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Kondensstreifen im Kopf

Wer Flugzeuge in seinem Bauch hat, ist von Kondensstreifen im Kopf denkbar weit entfernt. Zwischen dem Grönemeyer-Gassenhauer von 1984 und Till Lukats Comic liegen nicht nur 37 Jahre, sondern auch Welten.

Alle Abbildungen © avant-verlag

Peter Hartmann heißt der eigenschaftsarme Protagonist dieses Coming-of-Age-Comics, ein Max Mustermann der Nuller Jahre, der alle Übel jugendlicher Identität erleben muss: brutale Mitschüler, peinliche Eltern und eine untreue Freundin. Außerdem versemmelt Peter ein ums andere Mal die praktische Führerscheinprüfung. Kein Problem – immerhin geschieht das etwa 26% der deutschen Fahranfänger*innen.

Während Peters love interest Anke sich für jemand anderen interessiert, könnte er die Aufmerksamkeit seiner Kumpelfreundin Kiana genießen, wenn er sie denn überhaupt bemerken würde. Aber auf diesem Auge ist Peter ebenso blind wie er taub ist für die unbrauchbaren Ratschläge seines Fahrlehrers. Flugzeuge hat er nicht in seinem Bauch.

Sein Vater, in seiner fehlgeleiteten Selbstwahrnehmung irgendwo zwischen Picasso und Pink Floyd, übt sich währenddessen in Aktmalerei mit Frau Machiewsky, zeigt sich aber hilfsbereit, wenn er seinem Sohn aus der Klemme helfen muss. Picassos „Guernica“ hängt im Wohnzimmer, ganz so schlimm ist es zuhause doch nicht. Ein wenig langweilig vielleicht, sicher kein Rock’n Roll.

Kondensstreifen im Kopf – was hat es nun mit diesem Titel auf sich? Immer wieder durchschneiden Flugzeuge den Himmel und hinterlassen die titelgebenden Kondensstreifen. In einer Szene mit Kiana und Peter scheinen die Flugzeuge naheliegenderweise ein Symbol des Aufbruchs oder der Sehnsucht danach zu sein: „Das nächste Mal, wenn eins abhebt hänge ich mich unten ran und dann bin ich weg. Kommst du mit?“ Abgesehen von dem Komma, das hier fehlt, vermisst man auch eine irgendwie überraschende Deutung: Fortfliegende Flugzeuge als Sehnsuchtssymbol sind nun wirklich allzu gewöhnlich.

Zwar könnte man bei dem Titel an eine Abwandlung von Herbert Grönemeyers „Flugzeuge in meinem Bauch“ denken oder eine Abrechnung mit den Realitätsentrückungen von Chemtrailern, aber insgesamt bleibt unklar, was die Metapher uns sagen will. Als Sehnsuchtssymbol taugen die flüchtigen Wolkenformationen ganz im Gegensatz zum Flugzeug natürlich nicht, weil sie nur ein notwendiger, nicht aber gewünschter Überrest sind. Aber wessen Sehnsucht sollten sie überhaupt abbilden? Peter erscheint als so blass und interesselos, dass er wenig Emotionen erkennen lässt. Hat der Protagonist etwa nichts als Wolken im Kopf?

Es gibt außerdem einen mysteriösen Waschbär. Viel erfahren wir nicht über ihn, aber er scheint ständig auf Futtersuche zu sein, und so begegnen wir ihm ein ums andere Mal. In fünf Szenen schleicht ein Waschbär durch die Panels. Am Anfang frisst er Leberwurstbrot, am Ende Burger. Aus. Ende. Auch der Waschbär gibt sein Geheimnis nicht preis.

Bei manchen Comics trösten die Zeichnungen über einen wenig zufriedenstellenden Plot hinweg, aber leider bieten Kondensstreifen im Kopf in dieser Hinsicht keinen Trost. Die Zeichnungen in Schwarz-Weiß-Blassrosa sind perspektivisch und proportional manchmal so schief, als wäre es auch egal, was genau auf den Bildern auf welche Weise dargestellt ist. Und ob der Schokoriegel jetzt „Snickers“ oder „Snikers“ heißt – wen kümmert es?

Peter hat Eltern, mit denen man sich streiten könnte (tut er aber nicht), er hat in Anke eine Freundin, die ihn verlässt (kümmert ihn aber nicht), er hat in Kiana eine Kumpel-Freundin, deren Beziehung so gemächlich dahinplätschert, und als er von Mitschülern gemobbt wird, löst der Ärger sich auch schnell wieder auf. So klappert der Comic in vielen Episoden bekannte Coming-of-Age-Klischees ab, ohne wirklich eine Jugend lebendig zu machen. Spannend wäre es doch gewesen, würde man miterleben können, welchen Eindruck diese Szenen auf Peter machen, aber stattdessen perlt alles an ihm an. Peter hat keine Flugzeuge im Bauch, bestenfalls Kondensstreifen im Kopf. Wäre die Jugend so langweilig, müsste man sich auf das Erwachsenendasein freuen. Max Mustermann wären die Füße eingeschlafen.

Ein Waschbär, viele Flugzeuge und noch mehr Fragezeichen

3von10Kondensstreifen im Kopf
avant-verlag, 2021
Text und Zeichnungen: Till Lukat
152 Seiten, Farbe, Hardcover
Preis: 25,00 Euro
ISBN: 978-3964450562
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