der Kern. Übrigens ist der Comic keine „Sequenzielle Kunst“, sondern eine „Referenzielle Kunst“. Belletristik ist viel stärker Sequenzielle Kunst. Die Abfolge ist anders als beim Comic linear. Wäre ein Comic „Sequenzielle Kunst“, dann wäre ein festgelegter Weg durch eine ansonsten vollkommen zusammenhanglose Ausstellung ein Comic.

Was ist die Magie an Comics? Und warum fühlen sich mache Adaptionen falsch und unpassend an? Was hältst du überhaupt von Adaptionen von einem Medium ins andere?

Das hängt stark am Begriff der Adaption. Goethes Faust ist die Adaption eines deutschen Volksbuches. Jede Version einer Geschichte ist ein eigenständiges Werk, das den Erfordernissen des Mediums folgt. „Das war im Comic/Buch aber anders“ gilt nicht. Ja und? Die einzige Frage ist: Ist es ein guter Comic? Ist es ein guter Film? Ist es ein gutes Buch? Nimm eine Geschichte und mach was draus! Wenn einer aus einem guten Comic einen schlechten Film macht, dann ist er ganz schön in den Arsch gekniffen. Und wenn er etwas komplett anderes draus gemacht hat, was aber gut ist, dann stehe ich in erster Reihe und applaudiere.

Was ist die Magie an Comics? Dass sie dem eigenen Leserhythmus folgen und dir Luft lassen. Das geht aber am ehesten bei Comics wie Love and Rockets oder Hellboy. Darin kannst du untertauchen. Weil die eine Kombination von ein paar Linien dich so fesselt, dass du darin versinkst. Solche Comics sind eine Bereicherung durch die Wiederentdeckung der Langsamkeit. Viele Linien mit Wow-Effekt sind nur Möchtegern-Big-Screen-Filme, die mit einem sehr kleinen Budget auskommen, weil die SFX nur das Geld für Papier, Bleistift, Tusche und Feder brauchen.

Zurück zur Frage: Manche Adaptionen fühlen sich unpassend an, weil sie schlechte Filme sind. Andere Gründe lasse ich nicht gelten. Ich hänge nicht an Altem fest.

Ist es dein Ernst, dass du davon abrätst, die Schattenreich-Comics zu lesen? Immerhin äußern sich auf dem Backcover einige namhafte Künstler ziemlich wohlwollend, darunter Alex Simmons, Colleen Doran und David Lapham. Und auch die Autoren von Comic Shop News waren damals voll des Lobes.

Im ersten Moment war das mein Reflex. Es ist aber nicht mein Ernst. Nur sollte man wissen, worauf man sich einlässt. Ich habe ja vorher schon beschrieben, wie „Verlorene Hierarchien“ die „kanonisierte“ Neuerzählung von Schattenreich ist. Mit entscheidenden Änderungen, die erstens mit dem Unterschied der Medien Comic und Belletristik zu tun haben, zweitens eben durch den inzwischen entstandenen Kanon des NINRAversums bestimmt sind und drittens etwas damit zu tun hat, dass ich als Erzähler inzwischen gewachsen bin und daher die Geschichte anders erzählen möchte.

Der gewichtigste Unterschied ist wohl, dass die Kapitel 1-19 (von 21) des Comics ein Fünftel der Romane ausmachen. Man könnte also sagen, dass die eigentliche Handlung der Romane zwischen diesen Kapiteln spielt. Dadurch ändert sich einiges. Zum Beispiel das Hauptproblem des Helden und das Thema der Geschichte. In den meisten Fällen auch der Ausgang vieler Erzählstränge und die Ergebnisse der Geschichte. Aber eben nur in den meisten Fällen. Lest ihr den Comic, nehmt ihr es in Kauf, übelst gespoilert zu werden. Ihr wisst zwar nicht, in welcher Hinsicht, aber die Überraschung wird eben dann nicht mehr so überraschend kommen, als hättet ihr den Comic nie gelesen. Seid also gewarnt. Lest den Comic auf eigene Spoiler-Gefahr.

Wie kam es eigentlich zu diesen positiven Stimmen und den Kontakten zu den amerikanischen Künstlern?

Ich bin damals in die USA geflogen, bzw. mir wurde das von einem Freund gesponsert, wofür ich heute noch sehr dankbar bin, ging auf die San Diego Comic Con und habe festgestellt, dass die US-amerikanischen Künstler kein Mäppchen in der Mitte des Tisches aufbauen, damit man ihnen nicht auf ihre Schulhefte schauen kann. Ich erlebte viele der Künstler als sehr freundlich, sehr hilfsbereit und sehr nett. Als ich meine Sachen zeigte, nahm mich zum Beispiel Charles Vess spontan bei der Hand und meinte, er müsste mich jetzt erst mal ein paar Leuten vorstellen.

