Das Spiel Divinity: Original Sin 2 hat sich millionenfach auf PC und Konsolen verkauft. Mit dem Sammelband Divinity: Original Sin 2 – Godwoken machen die Entwickler jetzt den ersten Schritt, ihr Franchise auch in der Comicbranche zu verbreiten.
Anmerkung: Der Verfasser hat 2017 an der deutschen Korrektur des Spiels Divinity: Original Sin 2 mitgearbeitet und ist daher etwas mit den Entwicklern des Spiels bekannt.
2017 erschien der zweite Teil des Rollenspiels Divinity Original Sin. Der erste wie auch der zweite Teil stammen von den belgischen Entwicklern von Larian Studios und bieten ein rundenbasiertes Kampfsystem, freie Charaktergestaltung und die Möglichkeit, die Spielwelt mit einer Gruppe von vier Leuten zu erkunden.
Beide Titel wurden über Kickstarter finanziert, wobei die Crowfunding-Kampagne von Original Sin 2 das Doppelte der angepeilten Summe erreichte. Mit mehr Geld konnte Larian auch ambitionierter mit der Geschichte umgehen und etwa mögliche Gruppenmitglieder zu Hauptcharakteren machen. Das bedeutete, dass ihre eigenen Geschichten und Quests auch als Spieler*in abzuschließen waren, sodass es also zwei Spielerlebnisse gab: eines mit dem Gruppenmitglied als Begleiter*in und eines, in dem besagte Begleitperson selbst zur Hauptfigur wurde. Die Vorgeschichte dieser sechs Personen werden in diesem Sammelband in einzelnen Kapiteln erzählt. Alle Geschichten können unabhängig voneinander gelesen werden und bauen auch nicht aufeinander auf. Es gibt allerdings mehrere wiederkehrende Elemente, die für Charaktere und die Welt bedeutsam sind.
Divinity: Original Sin 2 – Godwoken spielt in Rivellon, einer Fantasywelt, in der Menschen, Orks, Elfen, Zwerge und Untote leben. So gut wie jede Spezies ist in der Lage, Magie zu wirken, doch nur wenigen ist es möglich, die Magie der Schöpfung zu nutzen, die sogenannte Source-Magic. Sobald jemand Zugriff auf diese Kräfte hat, gilt diese Person als Sourcerer (dt. „Quellenmagier“) und verfügt über so außergewöhnliche Kräften, dass ihm oder ihr oft Misstrauen oder Hass entgegengebracht werden. Alle Hauptfiguren sind Sourcerer, und eines der Themen ist die Frage, wie sie mit dieser Macht umgehen und was sie mit ihnen anstellt.
Godwokens Geschichten sind solide geschrieben, geben einen guten Einblick in die Vergangenheit der Hauptfiguren und zeigen, welche Konflikte in ihrem Teil der Welt brodeln. Besonders gut haben mir die Geschichten um die Sängerin Lohse und der adeligen Echse Roter Prinz gefallen.
Die Geschichte des Roten Prinzen liest sich wie ein klassisches Märchen: Während eines Naturereignisses wird eine Echse mit besonderen Schuppenkleid geboren, ein Mann, der zu Großem auserwählt ist. Er erweist sich als talentierter Magier, Kämpfer und Stratege. Die ganze Welt liegt ihm zu Füßen, auch wenn er seinen abgeschotteten Teil des Palastes nie verlassen darf.
Der Rote Prinz ist sehr von sich eingenommen, kann dies aber auch mit angemessenem Talent und Untertanen, die ihn anbeten, unterstreichen. Er erscheint als realistische Darstellung von jemandem, der in einer Fantasywelt als „Auserwählter“ großgezogen wird, ein intelligenter und privilegierter Snob, der von allen Gesetzen befreit zu sein glaubt. Trotzdem ist er immer noch sympathisch, weil die Geschichte deutlich macht, wie naiv und überfordert er außerhalb seiner Heimat noch ist. Seine Unerfahrenheit bringt ihn zu Fall, und von da an muss er sein Schicksal selbst bestimmen.
Lohses Episode dagegen ist viel persönlicher. Die junge Frau wird seit ihrer Geburt von den Geistern der Toten heimgesucht, die auch von ihrem Körper Besitz ergreifen. Durch ihre Musik ist sie in der Lage, die ungebetenen Gäste ein wenig zu kontrollieren, aber in letzter Zeit wird dies immer schwieriger, und schon bald bedroht sie das Leben ihrer Freunde und Liebsten. Lohses Geschichte dreht sich um das Gefühl ihrer Machtlosigkeit – trotz ihres großen Potenzials.
Lohse findet Hilfe bei einem mysteriösen Puppenspieler, der ihr einen Weg zeigt, ihre Fähigkeiten endlich zu kontrollieren. Aber natürlich ist dies nicht einfach, so dass sie am Ende wieder am Anfang steht. Die Sprache der Figuren erinnert an Gespräche über Depressionen, wenn Lohse zum Beispiel mit ihrer Kunst ihre Geister zur Ruhe bringen kann, aber auf längere Sicht verliert. Das liest sich berührend und echt, was auch in fantastischen Welten sehr wichtig ist. Aber auch die Bildsprache in dieser Episode ist schön, wenn zum Beispiel Lohse in einem Panel triumphierend posiert und glaubt, endlich frei sein, aber hinter ihr der Schatten der Puppe ihres Begleiters aufragt. Solche kleinen Details sind über die ganze Geschichte verteilt, die damit zur tiefsten im ganzen Band wird.
Die Zeichnungen von Godwoken sind so solide wie auch die Geschichten. Sie erinnern in ihrer Art und Farbgebung mehr an amerikanische Superheldencomics als an frankobelgische Fantasycomics wie zum Beispiel Söldner. Die Bilder sind insgesamt mehr lebendig und dynamisch als realistisch gezeichnet. Trotzdem besitzt keine der Figuren im Band übertriebene Proportionen oder schneidet allzu übertriebene Grimassen.
Godwoken ist im Merchshop von Larian Studios erhältlich, auch als Hardcover, das mit Lesebändchen daherkommt und sich gut in der Hand halten lässt. Die Hardcoverausgabe ist auf eine Auflage von 5.000 Exemplaren limitiert.
Gute Vorgeschichten zu einem Spiel über Macht und Machtlosigkeit
Larian Studios, 2020
Text: Erik Hendrix & Georgia Ball
Zeichnungen: Giannis „Rubus“ Rubulias, Christos Martinis
338 Seiten, Farbe, Softcover oder Hardcover
Preis: 29,99 Euro (Softcover), 59,99 Euro (Hardcover)