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Schappi

Am ersten Juli jeden Jahres öffnet die Herrin der am Berg gelegenen „Halle der edlen Schnitzwerke“ ihre Pforten für die armen Künstler, die das ganze Jahr über im Tal in aufgekratzter Stimmung nach Ausdruck und Relevanz streben. Einmal im Jahr dürfen diese ihre Werke ausstellen. Die meisten findet sie lächerlich. Einige behält sie aus Mitleid.

Alle Abbildungen © Anna Haifisch, Rotopol

Schon in der ersten der fünf Geschichten in Schappi ist Anna Haifisch bei dem Thema, das sie bereits in der Reihe The Artist bedient hat: Künstler und Künstlerin, wie sie sich selbst sehen – und Künstler und Künstlerin, wie sie fürchten, dass sie von anderen gesehen werden. Schon unheimlich, wie es Anna Haifisch in „Die Halle der edlen Schnitzwerke“ gelingt, punktgenau die Selbstzweifel von Kunstschaffenden abzubilden. Der Rechtfertigungsdruck dafür, einen Großteil seines Lebens für etwas Zweckfreies hinzugeben, ist auch 2020 unverändert groß. Vielleicht größer denn je.

„Die Halle der edlen Schnitzwerke“ ist die Adaption einer Story des Fantasyautors Merwyn Peake (1911–68), gleichwohl hat es Anna Haifisch in ihrem unverwechselbaren minimalistischen Stil, ihren Tierfiguren und ihren sich beißenden Farben in ein ebenso persönliches Werk ihrerseits verwandelt. Ich halte es für einen der Höhepunkte ihres bisherigen Schaffens, weil es die Künstlerthematik noch einmal auf eine sehr poetische Weise aufgreift, gleichzeitig aber auch einen sanft ironischen Ton beibehält. Von visueller Seite her würde man am liebsten jede Seite an die Wand hängen, und doch fügt sich alles stimmig zur übergeordneten Erzählung. Ganz groß.

Mit den weiteren Geschichten, die sich in Schappi befinden, betritt Anna Haifisch thematisch neue Pfade. Sehr politisch beispielsweise ist die Fabel „Das Mausglas“, in der sich die wichtigsten Tiere dieser Welt zum Tiergipfel treffen und dort außer verlogenen Höflichkeiten und kleinen Bosheiten keinen wirklichen Austausch zustandebringen. Interessant dabei das interpretationsoffene Einzelpanel von aufständischen Tierfiguren, die Molotow-Cocktails werfen und Geschäfte plündern. Die Lebenswelten von Regierenden und Regierten stehen sich genauso unvereinbar gegenüber wie die Lebenswelten zwischen Künstlern und deren Ausstellern, Sammlern und Händlern. Und trotzdem lebt man in Symbiose. Ein bisschen wie das Krokodil und der Vogel, der ihm die Zähne auspickt.

Anna Haifischs Menschenbild erinnert mich bisweilen an Hermann Huppen. Zwar ist Hermann ein Künstler, der naturalistisch arbeitet (auch er reduziert seine Linien, aber anders als Haifisch), doch erkennt man bei ihm stets, dass der Mensch in seinen Augen auch (nur?) ein Tier ist. In „A proud race“, der dritten Geschichte im Buch Schappi, schlägt diese Sichtweise auch bei Anna Haifisch voll durch. Eine Herde von (sehr menschlichen) Straußen feiert das Leben und den Augenblick, doch kommt einer von ihnen zu Tode, so wird die Natur des Todes akzeptiert und ohne Jammern schnell zur Tagesordnung übergegangen. „Wir weinen nicht wegen jedem Firlefanz“ – der Tod gehört zum Leben, so einfach ist das.

Es ist wohl durchaus angemessen, hier einen ethischen Kommentar zu sehen, eine Zivilisationskritik, die man bezeichnenderweise auch in nahezu jedem Comic von Hermann Huppen erkennen kann. Einklang mit der Natur ist ohne eine Akzeptanz des Todes nur schwer vorstellbar. Oder hält die Künstlerin ihre anmutigen und schönen Vögel am Ende für abgehoben und selbstverliebt? Ein Glück, dass sich gerade diese Geschichte einer eindeutigen Deutung entzieht.

Anna Haifisch thematisiert in ihren Geschichten immer wieder aufs Neue das elitäre und blasierte Gehabe mancher Kunstbeflissenen. Gerade hier liegt die Krux ihrer The-Artist-Geschichten: Der Künstler macht sich und den Kunstbetrieb selbst zum Thema, so dass eine Blase entsteht, die mit dem Rest der Welt in keiner Weise mehr in Verbindung steht. Mit Schappi zeigt Anna Haifisch jedoch, dass sie keineswegs so monothematisch ist.

Das Interview, das sie Christian Gasser im Zuge ihrer Auszeichnung mit dem Max-und-Moritz-Preis als beste deutsche Künstlerin 2020 gegeben hat, macht außerdem zuversichtlich, dass sie der Comicwelt noch lange erhalten bleibt und nicht so bald im Kunstsektor oder im reinen Illustrationsbereich verlorengehen wird.

Unterhaltsame und kluge Comickunst. Kein Kunstkram.

10von10Schappi
Rotopol Press, 2019
Text und Zeichnungen: Anna Haifisch
92 Seiten, Farbe, Softcover
Preis: 20,00 Euro
ISBN: 978-3964510082
Leseprobe

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