„CORRECT!V“ nennt sich das 2014 gegründete, gemeinnützige Recherchebüro, in dem investigativer Journalismus auf Basis von Spenden- und Stiftungsgeldern betrieben wird und das sich nach eigener Aussage den „harten, wichtigen Themen“ verschreibt. Mitbegründer und führender Kopf ist David Schraven, der im Carlsen Verlag bereits zwei Comics mit Zeichner Vincent Burmeister herausgebracht hat. Seine neueste „grafische Reportage“ veröffentlicht Schraven nun direkt bei Correctiv, und das Thema kann man tatsächlich als hart und wichtig beschreiben: Es geht um rechtsradikalen Terrorismus.
Ausgehend von der Mordserie der Terrorzelle NSU („Nationalsozialistischer Untergrund“), die derzeit in einem großen Prozess in München verhandelt wird, recherchiert Schraven in seiner Heimatregion, dem Ruhrgebiet, wo der NSU im Jahr 2006 einen Kioskbesitzer türkischer Herkunft ermordete. Die Recherche selbst ist einer von drei parallelen Erzählsträngen, aus denen sich die Reportage Weisse Wölfe zusammensetzt. Der zweite ist erzählt aus der Perspektive von Albert S., einem ehemaligen Neonazi, der sich Schraven anvertraut hat und ihm seine Lebensgeschichte erzählt; wie er zum Mitglied einer Terrortruppe wurde, die sich als Teil des Netzwerks von „Blood & Honour“ und dessen Kampfeinheit „Combat 18“ versteht.
Als drittes Handlungselement sind immer wieder Auszüge aus den sogenannten Turner-Tagebüchern eingebaut, einem in Deutschland indizierten Roman aus dem Jahr 1978, der von einem „Rassenkrieg“ gegen die nicht-weiße Weltbevölkerung erzählt und dessen Ideen zu den ideologischen Grundpfeilern von rechtsextremen Gewalttätern gehören.
Aus diesen drei Strängen destilliert David Schraven seine Kernthese: Militante Neonazis organisieren sich in kleinen Untergrundzellen, von denen der NSU nur eine unter vielen war, die untereinander auch in Form von Anschlägen kommunizieren, und bei denen – anders als der Verfassungsschutz behauptet – die Strukturen von „Combat 18“ eine wichtige Rolle spielen.
Die Reportage wird grafisch umgesetzt von Jan Feindt, der u.a. an Cargo, einer Sammlung von deutsch-israelischen Comicreportagen von 2005 beteiligt war. In harten Schwarz-Weiß-Kontrasten und zum Teil sehr effektvollen Seitenlayouts bebildert er Schravens Text. Nun ist ein Comic in der Regel mehr als bebilderter Text, aber hier könnte man das durchaus so stehen lassen: Text und Bild laufen nebeneinander her. Dialoge und Sprechblasen gibt es nicht, und wenn man allein den Text – ganz ohne Bilder – verwenden würde, hätte man einen gut lesbaren Artikel (der dann halt statt 200 Buchseiten nur ein paar Seiten in einem Magazin umfassen würde).
Der Eindruck drängt sich auf: David Schraven hat Weisse Wölfe nicht so sehr deshalb als Comic gemacht, weil er den Stoff in dieser Form am liebsten und am besten transportieren kann, sondern um damit ein Publikum zu erreichen, dass er in einer Textreportage nicht erreichen würde. Der Comic als didaktisches U-Boot für Lesefaule, mal wieder.
So wichtig und sinnvoll es auch ist, das von Politik und Verfassungsschutz gern mal heruntergespielte Thema Rechtsextremismus auch in ungewöhnlicher Form wie einem Comic zu verarbeiteten, leiden alle drei Erzählebenen an Schwächen: In den Rechercheszenen neigt Schraven, der ohnehin nicht mit mangelndem Selbstbewusstsein ausgestattet ist, zur Selbstinszenierung als unbeugsamer Journalist. Ein wenig mehr Understatement hätte hier gut getan. Der Lebenslauf von Albert S. vom jugendlichen Punk zum Naziterroristen bietet zwar einige sehr interessante Einblicke, ist streckenweise aber auch arg banal geraten, vor allem wenn es um seine Motivation geht (Konflikte mit dem Vater, Langeweile, zu viel Bier, CDs mit Nazimusik). Und die Ausschnitte aus den Turner-Tagebüchern wurden mit einer auf Handschrift getrimmten Schrifttype gelettert, die den Text extrem schwer lesbar macht.
Jan Feindts Grafik basiert deutlich sichtbar auf Fotos. Für die allermeisten Panels dürfte es ein Foto als Vorlage geben, das dann überzeichnet oder digital verfremdet wurde. Das sorgt für einen sehr realistischen Look, der sicher gewollt ist: Der Eindruck, es könnte sich hier um etwas Fiktives handeln, soll vermieden werden. Der fotonahe Stil hat aber den Nachteil, oft sehr steif und unterkühlt zu wirken. Gerade bei Gesichtsausdrücken und immer dann, wenn Emotionen ausgedrückt werden sollen, wirken die Zeichnungen etwas befremdlich.
Noch deutlich befremdlicher allerdings ist die Art und Weise, wie Schraven und Feindt Symbole und Logos der Nazis in ihrem Buch verwenden. Das beginnt schon beim stilisierten Doppel-S auf dem Cover-Schriftzug und setzt sich im Inneren fort, wenn als Trenner zwischen einzelnen Kapiteln schwarze Seiten eingesetzt werden, auf denen jeweils ein Symbol aus der Nazi-Ikonografie prangt: Reichsadler, Hakenkreuze, Lorbeerkränze und ähnliches. Man wird das Gefühl nicht los, dass die Macher damit dafür sorgen wollten, dass ihr Buch möglichst verwegen und gefährlich daherkommt. Nicht wie ein sauber-steriles Lehrbuch, sondern dreckig und wahrhaftig. Mit diesem Look, der noch von künstlichen Tintenflecken und Abnutzungsspuren unterstützt wird, scheint man sich ein bisschen was vom Ruch des Verbotenen, den die Neonaziszene und deren „Corporate Design“ besitzt, ausleihen zu wollen. Eine eher unnötige und ziemlich fragwürdige Entscheidung.
Dass Reportagen in Comicform auch hierzulande immer öfter gemacht werden, öffentliche Aufmerksamkeit finden und sich auch brisanten Themen widmen, ist auf jeden Fall eine gute Entwicklung. Ob Weisse Wölfe ein glänzendes Beispiel für diese Form ist, kann man in Frage stellen.
Gut gemeint, weniger gut ausgeführt
Correctiv – Comics für die Gesellschaft, 2014
Text: David Schraven
Zeichnungen: Jan Feindt
224 Seiten, schwarz-weiß, Hardcover
Preis: 15 Euro
ISBN: 978-3981691702
Sehr gute Rezension. Danke!
Der Rezensent führt an es sei eine „dreckige“ Aufmachung, aber genau so ist doch die Naziszene, es gibt keine „Ehre“ dort auf die sich die Szene immer beruft, es gibt nur ein „wir“ gegen „die“ und das mit allen Mitteln. Außerdem kritisiert er die Wahrhaftigkeit, sorry aber wenn eine Story, besonders eine Dokumentation, nicht wahrhaftig ist, ist das für mich ein Punkt ein Buch nicht zu kaufen. Das Buch konnte nur in dieser Form veröffentlicht werden. Über das wichtigste allerdings sagt der Rezensent kaum etwas, über die Recherche, ein Medium das von einem Recherchenetzwerk veröffentlicht wurde, muss der Kern einer Rezension sein.