Die Comic Cons gehören für mich zu den besten Zeiten; dort gab es die tollsten Partys und großartigsten Erlebnisse, Anekdoten, die ganze Bücher füllen würden. Es entstanden daraus ein paar tiefe und lang anhaltende Freundschaften. Es waren die Hochzeiten der Self-Publisher und es herrschte eine wunderbare Aufbruchstimmung. Man hatte damals ein Gefühl von Gemeinschaft, dem nichts von Konkurrenz anhaftete. Das ist übrigens etwas, was ich auch heute wieder unter den freien Autoren hegen, pflegen und aufblühen lassen möchte. Obwohl einige da noch überzeugt werden müssen, weil sie es hier auch schon ganz anders erlebt haben. Stichwort: Mäppchen auf der Mitte der Bank aufbauen. Spaß an der Arbeit und Erfolg ist kein Mikrowellengericht, das man allein und mit engem Herzen verzehren sollte. Ich denke da eher an eine gemeinsame Bankett-Tafel, an der man sich an den Früchten der eigenen Arbeit erfreut, die umso üppiger ausfallen, je mehr man sie gemeinsam genießt.

In Schattenreich 3 war damals eine euphorische Ankündigung zu dem Buch Wüstensöhne, das einige Zeit später bei Egmont erschien. War das damals schon mit Egmont geplant oder ergab sich das später?

Nein, dazwischen lag die geplante Zusammenarbeit mit einem launigen Kleinverleger, der uns dann aber übel hat hängen lassen und sogar später eine nicht von mir autorisierte Druckversion einer meiner Geschichten unter die Leute gebracht hat. Je weniger man über ihn sagt, umso besser. Dann hatte ich ein Treffen mit Georg Tempel, dem besten Chefredakteur der deutschen Szene und ein toller Kerl, und er fragte mich, warum er ausgerechnet so einen Comic bringen sollte, und dann habe ich es ihm gesagt. Der Comic war nicht der größte Verkaufserfolg des Verlages, aber in einem anderen Umfeld, mit Georg noch immer als Redakteur, hätte er sich gut in dessen Portfolio gemacht. Dann hätte man mich auch vielleicht als nominierten Autor zur Verleihung des Max-und-Moritz-Preises eingeladen.

Spätestens mit dem Schiller-Comic hast du dich sehr stark von Schattenreich entfernt. Ist Schattenreich für dich, was Der Dunkle Turm für Stephen King war? Etwas, was dich einfach nie loslässt, egal welche Projekte sonst anstehen?

Es ist nicht so sehr Schattenreich, es ist eher eine Thematik, ein Genre, das zwar als „Urban Fantasy“ begann, aber heute so gar nichts mehr mit seinen Ursprüngen zu tun hat. Schattenreich, beziehungsweise „Verlorene Hierarchien“, hat viel mehr zum Beispiel mit Highlander gemeinsam als mit den Nackenbeißern und Leibchenfetzern mit tougher Geisterjägerin und Gestaltwandlern, die heute unter dem Etikett „Urban Fantasy“ in den Regalen stehen.

Das Bindeglied ist der Name eines Charakters und die Figur dazu. Darachel kam schon in meinem ersten jugendlichen Schreibversuch vor, er wanderte in den Comic und wurde dann in meinem ersten veröffentlichten Fantasy-Roman wiederentdeckt. Seitdem ist er ein fester Bestandteil des NINRAversums.

Was sind deine literarischen Einflüsse? Und welche Comics haben dich beeinflusst?

Ach, wieder diese Frage, wo man am Ende feststellt, dass man ganz viele, vielleicht die wichtigsten ausgelassen hat. Ich versuche es mal trotzdem.

Literatur: Karl May, Leigh Brackett, Tolkien, Thomas Mann, Alfred Döblin, Doris Lessing, Elmore Leonard und viele, viel mehr.

Comics: Hermann, Moebius, Hugo Pratt, Sergio Toppi, Jack Kirby, Mike Mignola, Jaime Hernandez und viele, viele mehr.

In den 80er Jahren hast du mit einem originellen Ansatz in der Fan-Piccolo-Serie Jarro Aufsehen erregt. Ich würde den Ansatz deines Zyklus umschreiben mit „Was wäre, wenn Alan Moore, Grant Morrison und Frank Miller die deutschen Comics der 60er Jahre heute schreiben würden?“ Das war dein Comic-Debut, oder? Wie kam es dazu?

