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Währenddessen… (KW 21)

Feuer zieh mit mir! Christian teilt mit uns seine Begeisterung für den Twin Peaks-Kinofilm von 1992.

Sheryl Lee und Kyle McLachlan in „Twin Peaks – Fire Walk With Me“. BluRay Disc bei StudioCanal

Christian: Twin Peaks – Fire Walk with me ist ein Film aus der goldenen Schaffensphase von David Lynch. Spätestens Mitte der 1990er hatte er einen Stil gefunden, der nie langweilig wird – es war die Schaffensphase von Lost Highway und Mulholland Drive.

Dass Fire Walk With Me als Prequel zur Fernsehserie konzipiert war, wirft einige Fragen auf:
– Kann man den Film unabhängig zur Serie sehen?
– Wäre das nicht in der Serie besser aufgehoben gewesen?
– Sind Prequels nicht per se ein überbewertetes Genre, weil sie doch nur zu einem Punkt führen, den man schon kennt?
– Und ist es nicht auch kontraproduktiv, wenn auserzählt wird, was doch bereits bestens vom Kopfkino der Serienfans abgearbeitet worden ist?
Ich denke, Fragen wie diese waren der Grund, weshalb Fire Walk With Me damals eher schlechte Kritiken eingefahren hat.

Ich zähle Fire Walk With Me zu den Höhepunkten in David Lynchs Schaffen. Lynch erzählt dabei nicht wirklich Neues (was ja Problematik aller Prequels ist), er lüftet auch keine Geheimnisse – aber er wirft ein neue Beleuchtung auf die alten Motive, und gerade Angelo Badalementis Soundtrack ist dichter denn je und macht die Filmerfahrung zu einem Fahrstuhl des Grauens, mit dem man gerne abwärts fährt. Die nicht enden wollende Sequenz, in der sich Laura Palmer gegenüber zweier fremder Männer völlig gehen lässt und ihre Schulfreundin Donna Hayward aus Solidarität ebenfalls den Schritt in den Abgrund wagt, gehört zum Elektrisierendsten, was Film zu bieten hat. Da wird der Kinosessel zum elektrischen Stuhl.

Fire Walk With Me ist auch ein Film, der einen daran erinnert, wie es wirklich war, Kind zu sein. Nicht im Retro- oder Nostalgie-Sinn, der einen befällt, wenn man alte Captain Future- oder Star Wars-DVDs guckt, denn das ist ja nur Regression in alte Wahrnehmungsmuster, aus denen einen Lynch mit seinen Filmen ja gerade herauszerrt. FWWM erinnert daran, wie es war, als man die Rituale und Codes der Gesellschaft noch nicht deuten konnte, die man sich – außerhalb der Schutzräume von Familie und Schule – selbst erschließen musste. Der safe space bei Lynch ist die sogenannte Realität, die an den Rändern ausfranst wie die Peripherie der Lebensräume von Kindern, sobald diese außerhalb der Komfortzone erste Erlebnisse haben und diese mit den Möglichkeiten ihres kindlichen Weltbilds verarbeiten. Realität ist bei Lynch das Äquivalent einer aus Sofakissen und Decken gebauten Burg um die Wohnzimmereckcouch herum. Sie hält dem Härtetest gegenüber dem Unbegreiflichen, das uns umgibt, nicht stand.

Nach und nach – und viel zu schnell – wird Laura Palmers Komfortzone eingerissen, als sie zu früh erleben muss, dass ihr Vater Leland ein Monster ist und die Mutter ihr nicht helfen kann. Irgendwann sind Seiten aus ihrem geheimen Tagebuch herausgerissen, es wird also in ihren innersten Erfahrungen gewühlt. David Lynch führt uns eine stimmige Reaktion auf das Grauen vor Augen: Laura Palmer nimmt bald Koks zu sich und prostituiert sich, womit sie immerhin selbst entscheidet, in welcher Form sie den Rest ihrer Kindheit abtötet – auch eine Art und Weise, sich das Gefühl von Kontrolle wieder zurück zu holen. Aber sie biegt damit nicht nur ins Unbekannte ab, sie lässt auch sämtliche Wertvorstellungen hinter sich. Daddy Leland hat ganze Arbeit damit geleistet, das kindliche, auf Urvertrauen setzende Weltbild einzureißen: das Gespür für Gut oder Böse ist verloren gegangen, statt dessen übernimmt ein verzerrtes Gespür für Realität, das ohne Kompass nur in die Irre führen kann.

