Spätestens seit Nicolas Mahlers Umsetzung von Alte Meister (Suhrkamp) sind Comic-Adaptionen von Thomas Bernhards nicht gerade massenkompatibler Literatur offenbar hip. Lukas Kummer hat sich nun an Die Ursache herangewagt. Gar nicht schlecht!
Kafka. Proust. H.G. Wells. Okay, aber Thomas Bernhard? Angesichts dessen, dass die Prosa von Bernhard nicht allzu sprechblasentauglich daherkommt, wundert es, dass mit Die Ursache die inzwischen dritte Adaption aus dem Gesamtwerk des österreichischen Querulanten erscheint. Zuvor hatte Nicolas Mahler, der in diesem Jahr seinen 50. Geburtstag feiert, sich der Umsetzung von Alte Meister (2011) und Der Weltverbesserer (2014) verschrieben. Bernhard. Mahler. Das sind monumentale Fußstapfen, in die der 1988 geborene Lukas Kummer sich wagt.
Die autobiografische Prosaschrift Die Ursache (1975) handelt von Bernhards Kindheitserfahrungen in einem Internat, das zu Kriegszeiten nationalsozialistisch geführt wurde (schlimm), im Anschluss daran katholisch (nicht besser): „Der Geist dieser Stadt ist also das ganze Jahr über ein katholisch-nationalsozialistischer Ungeist.“ Wie auch seine Altergenossen leidet der anonyme 13-jährige Erzähler unter dem drakonischen Erziehungssystem. „Zöglinge“ sind sie allesamt, und das ist der gleiche Wortstamm wie „Zucht“. Die Internatsdirektoren Grünkranz (Nazi) und „Onkel Franz“ (Katholik) verkörpern den militärischen Drill, der nicht dem Menschen dient, sondern einem gesichtslosen System. Passenderweise lässt Kummer die Figuren in strengem Schwarz-Weiß-Grau agieren, in einer Welt ohne Abstufungen oder Schattierungen. Gesichter brauchen die Figuren nicht – das System hat ihnen keine gestattet. Auch die Wiederholungsstruktur der Panels entspricht sowohl dem Inhalt als auch dem Stil Bernhards, dessen Bandwurmsätze und Wortwiederholungen sich durch das Buch schlängeln. Gegenpol zum beklemmenden Internat und zum verhassten Salzburg sind die Traunsteiner Großeltern, deren Erziehung fast unsichtbar verläuft und vor allem in Naturspaziergängen und dem Gewähren von Freiheit besteht.
Lukas Kummer ist nun kein Newcomer, seine bisherigen Comics wurden bei Zwerchfell (Die Verwerfung) und TintenTrinker (Gotteskrieger) veröffentlicht, wobei zumindest Die Verwerfung von vielen Seiten sehr positiv aufgenommen wurde. Dass Die Ursache bei Residenz erscheint, ist für Comicleser überraschend, nicht aber für Bernhard-Freunde, denn Residenz ist Bernhards österreichischer Hausverlag.
Kummer hat sich sehr eng am Originaltext Bernhards orientiert und sich weniger Freiheiten gegönnt als etwa Nicolas Mahler in Alte Meister. Bis auf wenige Änderungen (und bisweilen auch Fehler) übernimmt Kummer den Text mit massiven Kürzungen, aber dennoch wortgetreu, wenn auch nicht in der originalen Reihenfolge. Man muss zugutehalten, dass man dies als Leser gar nicht bemerkt, weil Kummer den Text sehr geschickt arrangiert. Dass sich dadurch im Vergleich zum Original auch Unstimmigkeiten ergeben, muss nicht weiter kümmern, weil Bernhards Text insgesamt mit sehr viel Respekt behandelt wurde. Die dezenten Zeichnungen stellen sich nicht in den Vordergrund, sondern begleiten den Text, ziehen seine Wiederholungen sorgsam nach und fangen die Stimmung ein, die Bernhard mit Worten vermittelte.
Besonders die Formationen, die Kummer immer wieder auf Splash-Pages inszeniert, bilden die Uniformität der Internatswelt (und gleichzeitig der Thomas Bernhard so verhassten Stadt Salzburg) adäquat ab. Mit wieviel Bedacht Kummer seine Panels gestaltet hat, zeigen die schmalen Spread-Panels, auf denen wir die bessere Landwelt der Großeltern zu sehen bekommen. Während die geistige Enge der Salzburger Welt ihren Platz in hohen, aber eng gesteckten Panelrahmen findet, wird die Weite des ländlichen Sehnsuchtsortes bei Kummer sichtbar. Fast greifbar.
Kummer hat sich einen schwierigen Text vorgenommen, übrigens den Auftaktband einer autobiografischen Pentalogie, an der Bernhard bis 1982 arbeitete. Da war Kummer noch nicht auf der Welt, aber er hat Bernhard dennoch verdammt gut verstanden. Meisterlich.
Meisterlich: Bernhard in Schwarz-Weiß
Residenz Verlag, 2018
Text: Thomas Bernhard
Zeichnungen: Lukas Kummer
112 Seiten, schwarz-weiß, Hardcover
Preis: 22,00 Euro
ISBN: 978-3701716937
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