Eine große Ehre: 2016 durfte der Zeichner Mathieu Sapin, der damals schon an seinem Gérard-Depardieu-Comic arbeitete, gemeinsam mit François Hollande, dessen PR-Chef und einigen weiteren Vertrauten im Élysée-Palast übers Filmemachen diskutieren. Dabei kam die Frage auf, wer wohl der berühmtere Franzose sei: Gérard Depardieu oder François Hollande. Könnte es sein, dass vielleicht tatsächlich Depardieu das prominenteste Aushängeschild seiner Heimat sei? Das gefällt einigen der Anwesenden überhaupt nicht, denn immerhin war es Depardieu, der Frankreich in Empörung über eine geplante Reichensteuer laut polternd den Rücken kehren wollte und dafür sogar die russische Staatsbürgerschaft annahm. Einen größeren Stinkefinger an das Land, das er gefälligst repräsentieren sollte, kann man sich kaum vorstellen.
Ein bisschen hat sich die Situation ja inzwischen beruhigt. Depardieu ist den angedrohten letzten Schritt nicht gegangen, sondern ist immer noch Franzose, außerdem lässt der deutsch-französische TV-Sender Arte ihn inzwischen wohlwollend auf kulinarische Entdeckungsreisen gehen. Auch der Umstand, dass der Comiczeichner Mathieu Sapin mit Depardieu durch den Kaukasus auf den Spuren von Alexandre Dumas wandeln durfte, ist einer Arte-Produktion zu verdanken. Daraus hat sich auch die vorliegende Graphic Novel entwickelt. Sie dürfte mehr noch als die Arte-Produktionen eine gute PR-Investition für Depardieu gewesen sein, denn anders als im Fernsehen, wo er den Feinschmecker gibt, fühlt man sich durch den Comic nicht manipuliert. Wir sehen hier nicht nur die aufpolierte, frisierte Seite dieses Titanen, sondern ebenfalls den Rüpel, der er natürlich auch ist. Man müsste schon die letzten 20 Jahre in einer Höhle verbracht haben, um darüber nicht Bescheid zu wissen.
Sapin beschönigt nichts, und doch sieht Depardieu menschlicher aus, als es das Bild der Boulevard-Presse zulässt. Depardieu vertraut Sapin und akzeptiert ihn als Dokumentaristen. Er verstellt sich nicht und zensiert ihn nicht – zumindest hat man nicht den Eindruck, dass Depardieu etwas verbirgt. Aber wer im Flugzeug vor den Augen der Stewardess und sämtlicher Passagiere auf den Teppich pinkelt und jede Zeitung der Welt darüber berichtet, der hat wohl auch nichts mehr zu verbergen. Kein Wunder, dass Depardieu die Medien hasst – die Filmemacherei übrigens auch und sich selbst am meisten.
Aber ein Genussmensch zu sein, hat eben doch auch seine schönen Seiten, und so hat die umtriebige Naturgewalt Depardieu eben doch ihren Frieden mit dem Dasein gefunden – irgendwie jedenfalls. Über seine Jugend erzählt er viel, aber er lässt keinen Zweifel daran, dass er froh ist, sie hinter sich zu haben. Das gleiche gilt für seine Karriere bis zum heutigen Augenblick. Alles unbefriedigend und aufreibend. Depardieu ist rastlos, ungeduldig, ungehobelt, manchmal auch charmant, selbstverständlich talentiert, selbstverliebt und gleichzeitig voll Selbsthass, selbstzerstörerisch und immer überaus mitteilungsfreudig. Er redet und redet und redet, aber wenn man glaubt, ihn verstanden zu haben, blafft er dich an und meint, dass du eben gerade überhaupt gar nichts verstanden hast.
Was davon Inszenierung ist, was Selbstdarstellung und was der echte Charakter dieses Kolosses, das weiß Depardieu wohl selbst nicht. Wenn er das ist, was andere in ihm sehen, dann ist er gleichzeitig auf der Flucht davor oder arbeitet daran, dieses Bild zu zerstören. Diese Zerrissenheit macht ihn durchaus liebenswert, aber besser ist es, man lässt ihn in Ruhe. Andererseits hat aber nun gerade Mathieu Sapin ihn nicht in Ruhe gelassen und wurde so zu einem Vertrauten, der Depardieu über fünf Jahre begleiten durfte. Tja, im Leben lässt sich eben nicht alles planen.
Mathieu Sapin gelingen ulkige Bilder, die Depardieu gleichwohl aber nicht zur Karikatur degradieren. Im Gegenteil dringt die reduzierte Darstellung durch die Fassade und zeigt den unverstellten Depardieu. Um den Mann zu verstehen ist gerade Sapins Comic damit ein nicht zu unterschätzendes Hilfsmittel.
Gérard Depardieu. Irgendwie scheint er doch ein ziemlich cooler Typ zu sein.
Reprodukt, 2018
Text und Zeichnungen: Mathieu Sapin
Übersetzung: Silv Bannenberg
160 Seiten, farbig, Hardcover
Preis: 24 Euro
ISBN: 978-3-95640-143-5
Leseprobe
Aus meiner Sicht einer der besten Comics des Jahres bisher. Großartig fand ich auch die vielen Detail-Beschreibungen, die Sapin in den Panels eingeflochten hat. Da ist Reprodukt mal wieder ein echter Volltreffer gelungen.