Lauras Freundin Donna möchte sie zwar vom endgültigen Absturz bewahren, aber als Laura sich dann nicht davon abhalten lässt, sich mit zwei dubiosen Nachtclubbesuchern einzulassen, geht Donna den Weg mit – und man spürt als Betrachter des Films: sie tut es, a) um Laura zurückzuspiegeln, wie es ist, dabei zusehen zu müssen, wie die beste Freundin sich zerstört oder b) aus Solidarität um jeden Preis. Beides ist gleichermaßen unvernünftig wie nachvollziehbar. Tatsächlich gelingt es Donna mit ihrer Geste, Laura Palmer aus ihrer Selbstzerstörung zu holen und kurzzeitig Verantwortungsgefühl zu wecken, denn Laura möchte durchaus nicht, dass Donna ihren Weg mitgeht, der in ein Labyrinth voll rätselhafter Türen und Abgründe führt – dorthin wo oben unten sein kann, Schwarz zu Weiß, Gut zu Böse, das Innere zum Äußeren werden kann, der Daddy zum Wolf wird und Drogen etwas Gutes sind:

Das Surreale beginnt mit neuer Deutung von bekannten Motiven und verliert erst nach und nach Kohärenz und Sinn. Für Laura Palmer ist es, einmal die Schwelle überschritten, durchaus möglich, darüber zu lachen, als ihr Freund Bobby einen Menschen erschießt, obwohl selbst der skrupellose Bobby just nach der geschehenen Tat seinen moralischen Kompass vorübergehend wiederfindet – Laura Palmer aber ist dieser abhanden gekommen, wie sie überhaupt durch den Missbrauch durch den Vater der Welt verloren gegangen ist: gefallen in eine Dämonenwelt, aus der sie keinen Ausweg mehr findet. Außerhalb der Schutzräume, manchmal auch innerhalb, lauern die Monster. Einzig die Projektion von Heiligen- und Engelsfiguren bringt noch Licht ins Dunkel, wie es ja auch das Ende von Fire Walk With Me andeutet. Das muss genügen. Wenn die Welt an sich irrational ist, dann muss im Irrationalen auch die Rettung zu finden sein.

Mark Frost, David Lynchs Co-Autor, entwickelte in den Jahren nach FWWM die Twin Peaks-Story in die Breite weiter, bringt Historisches bis hin zu den Expeditionen von Lewis und Clark ins Spiel, vermutlich auch Aliens. Das alles spielt in Fire Walk With Me keine Rolle, weil ohnehin unwichtig bleibt, welchen Ursprung die Dinge haben, die sich nicht erfassen lassen – und im All leben wir schließlich alle. Kultur ist, von weit außen betrachtet, auch nur ein Nebenprodukt, das entsteht, wenn Menschen sich aneinander reiben, gerade dazu ausreichend, den Menschen ein Milieu zu gewährleisten, in dem man sich gerne noch ein paar weitere Jahrtausende fortpflanzt – auch etwas, das sich sehr weitgehend der Kontrolle des Menschen entzieht. Das klingt nach kosmischem Grauen und ist genau der Grund, weshalb Lovecraft-Fans Twin Peaks gerne als Fortschreibung des Cthulhu-Mythos mit modernen Mitteln betrachten (- ich war selbst dabei, wie auf der Cthulhu-Tagung in Erlangen darüber leidenschaftlich diskutiert wurde). Unterm Strich entführt uns David Lynch in FWWM in eine archaische Märchenwelt mit kleinen Mädchen und bösen Wölfen, die nur auf der Oberfläche modern wirkt. Er demonstriert damit eindringlich die ungebrochene Relevanz von Märchen.

