Rezensionen
Schreibe einen Kommentar

Der Wolf

Kein Wal, kein Hai, kein Marlin – in Rochettes aktuellem Comic geht es um ein Mann-gegen-Mann, sorry: Mann-gegen-Wolf, in der alpinen Wildnis Südostfrankreichs.

alle Bilder © Knesebeck Verlag

Der Schäfer Gaspard lebt am Rande einer dörflichen Gemeinschaft in den französischen Alpen. Seitdem sein Sohn bei einer militärischen Intervention in Mali ums Leben gekommen ist, wohnt er allein mit seinem Hirtenhund Max und 300 Schafen in einsamer Zurückgezogenheit. Ein Wolf greift seine Herde an, und Gaspard schießt den wilden Gefährder seiner Lebensgrundlage kurzerhand nieder. Dass dieser einen jungen Begleiter zurücklässt, wird den zentralen Grundkonflikt der Erzählung erst ermöglichen.

Mensch und Tier zur Strukturierung einer Erzählung menschlicher Makel zu wählen, ist nichts Neues: Es ist naheliegend, den fanatischen Wolfshasser Gaspard mit Käpt’n Ahab (Moby Dick von Hermann Melville) oder Santiago (Der alte Mann und das Meer von Ernest Hemingway) zu vergleichen. Auch diese beiden steigern sich maßlos in einen Konflikt hinein, der sie ins Verderben führen wird – oder an den Rand dessen.

Gaspard verschont den noch jungen Wolf, der durch sein weißes Fell schon optisch hervorsticht, bei der nächsten Gelegenheit: „Du bist zu jung, um zu sterben.“ Ob dies angemessenerweise als Mitleid interpretiert oder nicht vielmehr als Zeichen dafür verstanden werden muss, dass der Tod seines Sohnes noch allzu präsent ist, lässt Rochette offen. Der Wolf und sein menschlicher Widersacher ziehen in die Berge und leisten sich eine unerbittliche Jagd: „Ich werde dich töten. Hörst du mich? Ich werde dir das Herz mit den Zähnen herausreissen.“ Es kommt zum Showdown Mann-gegen-Wolf – und zugleich kämpft Gaspard mit sich und seiner Vergangenheit.

Wer eigentlich ist der Wolf, den der Titel in den Mittelpunkt stellt? Der fellige Vierpföter aus den Bergen oder der einsame und der Zivilisation völlig entfremdete (metaphorische) Wolf, dessen Gespräche im Dorf so hilflos scheitern wie seine Jagd? Gaspard, der übrigens ein Selbstporträt des Autors und Zeichners zu sein scheint, und die anderen Dorfbewohner sehen in dem Wolf ein gerissenes Tier, das Rache für die Ermordung seiner Mutter sucht. Auch die Erzählerstimme erweist sich dabei als nicht wirklich zuverlässig – sie tappt in die gleiche Falle wie letztlich Gaspard.

Der Wolf ist auch eine Dreiecksgeschichte zwischen Gaspard, dem namenlosen Wolf und der Natur als drittem Akteur. Ganze Doppelseiten widmen sich der Darstellung der Berge, der Schneelandschaften, des Wetters. Kultur und Natur kämpfen ebenso gegeneinander wie der Mensch gegen sich selbst.

Die groben Zeichnungen, koloriert von Isabelle Merlet, sind nicht so cartoonig wie die meisten früheren Comics von Rochette, der Strich weniger klar, die oft düsteren Landschaften nicht so beeindruckend wie die Naturschilderungen etwa von Emmanuel Lepage oder die Moby-Dick-Interpretation von Chabouté. Die Erzählung aber bietet mehr Raum für Interpretation als etwa der Hemingway-Comic Der alte Mann und das Meer von Thierry Murat (dt. 2016).

Mann gegen Wolf

8von10Der Wolf
Knesebeck, 2020
Text und Zeichnungen: Jean-Marc Rochette
Übersetzung: Anja Kootz
112 Seiten, Farbe, Hardcover
Preis: 22,00 Euro
ISBN: 978-3-95728-378-8
Leseprobe

Schreibe einen Kommentar

Mit dem Abschicken dieses Formulars erklärst du dich mit unserer Datenschutzerklärung einverstanden.