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Snowden / Beyond: Edward Snowden (US)

Edward Snowden – seine Superkraft: Gerechtigkeit. Seine Gadgets: USB-Sticks mit strenggeheimen Informationen. Sein Kostüm: Clark Kent?

Am 6. Juni 2013 machte der Whistleblower einen der größten Überwachungsskandale der US-amerikanischen Geschichte öffentlich, und auch jetzt, sieben Jahre später, faszinieren seine Geschichte und die NSA-Affäre noch immer viele Menschen weltweit. Medien berichten nach wie vor über die Legalität beziehungsweise Illegalität der Überwachungspraktiken des Geheimdienstes, aber auch in der breiten Öffentlichkeit findet das Thema seit Jahren Resonanz, was man unter anderem daran erkennen kann, dass Snowdens Autobiografie Permanent Record: Meine Geschichte seit ihrem Erscheinen im September 2019 ein Bestseller ist.

Aufgrund dieses anhaltenden Interesses ist es sehr reizvoll, sich anzusehen, was die Comicwelt zu dieser Thematik zu bieten hat. Über Edward Snowden und die NSA-Affäre sind bisher zwei Comics erschienen – Ted Ralls Snowden (2015) sowie Valerie D’Orazios und Dan Lauers Beyond: Edward Snowden (2018) –, die unterschiedlicher nicht sein könnten.

Snowden von Ted Rall

„In the not-distant-enough future, Orwell warned, a paranoid state, constantly at war and obsessed with terrorism, might exploit new technology to watch its subjects‘ every move. No one would have any privacy. There would be nowhere to hide. Nowhere to run. Nowhere to just be yourself.“ (Rall, 2015, S. 9f.)

Als Einstieg in sein Buch vergleicht Ted Rall die NSA-Überwachung mit George Orwells 1984 und stellt fest, dass wir alle inzwischen schon in Orwells fiktivem Überwachungsstaat Ozeanien leben. Auf diese Analogie kommt Rall im Laufe seines Comics immer wieder zurück, und sie bietet eine Art roten Faden für das Buch, das in drei Kapitel geteilt ist: Das erste Kapitel If The People Knew The Truth beschäftigt sich mit den NSA-Überwachungsprogrammen und gibt einen Überblick darüber, welche Daten der Gemeindienst sammelt. Das zweite Kapitel More Harm Than Good konzentriert sich auf die Person Edward Snowden – auf seine Karriere sowie die Ereignisse seines Lebens, die ihn womöglich zum Whistleblower werden ließen. Das dritte und letzte Kapitel On The Run erzählt abschließend von Snowdens Flucht aus den USA und davon, welche Folgen die NSA-Affäre für die Politik (Folgen?) sowie den Umgang mit Technologie hatte.

© Seven Stories Press

Wenn man die NSA-Affäre damals in den Medien einigermaßen regelmäßig verfolgt oder schon Bücher zu der Thematik gelesen hat, muss man als Leser von Ralls Snowden leider feststellen, dass der Plot keine neuen Informationen liefert, die nicht schon vor Erscheinen seines Comics bekannt waren. Im ersten Kapitel wird etwa darauf eingegangen, dass die NSA Nutzerdaten von sozialen Medien wie Facebook und Twitter sammelt oder die Bewegungsdaten von Smartphones nachvollziehen kann – Fakten, von denen Internetnutzer schon einige Tage nach Bekanntwerden des Überwachungsskandals Kenntnis hatten. Diese Linie von „Pseudo“-Informationen setzt sich in den beiden weiteren Kapiteln des Comics fort. Im zweiten Kapitel wird zum Beispiel erzählt, wie sich Snowden beruflich entwickelt hat – vom High-School-Abbrecher zum Soldaten bis hin zum Systemadministrator der NSA. Ebenfalls Aspekte, die schon in den Medien abgedeckt beziehungsweise in Büchern wie Glenn Greenwalds Die globale Überwachung: Der Fall Snowden, die amerikanischen Geheimdienste und die Folgen detailliert behandelt wurden.

Regelrecht absurd wird es in Kapitel drei, wenn Rall dem Leser auf einer Seite erklärt, was Wikileaks ist (für den Fall, dass man die letzten 15 Jahre auf dem Planeten Krypton verbracht hat), so dass man sich als Leser nach der Lektüre bevormundet fühlt.

