Manara zeichnet X-Men, Manara zeichnet Marvel-Cover, Manara zeichnet exklusiv eine Sandman-Episode für Neil Gaiman – irgendwie wird man den Eindruck nicht los, dass Milo Manara in den letzten Jahren gerne vom Mainstream vereinnahmt wird und zu einer Art Vorzeigekünstler für seichte Soft-Erotik mutiert bzw. – im Fall von Gaiman – zum europäischen Ästheten par excellence stilisiert wird, idealisiertes Europabild inklusive. Dabei ist bei Manara die Ästhetik stets nur Beiwerk, ist er doch in erster Linie ein rüder Pornograph, dem das üble Machwerk Click viel näher ist als das dünne X-Men-Büchlein mit dem Titel Frauen auf der Flucht – kaum auszudenken, was Manara mit den X-Girls wohl angestellt hätte, hätte Chris Claremont nicht sein waches Auge auf die Finger seines Wunschzeichners für hübsche junge Frauen gerichtet.
Aber dann kam Jodorowsky, und einfühlsam wie Jodo nun mal ist – er hat schon Moebius aus einer tiefen Krise gerettet – schrieb er für Manara eine schrecklich schöne Geschichte voller Sex, Gewalt, Porno und historischen Dekors. Ein Traumpartner für Manara, denn die Reihe Borgia war endlich mal wieder ein episches Projekt, das nicht nur ein Nachhall früherer Großtaten war, sondern tatsächlich ein weiterer Meilenstein in seiner eigenen künstlerischen Biografie. Bei Panini liegt die Serie nun im Rahmen der Manara-Werkausgabe als preiswerte Gesamtausgabe vor. Es ist gleichermaßen ein typischer Manara und ein typischer Jodorowsky geworden – echtes Fanfutter für die Anhänger beider Künstler.
Das erste Schmunzeln bei der Panini-Ausgabe stellt sich allerdings ein, wenn ich sehe, dass das Werk auf dem Cover als Sittengemälde angepriesen wird, verstehe ich unter dem Begriff doch eher eine differenzierte oder wenigstens realistische Darstellung einer Epoche, also mithin das Gegenteil von dem, was Manara und Jodo tun. Richtig liegt der Klappentext indessen mit der Aussage, dass der Suggestionskraft des Bildes gegenüber der Historizität eine übergeordnete Rolle eingeräumt wird. In der Tat, dies ist nicht die Geschichte der Borgia, dies ist „Jodorowskys Borgia“, ein krank-morbides Machwerk voller Splatter, das – soviel Gattungsbewusstsein muss sein – so wohl nur in Form der Comicerzählung möglich ist. Aus Jodos krudem, aber leidenschaftlichem Text und Manaras Kunst, die in dieser Erzählung vor allem durch dessen aufwändige Kolorierung noch deutlich an Strahlkraft gewinnt, entsteht eine interessante Spannung.
Die Erzählung selbst ist episodenhaft und wird mehr oder weniger durch die Klammer zusammengehalten, dass Rodrigo Borgia, der spätere Papst Alexander VI., im ersten Teil darum kämpft, Papst zu werden und den Rest der Erzählung darum kämpft, diese Position zu halten. Dabei schreckt er vor übelsten Schandtaten und Verbrechen nicht zurück: Die 150 mönchischen Liebhaber seines Konkurrenten Sforza beispielsweise lässt er ermorden, deren sämtliche 150 Penisse in einen Sack stecken und Sforza als Zeichen seiner Skrupellosigkeit zeigen. Dann lässt er die meistgeliebten Künstler sakraler Kunst in Rom ermorden und erkauft sich von einem armen Hundknecht ein falsches Geständnis, um vor dem Volk sein konsequentes Durchgreifen demonstrieren zu können. Das Versprechen an den Knecht, ihn für das Geständnis zu entlohnen und freizulassen löst er hingegen nicht ein, stattdessen lässt er diesem die Zunge herausschneiden, ihn in der Arena vierteilen und von Hunden fressen.
