„Jeder Mulitreiber hat an‘ Kugelschreiber aber unser einer, der hat nix, aber unser einer, der hat nix, aber unser einer, der hat nix“, so geht ein beliebtes bayerisches Spaßlied, das vor allem an Fasching gern gespielt wird. Das Stück geht mir regelmäßig in den Kopf, wenn ich mitbekomme, wie deutsche Comics und deren Förderpraxis gesehen werden. Neben Humor scheinen nur Eventcomics und Literaturadaptionen bei den Verlagen eine realistische Chance zu haben, denn man setzt auf vertraute Stoffe. Aber hat’s Amerika wirklich besser mit seinen endlosen Variationen von Zombies, Superhelden und Star Wars? Es scheint eben ganz so, dass jede Kultur ihre eigenen Irrwege fabriziert und pflegt. Und auch wenn man behauptet, dass mit jeder Adaption etwas originär Neues stirbt, so sollte man doch auch anerkennen, dass eine gelungene Adaption Freude bereiten und als eigenständiges Kunstwerk bestehen kann.
Etwas, was man dem Knesebeck Verlag nicht vorwerfen kann, ist, dass er auf Event-Pferde oder Erfolgsstoffe setzt. Stattdessen pflegt man dort seine etablierte Klassiker-Serie und baut diese Stück für Stück aus. Neuester Wurf ist eine Adaption von Annette von Droste-Hülshoffs Die Judenbuche, ein weiteres kanonisches Stück deutscher Literatur; vor allem Schulbibliotheken und Gymnasiasten dürften sich von dieser Graphic Novel angesprochen fühlen – die im Übrigen gelungen ist.
Die Bilder der Künstlerin Claudia Ahlering sind in einem etwas krakeligen, aber sehr dichten naturalistischen Stil gehalten, der an Radierungen eben dieser Epoche erinnert und gerade damit die Atmosphäre der Erzählung gut einfängt. Die Figuren wirken dabei ebenso knorrig wie die Natur, in der sie leben, und die manchmal nicht ganz korrekte Anatomie gibt der Darstellung eine eigentümlich verwunschene Atmosphäre. Vor allem aber wird durch die Adaption deutlich, wie zeitlos Annette von Droste-Hülshoffs Erzählung ist. Denn gerade die Verweigerung einer klaren Erzählhaltung und die Forderung an den Leser, selbst die nicht auserzählten Leerstellen zu füllen, sind ja nach wie vor sehr angesagt. Julian Voloj hat es glücklicherweise verstanden, den Text stimmig auf ein Comicskript herunterzubrechen, ohne ihn offensiv in eine von ihm präferierte Richtung zu interpretieren. Somit ist die Adaption rein illustrierend.
Es gibt in Die Judenbuche keine Bezugspersonen oder gar Sympathieträger, stattdessen wird emotionslos das komplexe soziale Gefüge eines ostwestfälischen Dorfes des späten 18. Jahrhunderts vor uns ausgebreitet. Obwohl man diesen Ort, von dessen Namen man nur den Anfangsbuchstaben erfährt, bald glaubt zu kennen, bleibt in den Figuren aber doch immer ein Rest Geheimnis. Die Erzählung führt uns nahe – teils sehr nahe – an sie heran: Wir können ihnen beim Gebet in den eigenen vier Wänden zusehen und werden Zeuge all ihrer dumpfen Vorurteile, ihres Volksglaubens und Aberglaubens, aber in die Köpfe hineinsehen lässt uns die Droste nicht.
So bleibt auch bei den dramatischen Wendepunkten der Erzählung – den Morden – offen, wer der Täter ist. Es gibt Verdächtigungen und Urteile, und man wird als Leser nahe an die Lösung herangeführt, aber verlässliche Gewissheit gibt es nie. Damit wirkt die Erzählung ausgesprochen modern, denn gerade solche Vagheiten sind es ja, die die besten Erzählungen von David Lynch oder Grant Morrison so innovativ wirken lassen. Man sollte eben nie verkennen, dass auch der Leser vor zweihundert Jahren die intellektuelle Herausforderung suchte und geliefert bekam. Vielleicht mehr als heute.
Die Comicadaption der Judenbuche legt diesen vermeintlich modernen Aspekt frei, so dass Voloj und Ahlering dem Kern der Erzählung sehr nahekommen. Am Ende erfüllt sich allerdings das Klischee, dass man nach der Lektüre des Comics auch das Original lesen sollte, und so formuliert auch der Vorsitzende des Droste-Forums, Dr. Jochen Grywatsch, in seinem informativen Nachwort zur Knesebeck-Ausgabe: „Sie wird mit ihrer neuen Perspektive helfen, die ‚Judenbuche‘ im Gespräch zu halten – und dem Originaltext selbst voraussichtlich noch manchen interessierten neuen Leser bescheren.“
Eher illustrativ als innovativ, dennoch eine gelungene und stimmungsvolle Adaption.
Knesebeck, 2017
Text: Julian Voloj, nach dem Text von Annette von Droste-Hülshoff
Zeichnungen: Claudia Ahlering
136 Seiten, schwarz-weiß, Hardcover
Preis: 24,95 Euro
ISBN: 978-3868739343
Leseprobe
Der Autor feiert sich im Nachwort in derart unangenehm vielen Wiederholungen selbst für seine historische Akkuratesse, dass ich Lust verspüre, ihm die 1788 unmögliche Christbaumkugel auf Seite 107 um die Ohren zu klatschen.
(vor’m Lesen des Nachworts hat diese Unachtsamkeit mich nicht gestört, der Stoff an sich ist okay umgesetzt, der Zeichenstil ist wie immer Geschmackssache)