Man hat beim Lesen grundsätzlich das Gefühl, dass der Comic nicht so richtig weiß, was er sein will: eine Biografie Snowdens, ein Buch über die Überwachungsprogramme der NSA oder ein Denkanstoß über deren Auswirkungen. Es wäre sinnvoller gewesen, sich auf eins zu konzentrieren und dies ausführlich zu behandeln, anstatt einzelne Aspekte der Affäre nur oberflächlich anzusprechen. So erhält der Comic den Charakter einer Timeline, wie man sie von Newstickern auf Nachrichtenseiten kennt, die die NSA-Affäre in Stichpunkten und in einem sehr trockenen Schreibstil „abhaken“.

So wirft der Autor am Anfang des zweiten Kapitels die Frage auf, warum gerade Snowden zum Whistleblower wurde und was ihn von anderen NSA-Agenten unterscheidet, die sich an der Verletzung von Grundrechten durch die NSA-Überwachung nicht gestört fühlten. Eindeutig beantwortet wird diese Frage nie. Rall geht zwar darauf ein, dass Snowden in seiner Jugend Videospiele wie Tekken gespielt habe und sich für Anime und Comics interessiert (er ist einer von uns!), durch deren Einfluss er vermutlich seinen ausgeprägten Gerechtigkeitssinn entwickelte – was auch sicher interessante Anhaltspunkte sind –, worauf aber andere Autoren wie Glenn Greenwald oder Luke Harding in ihren Büchern zur NSA-Affäre schon vor ihm eingegangen waren – und zwar ausführlicher.

Dass der Comic die NSA-Überwachung aus keinem neuen Blickwinkel betrachtet, lässt sich schon erkennen, wenn man sich das Quellenverzeichnis des Comics zu Gemüte führt: Glenn Greenwald, Luke Harding, James Bamford – alles NSA-Experten, die schon vor Rall Bücher über die Thematik schrieben und das, im Gegensatz zu Rall, sehr spannend und mitreißend.

Es ist vor allem deswegen ärgerlich, dass der Comic nichts Eigenes zu der NSA-Thematik beiträgt, da der Autor hin und wieder neue und durchaus interessante Denkanstöße gibt, diese dann allerdings nicht weiter ausführt. So kritisiert er auf einer Seite, dass in den USA mehr Geld für Überwachung ausgegeben wird als für die Gesundheitsversorgung. Von solch einer Gesellschaftskritik hätte man sich in dem Comic mehr gewünscht. Rall geht zwar des Öfteren auf George Orwells 1984 ein, jedoch war dieser Vergleich eine sehr beliebte Analogie während der NSA-Affäre – neben dem Vergleich mit Michel Foucaults Überwachen und Strafen –, die ebenfalls bereits in anderen, früheren Abhandlungen zur NSA auftauchte.

Die Ästhetik des Comics bietet leider nicht sehr viel mehr Lesevergnügen als der Text. Der Comic lässt sich hinsichtlich der Panels (es gibt keine) und der Anordnung der Schriftzeichen als experimentell bezeichnen. Er ist wie ein Sachbuch geschrieben, das mit Illustrationen unterlegt ist. Dialoge in comic-typischen Sprechblasen lassen sich nur selten finden. Die Illustrationen selbst, die sich durch einen minimalistischen Zeichenstil auszeichnen, sind rein dekorativ und bieten keinen neuen Inhalt, der nicht schon durch den Text kommuniziert wird. Dadurch liefern die Bilder keinen Mehrwert. Sie zeigen meist die Person Edward Snowden – nur in verschiedenen Outfits.

© Seven Stories Press

Der Comic könnte sicher für solche Leser interessant sein, die völlig neu in die NSA-Überwachungsthematik einsteigen wollen oder ihr Wissen darüber auffrischen möchten, wobei Bücher eines Glenn Greenwald oder Luke Harding wohl eine spannendere Lektüre bieten würden. Ansonsten lässt sich im Bereich Comic vielmehr Valerie D’Orazios und Dan Lauers Beyond: Edward Snowden empfehlen.

Beyond: Edward Snowden

© TidalWave Productions

In Beyond: Edward Snowden werden alle drei Themenblöcke von Ralls Comic Snowden abgedeckt, allerdings unterhaltsamer, kurzweiliger und zusammenhängender. Valerie D’Orazio und Dan Lauer setzen das Allgemeinwissen über die NSA-Affäre voraus und konzentrieren sich lieber darauf, eine humorvolle und gesellschaftskritische Geschichte mit ansprechenden Zeichnungen zu schreiben. Der Comic erreicht dadurch auf 26 Seiten, was Ralls Comic über 224 Seiten nicht schafft: den Leser mitzureißen – und zeigt damit auch, dass Länge nicht alles ist.

