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Rostige Herzen 2 – Inspiration

Das Steampunk-Märchen von Munuera und dem Autorenduo Beka, das sind Bertrand Escaich und Caroline Roque, geht in die zweite Runde. Gerrit und Christian diskutieren über die Fortsetzung „Inspiration“.

Alle Abbildungen © Carlsen Verlag

Gerrit: Wir kennen ja beide den ersten Band dieser im 19. Jh. spielenden Robotergeschichte bereits – du hast ihn in deinen Topcomics des Jahres 2023 in den Himmel gelobt, ich war im Juli nicht weniger begeistert. Nun ist der zweite Band erschienen. Endlich – ich konnte es kaum erwarten!

Christian: Rostige Herzen ist eine Reihe, auf die ich nicht gewartet hatte. Ich fand den ersten Band 2023 einfach so in der Auslage am Bahnhofskiosk und er gewann mich ohne Vorbereitung auf den ersten Blick. Das Figuren- und Roboterdesign ist sehr ansprechend, außerdem wird schon beim flüchtigen Durchblättern klar, wie großartig Munuera in Bildern erzählen kann. Da musste ich vor dem Kauf nicht lange nachdenken. Auf den zweiten Blick, nach der Lektüre, sah ich auch eine gewisse Tendenz zum Kitsch in der Verwendung eines überaus pittoresken Südstaatenambientes aus der Ära der Sklaverei, nur dass hier Roboter den Wohlstand der weißen Herren sichern. Wollen Beka und Munuera hier eine Geschichte über Unterdrückung schreiben, ohne dabei jemandem weh tun zu wollen?

Gerrit: Ja und nein, aber vor allem nein! Beka und Munuera tun ja vielmehr uns allen weh, weil es nicht (nur) um Roboter, sondern vor allem um herzlose Menschen geht. Eva wächst ohne ihre Eltern auf, weil diese einst von Robotern getötet wurden. Seitdem schlägt sie sich durch, indem sie in fremde Häuser einsteigt und die Beute beim Pfandleiher verhökert. Als sie in den Besitz eines geheimnisvollen Buches, verfasst von einem Roboter, gelangt, wird sie selbst zur Beute, denn manchen Menschen wie der unsympathische Großgrundbesitzer Halpha macht dieses Buch Sorgen: „Wenn wir auch nur einem einzigen Roboter gestatten zu kreieren, wird alles, was wir erschaffen haben, alles, was wir sind, verschwinden.“

Roboter, die Bücher schreiben …

Was für eine tolle und intelligent erzählte Geschichte! Mich faszinieren Geschichten über Roboter, Androiden oder Künstliche Intelligenz (hier ist eine Zusammenschau vieler Comics zum Thema), und diese Serie unabhängiger Storys, die aber in einer gleichgearteten retrofuturistischen Südstaatenwelt spielen, finde ich wahnsinnig gut. Der erste Band handelte von kaltherzigen Menschen, deren materialistisches Denken sie von den empathiefähigen Robotern unterscheidet. Zugleich ist es eine Geschichte über Liebe, Macht und Freundschaft – Themen, die dazu einladen, auch mal knietief im Kitsch zu waten. Im zweiten Band geht es aber um Kunst: Können Roboter Kunst schaffen?

Christian: Ist es wirklich eine Serie unabhängiger Storys? Ich habe eher das Gefühl, die Story um die Figuren aus Band 1 ist lediglich auf Eis gelegt, um in Nummer 2 das Figurenensemble zu erweitern.

Gerrit: Bisher lässt sich kaum sagen, ob es unabhängige Geschichten in derselben Welt sind oder sich deren Wege noch kreuzen werden. Wer den ersten Band nicht kennt, kommt auf jeden Fall zurecht.

Christian: Ich muss sagen, dass ich den Erzählschwenk begrüße, denn die Story um Isea und ihre böse Mutter war zwar spannend, ich finde es aber besser, wenn das Potenzial der Konstellation Mensch-Maschine noch anders genutzt wird als nur zur Spannungserzeugung. Für den Gegensatz empathischen Maschine gegen selbstsüchtige Menschen passt der klare Stil von Munuera natürlich super, der kann aber auch schnell plakativ werden. Das erzählerische Ersetzen der Sklaven aus Afrika durch Maschinen fand ich ursprünglich eher zweifelhaft (siehe meine Begründung in der Jahresbestenliste), aber inzwischen sehe ich den Reiz. Es leiten sich interessante Fragestellungen daraus ab: Was macht es aus dem Menschen, wenn er sich über Maschinen stellt, denen die Menschlichkeit einprogrammiert ist, denen andererseits aber jederzeit die Menschlichkeit abgesprochen werden kann? Braucht der Mensch jemanden, über den er sich stellen kann? Und wo kommen Ideen überhaupt her? Manchmal beschleicht mich das Gefühl, bereits die ursprüngliche menschliche Intelligenz ist eine Form KI 1.0, da die Menschheit sich mit ihrer Intelligenz von der Natur erfolgreich abgekoppelt hat und nicht mehr zurückfindet. Wir leben bereits in einem Zustand der Abstraktion. Ist das zu hochtrabend?

