Rezensionen
Schreibe einen Kommentar

Das Handbuch der Hoffnung

Es wäre ja mal ganz interessant zu erfahren, wie der Titel Das Handbuch der Hoffnung zustande kam. Angesichts des verschrobenen Inhaltes von Tommi Musturis neuem Werk bleiben diesbezüglich doch so einige Fragen offen. Aber vielleicht lässt man die Entstehung des nebulösen Titels doch besser im Dunkeln, schwingt bei ihm doch eben jene süffisante Ironie und Rätselhaftigkeit mit, die für das Buch charakteristisch ist.

© avant-verlag

© Tommi Musturi/avant-verlag

Da liegt er also, der finnische Mann. Beleibt, mit Schnäuzer und Halbglatze. Vor seiner Hütte am See döst er in einer Hängematte vor sich hin. Im Radio laufen die Nachrichten:

„Heute kamen dreißig Menschen ums Leben, als das AKW …“

Mehr bekommt der Leser von der Neuigkeit nicht mit. Der schlafende Finne gar noch weniger, wie es scheint. Das einzige, was ihn in seinem Habitat zwischen Holzhaus und Wald von der Außenwelt erreicht, sind ein laues Lüftchen und eine Zeitung mit Todesanzeigen, mit der er seinen schwitzenden Kopf bedeckt. Was sich danach in fünf Kapiteln abspielt, ist gar nicht so leicht zu vermitteln. Trotzdem an dieser Stelle ein Versuch der Zusammenfassung: Der Mann arbeitet sich an seinem schnöden Alltag ab, der sich auf überschaubare Tätigkeiten wie Einkaufen, Fischen oder Holzhacken beschränkt. Währenddessen reflektiert er sein Leben, referiert über die Lehren, die er aus seiner Vergangenheit zog, und monologisiert philosophische Thesen vor sich hin. Bevorzugt geht es um die menschliche Natur und um den Tod. Letzteres scheint sowas wie das Grundthema des Comics zu sein. Denn die bereits erwähnte Radiomeldung ist lediglich die erste zarte Ankündigung drohenden Unheils.

© Tommi Musturi/avant-verlag

Der Finne, Dreh- und Angelpunkt sämtlicher Motive in Musturis Geschichte, wirkt mitunter teilnahmslos, apathisch. Immer wieder verfällt er in Melancholie und düstere Prophezeiungen, die sich in teils belustigenden, teils erschreckenden apokalyptische Visionen manifestieren. So flüchtet er sich beispielsweise in eine Welt, in der er sich selbst als Westernheld sieht oder fantasiert über verschiedene Alter Egos bekannter Comicfiguren. Erst in späteren Kapiteln taucht seine Frau prominenter auf, die zuvor stets unsichtbar bleibt. Die Erinnerung an das Zusammenleben sorgt für positivere Impulse, die Story scheint sich auf einen Funken Hoffnung zu konzentrieren. Womöglich hatte Tommi Musturi eben jene Wendung, vom Pessimismus hin zur Hoffnung, im Hinterkopf, als er den Titel des Comics ersann. Wenn man ganz aufmerksam zwischen den Seiten liest (im wahrsten Sinne des Wortes), kann man erahnen, dass es dem Künstler mitunter genau darum ging, den Gegensatz von Leben und Sterben darzustellen. Die einzelnen Kapitel werden unterbrochen von doppelseitigen Naturinszenierungen, mal auf wunderschöne Weise, mal dystopisch. Das allererste Motiv, bevor der Plot losgetreten wird, zeigt einen abgenagten Knochen, an dem noch ein paar Fleischfetzen hängen. Am Ende erstrahlen in ähnlichen Farben und vor gleichem Hintergrund einige Blüten.

© Tommi Musturi/avant-verlag

Mit seinem wortlosen Comic Unterwegs mit Samuel (Reprodukt) hat Tommi Musturi bereits einen recht schrägen, farbenfrohen Comic erschaffen. In Das Handbuch der Hoffnung ist die Kolorierung etwas erdiger gehalten (das Cover mal ausgenommen), die stillen Momente werden auf ähnliche Weise inszeniert, sind aber von den bedeutungsschwangeren Monologen des Protagonisten durchsetzt. Der finnische Künstler erzählt episodenhaft, unvorhersehbar. In einer festen Panelstruktur von acht gleich großen Bildern pro Seite schafft er den Drahtseilakt, den skandinavischen Typus mit lakonischem Humor und einer Portion Absurdität zu versehen. Der Band ist ebenso berührend wie er tiefgründig ist. Wobei man nie so genau weiß, ob der ein oder andere philosophische Kommentar nun zum Denken anregen oder das Komikzentrum der Leserschaft ansprechen soll. So oder so ist das Buch ein äußerst interessantes Experiment, über dessen Intention und leise Ironie es sich lohnt, lange zu debattieren. Grafisch und vom erzählerischen Rhythmus her erinnert Musturi beinahe an Chris Ware, die Figurenzeichnung ähnelt der von Daniel Clowes. Der finnische Künstler ist bis dato in seinem Schaffen eine ganze Ecke kryptischer, aber nicht minder ambitioniert.

Ein Comic, den man eigentlich kaum adäquat beschreiben kann; man muss ihn selbst erleben

Das Handbuch der Hoffnung
avant-verlag, 2015
Text und Zeichnungen: Tommi Musturi
224 Seiten, farbig, Hardcover
Preis: 29,95 Euro
ISBN: 978-3-945034-22-4
Leseprobe

Schreibe einen Kommentar

Mit dem Abschicken dieses Formulars erklärst du dich mit unserer Datenschutzerklärung einverstanden.