Der Begriff „Beyond“ im Titel des Comics beschreibt den Inhalt bereits sehr gut, da der Comic zwar auf die herkömmlichen Informationen zur NSA-Affäre eingeht, aber auch darüber hinausgeht. Der Comic ist im Vergleich zu Ralls Snowden nicht wie ein Sachbuch geschrieben, sondern es gibt in dem Buch einen auktorialen Erzähler, der im Meta-Comic-Stil den Leser durch die Geschichte führt. Dieser geht auf neue, noch nicht bekannte Facetten von Snowdens Leben ein – zum Beispiel, dass Snowden bei einem Anime-Start-Up gearbeitet hatte oder was Snowden im Kampf für die Wahrheit alles in seinem Leben zurücklassen musste. So konnte er etwa nicht einmal seine Freundin davon in Kenntnis setzen, dass er nach China beziehungsweise schließlich nach Russland flüchten musste. Auch wenn andere Aspekte der NSA-Affäre, beispielsweise die Überwachungsprogramme, behandelt werden, bleibt Edward Snowden – im Gegensatz zu seinem Auftritt in Ralls Buch – als (Super-)Held immer der Mittelpunkt der Geschichte, wodurch der Leser eine Identifikationsfigur hat.

Die Autoren beschäftigen sich aber auch mit dem Danach und fragen sich: „will the message still be remembered?“ (S. 24) Sie nehmen den Leser damit in die Pflicht, das eigene Online-Verhalten zu hinterfragen und sich selbst auf den Prüfstand zu stellen: Was tue ich, der Leser, um Grundrechte wie Privatsphäre oder Informationsfreiheit zu bewahren?

Und die Gesellschaftskritik endet nicht dort. Die Autoren hinterfragen etwa auch die Doppelmoral vieler Staaten, als es darum ging, Snowden Asyl zu gewähren, kritisieren subtil das weitere Bestehen von Guantanamo und stellen sich vor, was mit Snowden im Gefängnis passieren könnte, wenn er doch noch in den USA verurteilt würde.

© TidalWave Productions

Nicht nur der Inhalt, auch die Ästhetik des Comics ist sehr ansprechend. Der Erzähler ist als Comicfigur als ein ständiger Beobachter Snowdens in die Geschichte eingebaut, was in einem Comic über Überwachungsthematiken ein ironisches, aber cleveres Gimmick ist. Die Panels sind aufwendig und innovativ gezeichnet und drücken durch ihre Gestaltung nicht nur die inneren Gemütszustände Edward Snowdens aus, sondern bringen auch die Auswirkungen der NSA-Überwachung auf Privatsphäre und Datenschutz prägnant auf den Punkt (und das nicht nur für Delfinsex-Liebhaber).

© TidalWave Productions

In Beyond: Edward Snowden werden die Illustrationen demnach nicht einfach lieblos unter oder über einen Textblock gestellt, wie Rall es in seinem Comic tut, stattdessen ist jede Seite anders als die vorherige gestaltet und somit ein Unikat. Die Autoren haben schließlich begriffen: Edward Snowdens Geschichte ist keine gewöhnliche, deswegen sollte es eine Geschichte über ihn auch nicht sein.

Ted Ralls Snowden: Mehr Schein als Sein.

4von10Snowden
Seven Stories Press, 2015
Text und Zeichnungen: Ted Rall
224 Seiten, Farbe, Softcover
Preis: 16,95 USD
ISBN: 978-1609806354

Beyond: Edward Snowden: Der Name ist Programm.

8von10Beyond: Edward Snowden
TidalWave Productions, 2018
Text: Valerie D’Orazio
Zeichnungen: Dan Lauer
26 Seiten, Farbe, Softcover
Preis: 5,99 USD
ISBN: 978-1948724135

Quellen:

Bamford, James (2008). The Shadow Factory. The ultra secret NSA from 9/11 to the eavesdropping on America. New York: Doubleday.

Greenwald, Glenn (2014). Die globale Überwachung. Der Fall Snowden, die amerikanischen Geheimdienste und die Folgen. München: Knaur.

Harding, Luke (2014). Edward Snowden. Geschichte einer Weltaffäre. London: Weltkiosk.

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