Man könnte versucht sein anzunehmen, dass die neue Serie Troja ein Historiencomic ist, der den trojanischen Krieg behandelt. Also ein Comic, der sich an historische Fakten hält und in diese seine fiktionalen Elemente einbettet, oder eben nur ein historisches Ambiente als Hintergrund für eine komplett fiktive Geschichte nutzt. Da allerdings begibt man sich schon aufs geschichtliche Glatteis, denn abgesehen von der Ilias des Homer gibt es kaum schriftliche Quellen über den trojanischen Krieg und als Faktengrundlage ist das Werk von Homer auch mit Vorsicht zu genießen. Schließlich spielen in der antiken Erzählung auch die Götter höchstselbst ihre Rollen, Homer hat also die Gattung des historischen Berichts verlassen und die Ebene des Romans betreten.
Damit ist die Ilias aus heutiger Sicht strenggenommen dem Genre der Fantasy zuzuordnen, weil eben Aphrodite, Hera, Athene, Zeus und Kollegen aktiv am Geschehen und auch auf dem Schlachtfeld mitwirken. Ebenso verhält es sich mit Nicolas Jarrys Comic Troja: Er ist eindeutig der Fantasy zuzurechnen, wobei er keine direkte Adaption des bekannten Homer-Stoffes ist. Jarry und Zeichner Erion Campanella Ardisha hätten den Krieg und den vorausgegangen Konflikt als actionreiches Drama erzählen können, was dann eine Comicversion des Films von Wolfgang Petersen geworden wäre. Stattdessen werden neben dem legendären Personal wie Helena, Achilles, Paris, Hektor, Odysseus, Menelaos und Agamemnon noch Monster mit eingebaut, deren Herkunft und Wesen offen bleibt. Das fügt dem Stoff einen starken Horroranteil hinzu, der durchaus spannend ist und angesichts der Macht dieses Feindes den Leser durchaus zu ängstigen weiß. Die Götter spielen eine kleinere Rolle als bei Homer, mit den Erinnyen und Hekate sind es eher unbekanntere, deren Rolle bislang auch nur angedeutet wird.
Achilles jedenfalls liebt Helena und bei einer Expedition kommt deren Mann, der König von Sparta, ums Leben. Geheimnisvolle Wesen haben dessen Truppe ausgelöscht. Achilles sieht nun die Chance gekommen, Helena zu heiraten, doch der Bruder des machthungrigen Königs Agamemnon, Menelaos, bittet um die Hand der jungen schönen Königin. Alles sieht nach Intrigen und Machtspielchen aus, die gleich zum Auftakt schon mehrmals in einem Blutbad zu enden drohen. Da treffen individuelle Wünsche mit Machtpolitik zusammen und auch die Götter haben ihre Pläne. Aus einem unerfindlichen Grund wollen die Erinnyen, dass Helena nach Troja geht, um so einen Krieg zu provozieren. Hekate, die Göttin der Magie, sucht indes nach der Identität der Monster: Handelt es sich um alte Götter, welche die Vorläufer von Zeus unterstützt haben? Die Erinnyen sind Rachegöttinnen und so scheint es logisch, dass alte Mächte ihre Finger im Spiel haben. Jedenfalls sind die uralten Göttern Kronos und Uranos involviert, die beide von ihren Götterkindern gestürzt worden waren.
Was das nun mit Troja zu tun hat, ist unklar und interessiert den Leser eigentlich auch herzlich wenig. Die Grundstrukturen der Handlung sind dem Kulturbeflissenen eh bekannt und man ist eher neugierig darauf, wie Jarry mit dem Stoff umgeht. Schließlich hat er schon in anderen Serien wie etwa Durandal historischen Legenden stets neue Kniffe abverlangt. Troja bietet jedoch wenig neue Interpretationen oder Perspektiven, und so erfreut man sich an den Zeichnungen von Erion Campanella Ardisha, welche detailreich die antike Welt wieder auferstehen lassen. Allerdings merkt man doch, dass dieser Band das Debüt des Zeichners ist. Ardisha macht zwar keine Fehler, aber man kann noch keinen eigenen, unverwechselbaren Stil entdecken. Seine Bilder stehen ganz im Dienste der Story, ohne sich in den Vordergrund zu drängen, und gehen noch allzu deutlich auf Nummer Sicher.
So gilt für die Zeichnungen wie für die erzählte Geschichte: Ordentliches Handwerk, das sich im Verlauf der auf vier Bände angelegten Reihe noch steigern sollte, um aus dem soliden Mittelmaß herauszuragen.
Grundsolide erzählt und gezeichnet kann der Serienauftakt der klassischen Sage noch keine neuen Aspekte abringen
Splitter Verlag, 2015
Text: Nicolas Jarry
Zeichnungen: Erion Campanella Ardisha
Übersetzung: Resel Rebiersch
48 Seiten, farbig, Hardcover
Preis: 13,80 Euro
ISBN: 978-3-95839-060-7
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