Gerrit: Nach den großen Kränkungen durch Freud und Darwin ist die KI-Kränkung ja noch drastischer: Nicht nur hebt der Mensch sich nicht von der Natur ab, seitdem die Erde nicht mehr im Zentrum des Kosmos und der Mensch nur das Resultat der Evolution ist, nun kann der Mensch sich nicht einmal mehr von seinen eigenen Schöpfungen abgrenzen. Kein Wunder, dass KI-Dystopien so um sich greifen und alle Diskussionen über den Einsatz von KI-Tools sehr emotional werden – man sehe nur die Debatte um Andrea Sorrentinos vermeintlichen Einsatz von KI. Und dieser Comic nimmt genau dieses Thema nun in den Blick: Können KIs Kunst – oder sollte uns das Angst machen?

Und trotz aller Modernität sind die Handlungsabläufe doch ganz bekannt: Mir gefällt diese (altmodische) Idee eines gefährlichen, geradezu sakralen Buches, das einen radikalen Gedanken verkörpert, vor dem Menschen sich fürchten. Nicht Smartphones, autonome Drohnen oder HAL 9000 führen die Menschen in den Kollaps, sondern eine (Un-)Heilige Schrift, die Menschen (entschuldigung: Maschinen) dazu bringt, an etwas Größeres zu glauben als sie selbst. „Inspiration“ (also Einhauchung), so der Titel, hat schließlich zugleich eine theologische und eine künstlerische Dimension – auch den Maschinen werden Seelen eingehaucht. Wie schon beim ersten Band geht es vielleicht sogar nur am Rande um Künstliche Intelligenz, sondern mehr noch um menschliche Dummheit, illustriert durch Maschinen, die besser sind als wir.

Christian: Wir sollten nicht außer Acht lassen, dass Munuera hier keine KI verwendet und, wie ich annehme, auch kein Interesse an der Arbeit mit KI hat. Es geht hier also nicht um Statements irgendeiner Art, sondern ist einfach nur ein Robotermärchen. Dennoch gibt es der Geschichte eine sehr reizvolle Färbung, dass darin so frech für die Freiheit des künstlich Generierten gekämpft wird. Da wir selbst dem KI-generierten wenigstens mit Vorbehalt gegenüberstehen, ist man in den erzählten Konflikt ganz anders involviert. Eigentlich eine Variation des alten Blade-Runner-Motivs, aber klug aufgesetzt, alles wirkt frisch und neu.

Der Handlungsstrang des revolutionären, von künstlichen Menschen verfassten Buchs hat mich auch sehr begeistert. Die Fragestellung ist aber auch wirklich inspirierend: Kann eine Idee schon alleine deswegen als wertlos gesehen werden, nur weil der Entstehungsprozess nicht akzeptiert werden kann? Was macht das dann aus uns? In Rostige Herzen ist die Reaktion der Menschen trotzig und gewalttätig und damit gar nicht unrealistisch. Die freundlichen Roboter sind natürlich reine Fantasy. Oder sind es tatsächlich nur menschliche Projektionen in die Maschine? So oder so ist es überraschend vielschichtiger Stoff, von Munuera verführerisch umgesetzt, regelrecht seduktiv. Dem Künstler geht es dabei sicherlich auch darum, Dinge in Szene zu setzen, die ihn selbst nicht langweilen. Und uns auch nicht.

… und Roboter, die töten.

Gerrit: Langweilig ist dieser Comic wirklich nicht. Am Ende stirbt der Antagonist Halpha in seinem brennenden Haus, und da auch sein Sohn, den er erkennbar liebt, dabei zu sterben scheint, wird seine anfängliche Äußerung zu einer self fullfilling prophecy, denn nun ist „alles, was wir erschaffen haben, alles, was wir sind“, tatsächlich in Rauch aufgegangen. Dass Halpha seinem Sohn gegenüber fürsorglich ist und einer der Roboter, die Evas Eltern Jahre zuvor getötet hatten, offenbar auch zu Mitleid fähig war, weil er Eva zu bemerken und zu verschonen scheint, macht die Charaktere auch etwas facettenreicher.

Und Munueras Zeichnungen fangen den Kontrast zwischen dieser Westernwelt und den Robotern wunderbar ein: Roboter auf Pferden reitend? Ein herrlicher Einfall fast wie in Planet der Affen. Diese überformten Gesichter mit den überlangen Nasen, die sehr individuellen Robo-Visagen und schöne Stadtansichten. Hoffentlich kommt der nächste Band etwas schneller …

Christian: Halphas Fürsorge gegenüber seinem Sohn finde ich viel angemessener als das bösartige Verhalten der Mutter gegenüber ihrer Tochter in Teil 1. Beides zusammen ergänzt sich allerdings und gibt ein schönes bisheriges Gesamtbild: hier die böse Mutter, dort der fürsorgliche Vater, und doch sind beide gleich blind für die Realität. Die Autor*innen leisten wirklich erstklassige Arbeit. Ich bin gespannt, ob sich das mit Band 3 zu einem Triptychon erweitert und auch, ob das dann wirklich schon der letzte Band sein soll. Solchen Ankündigungen schenke ich inzwischen ohnehin wenig Glauben, höchstens im Sinne von: Es wäre keine Katastrophe, wenn es hier endet, aber bei Erfolg erzählen wir gerne weiter!
10von10

Christians Fazit: Eine Perle unter den derzeitigen Albumserien.

Gerrits Fazit: Genau!

 

Rostige Herzen 2: Inspiration
Carlsen Verlag, 2024
Text und Zeichnungen: Beka, Jose Luis Munuera
Übersetzung: Marcel le Comte
72 Seiten, Farbe, Hardcover
Preis: 22,00 Euro
ISBN: 978-3-551-79893-0
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