Mein damaliger Mitbewohner Rainer Laws – den vielleicht noch einige z.B. durch seine Comic-Serie Dionne Stryker kennen – hatte irgendwie den Kontakt zu Dieter Böhm gefunden, der die Jarro-Piccolos als Autor, bzw, später Exposé-Autor betreute. Ich hatte auch Interesse und sagte ihm, was ich mit Jarro vorhätte und er ließ mir zum Glück absolut freie Hand.

Ein interessanter Kommentar zur deutschen Comicszene und warum die so florierend und blühend ist, ist vielleicht, dass der eben erwähnte Rainer Laws zuhause ein komplett druckfertiges, vollkommen geniales erstes Album von Dionne Stryker herumliegen hat, zu dem er irgendwann mit viel Mühe seine alte Fortsetzungsserie umgebaut hat. Es hat gegenüber der ersten Fortsetzungsversion viele Wandlungen durchgemacht und ist wesentlich besser und reifer geworden. Natürlich wurde es nie veröffentlich und wahrscheinlich wird das auch nie geschehen. Rainer hat sich inzwischen wesentlich lukrativeren Gründen zugewandt. Und so wächst Generation um Generation an deutschen Comickünstlern heran, startet enthusiastisch und vielversprechend und sinkt wieder herab, ohne jemals den Eindruck zu hinterlassen oder den Einfluss auszuüben, zu dem sie in der Lage gewesen wären. Ein einziges Gestotter vielversprechender Ansätze, die alle in die Frustration gemahlen werden.

Ein bisschen hat sich heute durch Internet und Webcomics geändert. Ein bisschen, was den ungebrochenen Enthusiasmus betrifft, etwas weniger, was das finanzielle Auskommen betrifft. Man überlege sich, wer durch Webcomics aus der Gleichung entfernt wurde und ziehe seine Schlüsse. Die Ausnahmen, die dazu führten, dass sich in den Jahren doch etwas positiv bei den gedruckten Comics entwickelt hat, brauch ich kaum aufzuführen; ich bin mir sicher, sie fallen jedem spontan ein. Auch hier kann man seine Schlüsse daraus ziehen, woher diese Leute kamen.

Was erwartet einen in Zukunft bei NINRAGON?

Es steht eine große Veränderung im strukturellen Sinne an. Der Relaunch. Die NINRAGON-Serie muss dran glauben. Es wird sie in Zukunft nicht mehr geben. Ich habe festgestellt, dass ich den Leuten die Idee hinter der Serie einfach nicht kommunizieren kann – dass es eben eine Anthologie-Serie ist. Dass man nicht bei Band 1 anfangen und auch nicht alle Bände lesen muss. Außerdem habe ich festgestellt, dass Fantasy-Leser andere Formate erwarten. Daher werde ich mein Story-Material in Zukunft, das heißt ab jetzt, anders präsentieren: in Bänden zwischen 350 und 450 Seiten und später dann in Gesamtausgaben, in kurzen Reihen, etwa Trilogien und Einzelbänden. Das macht mein Œuvre für den Leser wesentlich klarer und attraktiver. Außerdem bin ich ohne die Serie flexibler und freier, neue Dinge zu erforschen.

So werde ich mit meinem nächsten Roman einem vielfachen Leserwunsch folgen und auch mir einen Wunsch erfüllen, indem ich in die Zeit Aurics des Schwarzen zurückkehre und eine Geschichte erzähle, die nach der Trilogie abläuft. So erfahren die Leser, was im weiteren Szenario dieser Welt nach dem Ende der Trilogie geschieht. Außerdem tauchen Personen aus der „Saga von Auric dem Schwarzen“ und auch Homunkulus auf. Die Bücher muss man aber nicht gelesen haben, um die neue Geschichte zu verstehen. Und ich denke an andere Geschichten. Altbekannte Figuren in einem neuen Umfeld und in neuer Rolle. Neue Figuren an Orten, die einmal erwähnt wurden, aber deren Geheimnisse niemals erforscht wurden.

Lasst euch überraschen!

Am Freitag, den 27.09.2019 startet der NINRAGON-Relaunch!

Wer mehr über die Horus W. Odenthals Beitrag zur Piccolo-Serie Jarro erfahren möchte, dem empfehle ich meinen Aufsatz „Proto-Vertigo aus Deutschland – Die vielen Gesichter der Piccolo-Serie Jarro“ aus dem Comicgate-Magazin X von 2018.

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