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Währenddessen … (KW 4)

In der Kolumne „Währenddessen …“ zeigt die Comicgate-Redaktion, was sie sich diese Woche so zu Gemüte geführt hat.

Christian: Es sieht ganz danach aus, als würde Reinhard Kleists Nick Cave-Comic bei Publikum und Kritik gleichermaßen gut ankommen. Dabei ist der Comic ja nicht unumstritten. Ich erinnere mich an Stimmen aus dem Comicforum, die beim Erscheinen bzw. der Ankündigung des Buchs zwar Kleists großes künstlerisches Talent lobten, aber seine Themenwahl als zweifelhaft empfanden: Seit Johnny Cash – I see a darkness 2006 fast nur noch Biografien (Samia Yusuf Omar, Hertzko Haft, Fidel Castro, Elvis). Ist das kommerzielles Kalkül oder sind das Herzensangelegenheiten? Oder wie Marc-Oliver Frisch 2012 schrieb: „Aber den Beleg dafür, dass das Leben des jüdischen Boxers Hertzko Haft von Reinhard Kleist noch einmal als Comic erzählt werden musste, bleibt der Autor in letzter Konsequenz leider schuldig.“ Der Satz, sollte man meinen, könnte bei jedem Biografie-Comic angewendet werden, und doch ist er spätestens bei Reinhard Kleists Mercy on me nicht mehr zutreffend. Das liegt nicht daran, dass Kleist hier teilweise Musikstücke mit Tusche illustriert. Das wäre für sich genommen banal. Aber Kleist geht tiefer.

Während sein Johnny Cash-Comic von 2006 konventionell das Leben des Musikers nacherzählt, geht es im Nick Cave-Stück vor allem um die Reflexion künstlerischer Entwicklung und darum, welche Opfer man dafür bereit ist zu geben. Mercy on me, und das wird an mehreren Stellen deutlich, handelt weniger von Nick Cave, sondern davon, wie Cave durch Kleist gesehen wird. Dieser scheinbar kleine Twist ist entscheidend, denn natürlich kann uns Reinhard Kleist nicht viel über Cave erzählen außer ein paar biografische Details. Aber in Mercy on me steckt vor allem eben viel Kleist. Oder wie es im Comic heißt: „Meine Schöpfung ist nur ein Spiegel meiner eigenen Welt. Sie wird genährt durch meine Erfahrungen, mein Leben.“ Also ist man eingeladen, Kleist mit Cave zu vergleichen: Welche Pfade hat Kleist bisher beschritten und welche Facetten seines Ich hat er schon töten müssen, um voranzukommen? Und in welcher Form und mit welchen Inhalten kann er sein großes Talent am besten zum Ausdruck bringen?

Eines jedenfalls ist sicher: Mercy on me ist keine schnöde Biografie von der Stange, sondern ein spannendes Ringen um den besten Ausdruck. Gerrit Lungershausen hat zudem völlig recht, wenn er schreibt, dass Kleists expressiver Strich mehr begeistert als je zuvor. Ich sehe Mercy on me als reifes Werk, das die lesenswerte Cash-Biografie weit hinter sich lässt. Vielleicht ist es sogar der Höhepunkt in Kleists bisherigem Schaffen. Kleist hat etwas konsequent Individuelles geschaffen, das kein Mensch außer ihm zu fertigen in der Lage gewesen wäre. Dass es von Nick Cave handelt ist dabei eher nebensächlich.

Niklas: Wer meine Beiträge letztes Jahr verfolgt hat, hat bestimmt mitbekommen, dass ich mich ein kleines bisschen mit Rollenspielen beschäftigt habe. Nur ein kleines bisschen (husthust, hust). Dazu zählten allerdings nicht nur Computerspiele, sondern auch Bücher aus dem P&Per-Bereich. Leider komme ich nicht regelmäßig zum Spielen, aber ich gehöre tatsächlich zu den Leuten, die sich oftmals dicke Bücher zu einem Spiel wegen der Beschreibungen der Hintergrundwelt kaufen und dann ins Regal stellen. Ich finde es einfach interessant zu lesen, wie die Macher ihre Welt realisieren und mit den Mechaniken des Spiels verzahnen. Was ich genauso herausfordernd finde, wie es in der Realität eines Romans oder Comics zu erklären, nur dass hier noch ein Aspekt der Interaktion durch die Spieler hinzukommt. Dabei bin ich schon auf so manche Perlen gestoßen, unter denen auch der Hintergrundband Veruna zum deutschen Rollenspiel Arcane Codex dazu gehört.

Arcane Codex ist eigenartig. Mit der Beschreibung der Welt, bin ich mir sicher, dass die Macher offensichtlich von verschiedenen Settings klauen. Zumindest muss ich beim Lesen an Spiele wie 7te See, Shadowrun, Earthdawn, Warhammer Fantasy (dem Tabletop) und vielleicht auch ein bisschen Das schwarze Auge (vierte Edition, um genau zu sein) denken. Trotzdem macht das Spielen von Arcane Codex Spaß, vielleicht gerade weil alles so bekannt ist und obwohl der betont düstere Aspekt etwas albern wirkt (an jeder Ecke ist alles verfallen, so gut wie jeder Mächtige ist ein perverser Wahnsinnige und finstere Brüste des Verdammnis gibt es auch überall). Und dann liest man Veruna und wünscht sich, dass sich die Macher nur auf diesen Teil der Welt konzentrieren.

Auf den ersten Blick ist es auch „nur“ eine fantastische Variante des alten Roms, vermischt mit einer Prise antikes Griechenland und der helenischen Mythologie. Aber wie immer sind es die kleinen Details, die es für mich interessant machen. So ist das Buch zum Beispiel komplett aus der Sicht eines Schreibers des Imperiums verfasst, was auf das Reich einstimmt und gleichzeitig auch als Akt des Rollenspielens gesehen werden kann, da wir aus der Sicht eines Bürgers des Imperiums erfahren wie die Gesellschaft aufgebaut ist, was der Veruner gerne in seiner Freizeit treibt und wie der Kult eines magiehassenden Hauptgotts in eine Welt passt, die mit Magie gefüllt ist. Selbst Abschnitte zum Thema Sexuallität wirken nicht gezwungen, sondern passend, da sie sich immer noch vor den Moralvorstellungen einer (fiktiven) antiken Kultur aufgebaut sind, sich aber nicht zu sehr auf düstere Aspekte konzentriert wird. Es fühlt sich wie ein Buch für Erwachsene an und die vielen eingestreuten Abenteuerideen geben mir Ideen für eigene Runden. Der Stil liest sich auch schön (keine Selbstverständlichkeit) und runden Veruna ab. Jetzt bräuchte ich nur noch jemanden, der es mit mir spielt. Na ja, zum Glück lese ich auch meine Rollenspielbücher mehr als einmal.

Das physische Buch ist derzeit nicht zu haben aber auf DriveThruRPG lässt sich noch die digitale Version erwerben.

PS: Kaum schreibe ich hierüber, ist tatsächlich die dritte Edition des Rollenspiels erschienen. Wer also selber mal Papier und Stift in die Hand nehmen will, kann hier mal schauen, ob das Hobby ansprechend für ihn ist.

Was habt ihr diese Woche gekauft, gesehen, gelesen, gespielt? Postet eure Bilder, Geschichten und Links einfach in die Kommentare.

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