All das wird genüsslich und auf vielen Seiten episch ausgebreitet und ist trotz aller Bestialität der fesselndste Teil der Erzählung. Danach verliert sich die Geschichte im Episodischen und im Grotesken. Die durch Rodrigo Borgia veranlassten Verbrechen werden mitunter inszeniert wie in einem amerikanischen Slasherfilm: ein Liebespaar wird während des Akts mit dem Speer durchbohrt, eine Frau während des Sex enthauptet, ein Widersacher Borgias auf dem Nagelbrett vergewaltigt, Unterlegenen wird ins Gesicht uriniert. Zwischentöne oder Sympathieträger sind auch mit gutem Willen nicht auszumachen, so dass sich die Erzählstruktur schnell abnutzt.
Immer wieder gibt es auch Gastauftritte prominenter Renaissancekünstler, wie beispielsweise Botticelli, der in religiöser Ergriffenheit ein Bild auf dem Scheiterhaufen verbrennt. Das veredelt die Geschichte durchaus und gibt Manara die Gelegenheit für einige wunderbar spekulative Darstellungen, trotzdem betreiben die Autoren ihr Namedropping vor allem zum Selbstzweck. Auch Leonardo da Vinci wird bemüht, er darf für die Borgias allerhand Wunderwaffen entwickeln. Zwar verabscheut da Vinci den Krieg, aber die Verführung durch Rodrigo Borgias Sohn Cesare, der ihm verspricht, ihn einen ganzen Tag besitzen zu dürfen, reicht aus, da Vinci umzustimmen. „Alles ist eitel“ lautet passenderweise der Titel dieser Episode.
Die redaktionelle Gestaltung durch Panini überzeugt. Das Interview mit Manara ist lesenswert und aufschlussreich, aber auch der einleitende Essay geht in Ordnung, selbst wenn es der – leider ungenannt bleibende – Autor mit der die Bewunderung für Manara etwas übertreibt. Weder in Manaras Bildern noch in Jodorowskys Text kann ich die von ihm attestierte nuancierte Charakterisierung erkennen, noch kann ich mir überhaupt vorstellen, dass sie vorgesehen war.
Jodorowsky erzählt mit dem Holzhammer und manchmal stelle ich mir die Frage, was wohl ein Erzähler wie Patrick Cothias, Autor von historischen Stoffen wie Die Sieben Leben des Falken, aus dem Material gemacht hätte. Aber es entspricht der Haltung Jodos, ohne nuancierten Plot zu erzählen, denn das würde Psychologie erfordern; ich habe allerdings den Eindruck, als schriebe Jodo an jeder Form von Psychologie aus Überzeugung vorbei. Bei ihm sind Menschen nicht mehr als Tiere vor der Kamera, Macht ist Selbstzweck und Machterhalt Naturgesetz. Geht man von Jodorowskys Sichtweise aus, so ist Borgia wohl tatsächlich ein Sittengemälde, denn wahrscheinlich sieht er die Welt tatsächlich so krank und verkommen, wie sie in seinen Comics ist; allein mit dem Unterschied, dass Splatter, Pestilenz und Pornografie als verkürzende Metapher für wesentlich komplexere Zusammenhänge herhalten müssen. Die Mächtigen vergewaltigen die Welt? Dann setzen Manara und Jodorowsky dieses Sprachbild eben wortwörtlich in Szene, womit die Metapher der Vergewaltigung zum tatsächlichen Vorgang umgewandelt wird. Analog ist es mit all den anderen Verbrechen, die so farbenfroh und detailfreudig ausgeschmückt werden.
Ich kann die beiden alten Säcke Manara und Jodorowsky für das, was sie tun, nur bewundern. Eigentlich bieten sie alles andere als große Erzählkunst, aber sie tun das mit einer Vision und Hingabe, die einen sprachlos macht. So ist wohl auch weniger die Qualität singulärer Comics der Grund für Manaras und Jodorowskys anhaltenden Ruhm, sondern die Konsequenz, mit der beide schon seit einem gefühlten halben Jahrhundert an ihrem jeweils sehr individuellen Gesamtkunstwerk arbeiten, von dem Borgia ein weiterer charakteristischer Teil ist.
Borgia überzeugt durch Manaras großflächige Bilder und seine sorgfältige Kolorierung.
Panini Comics, 2015
Text: Alejandro Jodorowsky
Zeichnungen: Milo Manara
Übersetzung: Rossi Schreiber
220 Seiten, farbig, Hardcover
Preis: 39 Euro
ISBN: 978-3957983060
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