Bisher unerwähnt geblieben aber ist die interessanteste Dimension, das verwendete Medium Film. Hier hat David Lynch gegenüber dem Buchautor Mark Frost eindeutig die Nase vorn, denn die Vermittlung der Handlung über Schauspieler verleiht eine weitere irreale Dimension, die Lynch meisterhaft auszunutzen weiß. Wenn Sheryl Lee als Laura Palmer (ebenso Moira Kelly als Donna Hayward) im Film den unbekannten Fremden und seinen Kumpel küsst, so ist das nie nur etwas, das man erzählt bekommt. Hier gibt eine Schauspielerin viel mehr privates von sich, als in der Öffentlichkeit üblich ist, als wäre sie selbst bereits durch den Kaninchenbau in die Wunderwelt gefallen. Man sollte nie vergessen, dass Filmprojektionen unwirkliche Bilder sind, die uns für wahr verkauft werden. Film ist tatsächlich nie unschuldig.

Das Medium hat etwas gespenstisches an sich und ist von Lynch auch entsprechend genutzt. Sehr aufschlussreich ist das, wenn der Film mit einem Mal im Inneren eines Bildes weitergeht, das an der Wand hängt, hinter eine Tür blickt und damit das Okkulte zu Tage fördert, das nicht gesehen werden kann. Bedeutung können wir immer nur den Dingen zuweisen, die wir sehen und einordnen können. Hinter den Kulissen, das spüren wir, ist das Unheimliche, vor dem wir zurecht Angst haben. Weiten wir den Blick aber weiter, dann sehen wir Mark Frost und David Lynch und sind beruhigt. Gehen wir noch weiter zurück, sehen wir Frost und Lynch allein im Kosmos und sehen, dass es überhaupt keinen Grund, beruhigt zu sein. Am Ende sind wir doch allein im All. Kosmisches Grauen.

Nachtrag: 

Auf der BluRay von StudioCanal befindet sich ein Audiokommentar von Prof. Dr. Marcus Stiglegger, der unbedingt Aufmerksamkeit verdient. Schade, dass er nur noch selten in diesem Format arbeitet, denn Stiglegger kommt in der Breite eines kompletten Films doch immer auf Aspekte zu sprechen, die in einem verdichteten, einer anderen Erzähldramaturgie verpflichteten Featurette untergehen würden. Ich habe mich gehütet, den Kommentar anzusehen, bevor der Text oben nicht in trockenen Tüchern war. Nach einem erneuten Ansehen mit Audiokommentar weiß ich, dass ich in FWWM in erster Hinsicht eine Trauma-Erzählung sehe. Man kann den Film aber auch als Geister- bzw. Horrorfilm deuten.

Marcus Stigleggers Text ist enorm hilfreich, FWWM im breiteren Kontext der kompletten Saga einzuordnen, der die Serie von 1989-91 ebenso einschließt wie Season 3 von 2016 und die von Mark Frost verfassten Bücher und Romane zur Serie. Er empfiehlt, David Lynch wörtlich zu nehmen, wenn es sehr symbolisch zugeht. Ich ziehe es vor, den Grund für das Irrationale und Symbolische einer traumatisierten Erzählstimme zuzuweisen, fasse das aber sehr weit und sage, dass durch David Lynchs Welt keiner unversehrt kommt und somit das Irrationale bisweilen wild wuchert. Ob die Dopplungen von Personen – vor allem ab Season 3 – damit noch schlüssig erklärt werden können, oder ob ich mich doch besser auf das Worldbuilding von Mark Frost einlassen sollte, der von Ufo-Phänomenen erzählt und auch von guten und bösen Dämonen, bleibt abzuwarten. Jedenfalls freue ich mich jetzt total darauf, mir sobald wie möglich Season 3 anzusehen.

Dopplungen von Personen, soviel möchte ich aber dennoch anmerken, sind in meiner Erwartungshaltung weniger der Existenz sich überlagernder Realitäten verpflichtet, sondern der menschlichen Beschränktheit, die Welt mit den limitierten sprachlichen Mitteln, die uns zur Verfügung stehen, eindeutig zu erfassen. Aber vermutlich ist schon hier dasselbe beschrieben, nur mit unterschiedlichem Fokus. Ich gehe davon aus, dass Lynch und Frost uns noch sehr an der Nase herum führen werden. Aber da lasse ich mich gerne darauf ein.

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