Horror, der unter die Haut geht: Mit Mortalis hat der deutsche Tattoo-Künstler Dominik Jell ein solides Comic-Debüt vorgelegt, das Lust auf mehr macht.
Der im Manga-Stil gezeichnete Horrorcomic besteht aus zwei unabhängig voneinander lesbaren Kurzgeschichten, die sich thematisch auf schlüssige Art ergänzen: Beide Male geht es darum, dem eigenen Schicksal nicht entkommen zu können. Wenn die Stories auch etwas an Originalität vermissen lassen, so entschädigen die atmosphärischen Zeichnungen allemal. (Jugendliche Leser aufgepasst: Hier kann es mitunter sehr blutig zugehen, weswegen der Carlsen-Verlag den Comic erst für Leserinnen und Leser ab 18 empfiehlt.)
Die erste Geschichte („Osiris“) spielt in der Gegenwart und begleitet einen jungen Blogger auf der Suche nach angeblichen Spukhäusern, der für seine Follower eine abgelegene Herberge auskundschaften will. Die grausigen Entdeckungen, die er dort machen muss, übertreffen jedoch seine kühnsten Erwartungen. Dass Jell seine erste Story in Japan ansiedelt, ist wie eine Verbeugung vor der Tradition, in die er sich mit seinem Comic selbst einschreibt. Die Szene deutscher – oder besser gesagt: deutschsprachiger – Mangaka (z.B. die Österreicherin Melanie Schober oder die Schweizerinnen Gin und Ban Zarbo sollen hier keinesfalls unter den Tisch fallen), die sich den Stil der japanischen Mangas zunutze machen und ihre Comics sogar der umgekehrten Leserichtung anpassen, boomt noch immer gewaltig. Dennoch sind Horrorcomics in dieser Sparte bis heute eher selten. Mortalis könnte diesbezüglich etwas ändern und als eine Art Feuertaufe fungieren, bei der in Zukunft nicht nur Genrefans auf ihre Kosten kommen könnten.
Für die zweite, diesmal im Mittelalter angesiedelte, Geschichte („Exekution“) wählt Jell seine deutsche Heimatstadt Landshut als Schauplatz, die von der Pest heimgesucht wird. In einer Rückblende wird erzählt, was dem Verfall der Stadt vorausging, wobei die Gewissenskonflikte eines jungen Priesters angesichts einer bevorstehenden Hexenverbrennung die Hauptrolle spielen. Im Gegensatz zu „Osiris“, die bis zum Schluss eher eine Fingerübung bleibt und in erster Linie wohl das erzählerische Terrain auskundschaften soll, lebt die Folgegeschichte von ihrem süddeutschen Lokalkolorit und gewinnt dadurch mächtig an Authentizität. Das mittelalterliche Setting – eine echte Herausforderung für jeden Comiczeichner – wird von Jell derartig selbstverständlich eingefangen, als hätte er sein Leben lang nichts anderes gemacht. (Wie Jell im Interview am Ende des Bandes erzählt, arbeitet er hauptsächlich mit dem Programm Procreate, um seine Ideen zum Leben zu erwecken.) Die Zeichnungen sind in der Tat sehr gelungen, strotzen vor Details und gewinnen zunehmend an Dynamik. Wo es noch hapert, sind die Gesichter. Eher leblos und kaum unterscheidbar wirken diese oft, sodass sich die Bandbreite der Affekte nur unzureichend in den verschiedenen Gesichtsausdrücken wiederspiegelt.
Trotz dieser Mängel gibt Mortalis seinen Status als Debüt-Comic an keiner Stelle preis und wirkt bereits im ersten Anlauf absolut professionell. Die Panelstruktur ermöglicht einen angenehmen Leserhythmus, die den japanischen Vorbildern in nichts nachsteht. Jells Comic-Feuertaufe ist somit bestanden, man darf gespannt sein, was da noch folgt.
Solides Comic-Debüt eines deutschen Mangakas
Carlsen, 2022
Text und Zeichnungen: Dominik Jell
178 Seiten, schwarz-weiß, Softcover
Preis: 12,00 Euro
ISBN: 978-3-551-02447-3
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