„Auf die Straß‘ gepisst!“ – hallt es noch immer in meinen Ohren nach, wenn ich an den ersten Kontakt mit Woyzeck denke. Damals, ich bestritt gerade mein Schulpraktikum am Schauspielhaus Hannover, führte niemand geringeres als Johann Kresnik Regie, jenes Enfant Terrible, das zuletzt wegen seines rauen Umgangstons in der Kritik stand (damals jedoch gefeiert wurde) und vor kurzem leider von uns ging. Als Erstkontakt mit dem ohnehin sehr direkten Stück sicher prägend. Allen folgenden Inszenierungen, selbst der überaus gelungenen und ähnlich in der Kritik stehenden 2012er Fassung, deren Vergewaltigungsszene einige Schüler angeblich nachhaltig traumatisierte (einige Jahre später saßen diese Schüler ausgerechnet in einem von mir geleiteten Büchner-Seminar und gaben zu Protokoll, vor allem die Eltern seien hier Ursprung des Tugendfurors gewesen – man kennt das) – oder jener Inszenierung mit der Musik von Tom Waits, gelang es nicht, eine ähnlich erdrückende Stimmung zu erzeugen. Um es mit den Worten der Theaterkollegen zu sagen: „Gäbe es eine Pause – die Zuschauer würden nicht in den Saal zurückkehren.
Nun macht sich Andreas Eikenroth, nicht nur Comiczeichner, sondern auch Mitarbeiter des Giessener Stadttheaters, an den Versuch einer grafischen Woyzeck-Inszenierung. Ein Versuch, an dem Dino Battaglia scheiterte (wenn er uns auch einen sehr guten Textanhang präsentierte und mit einem großartigen Nachwort von Thomas Michael Mayer sowie herausragenden Zeichnungen begeisterte). Battaglia scheiterte vor allem an etwas, was bereits in Woyzeck kritisiert wurde: Er hetzt durch das Stück, dass es einem schwindlig wird. Anders Andreas Eikenroth. Wo Battaglia 18 Seiten verwendet, um das Stück zu umreißen, braucht Eikenroth 60 Seiten, wobei diese keine übliche Panelstruktur verwenden, sondern allesamt aus Metapanels bestehen. In Kombination mit den etwas zu bunten Zeichnungen, die an Grosz, Schiele und Co. erinnern und denen etwas mehr Kantigkeit und vor allem ein schwarz-weiß-roter Look deutlich besser zu Gesicht gestanden hätten, entsteht eine bedrückende Enge. Eine Enge, die das Seelenleben des Woyzeck grandios auf den Rezipienten überträgt und ihn in die grausame Welt des (in dieser Interpretation) frühen 20. Jahrhunderts hineinzieht. Besonders sei die Szene gelobt, in der man Woyzeck auf den Umstand verweist, seine Frau könnte eine Hure sein und sich an seinem Leid erfreut. Lediglich die Jahrmarktsszene geriet etwas zu lang – hier hätte eine kompaktere Erzählweise deutlich zum Gelingen der Seiten beigetragen.
Ebenfalls als gelungen darf Eikenroths Szenenanordnung bezeichnet werden, weiß man bei Woyzeck doch nie genau, wie Georg Büchner die tatsächliche Abfolge plante. Und so bedient sich der Zeichner auch bei Szenen, die nicht in jeder Textfassung zu finden sind, zerhackt das Stück, wie einst Johann Kresnik, setzt es zu einem Feuerwerk des Wahnsinns neu zusammen, beginnt sogar mit der ikonischen Rasierszene (im Gegensatz zu Kresnik muss Woyzeck hier allerdings keinen Hintern enthaaren).
Kresnik und Eikenroth – sie beide offerieren in ihren „Inszenierungen“ sehr eigene Woyzeck-fassungen oder besser Woyzeck-Erfahrungen. Wo es bei ersterem vor Fäkalien, ausgespuckter und erneut gegessener Erbsensuppe und Nacktheit nur so strotze, das Stück im Hirn Woyzecks spielte und deshalb neben einer verlebten Marie immer auch eine nackte, jugendliche Version präsentierte, erdrückt Eikenroth im positiven Sinne mit einer großartigen Szenenreihung, einem einzigartigen Metapanel-Arrangement und einer daraus entstehenden, beklemmenden Enge. Woyzecks Ableben war selten nachvollziehbarer, wird er doch von einem Leben erlöst, in dem es für ihn nur Demütigung und Leid gibt. Wo Battaglia mit dem Zeichenstil und dem „Drumherum“ überzeugte, in der Inszenierung indes scheitert, präsentiert Eickenroth ein elegant verwobenes Werk, dem vielleicht ein düsterer Zeichenstil gut zu Gesicht gestanden hätte, denn der verwendete wirkt etwas zu bunt. Trotz des penetranten Erbsengrüns, das immer wieder auf Woyzecks Erbsendiät verweist und eigentlich als Grundfarbe perfekt erscheint.
2014 schrieb ich zu Battgalias Adaption:
„Dino Battaglia ist es zu verdanken, dass dem Medium stetige Aufmerksamkeit zu Teil wurde. Zeichnungen wie die Vorliegenden sind zu überragend, um nicht als künstlerisch wertvoll erachtet zu werden. Leider gelingt es nicht, auch auf textlicher Ebene erfolgreich zu sein. Ein Problem, mit dem auch heute noch viele Zeichner zu kämpfen haben, zahlreiche Literaturadaptionen (meist Auftragsarbeiten) neueren Datums zeugen davon.“
Eikenroth hingegen meistert die textliche Adaption, stellt sich nicht nur als Kenner heraus, sondern versteht den Protagonisten Büchners und so gelingt es ihm, eine der wenigen gelungenen Dramenadaptionen des Comics zu schaffen. Eine Kombination, die bereits bei Lenardo und Blandine (Josef Franz von Götz) oder in den Metapanel-Bilderbogen Otto Speckters ihren Ursprung nahm, jedoch seither selten gelang.
Eine der wenigen gelungenen Dramenadaptionen im Comic
Edition 52, 2019
Text: Georg Büchner
Zeichnungen: Andreas Eikenroth
60 Seiten, Farbe, Hardcover
Preis: 15,00 Euro
ISBN:978-3-935229-39-5
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