Die Hauptfigur aus Tim Gaedkes Business Worm ist ein im Leben angekommener BWLer: Einer dieser smarten, coolen, unauffälligen Anzugträger, die dem verantwortungsvollen Job nachkommen, tagein, tagaus Aktien zu kaufen und zu verkaufen, um das liebe Geld zu vermehren. Nebenbei schlürft dieser lässige Spezialist fürs Monetäre seinen Bürokaffee, sitzt nach der Arbeit entspannt im Park, um eine zu qualmen, abends fährt er noch mit dem Taxi zum Wirt und genehmigt sich einen Drink. Irgendwann, spät abends kommt er dann heim, wo er schon freudig von seinem Sohn erwartet wird. Man verbringt noch etwas – eher etwas zu wenig – quality time miteinander, dann geht der Business Worm mit seligem Lächeln ins Bett. Oder ist das kein Lächeln, sondern nur die Perspektive, in der man seine Wurmringel sieht? Irgendetwas in dem Bild jedenfalls ist schief, und das hat nichts damit zu tun, dass uns die vorliegende Geschichte mit Tierfiguren erzählt wird. Die Irritation liegt tiefer.
Business Worm ist ein kleines Meisterwerk in Sachen Erzählökonomie und Timing. Das merkt man schon früh im ersten Kapitel, in dem Gaedke einen einzelnen Arbeitstag des geschäftstüchtigen Wurms nacherzählt. Im zweiten Kapitel aber schon erhöht der Erzähler das Tempo, um aus größerer Distanz den täglichen Ablauf des Immergleichen noch einmal neu zu zeigen, Tag für Tag, und obwohl die Bilder des ersten und des zweiten Kapitels sich ähneln, sind sie schon allein durch ihre Anordnung und ihren Ablauf in der Lage, das Zeitgefühl des Lesers auszuhebeln. Je mehr man sich aber in die Geschichte vertieft, desto mehr erkennt man die kleinen Verschiebungen in der Stimmung. In den Folgekapiteln wird das rein lineare Erzählen und das starre Timing dann zunehmend aufgebrochen und eine erzählerisch verblüffende und emotional präzise weitere Erzählebene kommt ans Licht.
Wie aus dem Nichts kommt dieser fast völlig dialogbefreite Comic. Business Worm ist eines dieser kleinen, attraktiven, lesefreundlichen Bücher, das bei mir nie auf dem stetig anwachsendem Pile of Shame ungelesener Bücher landen würde, weil es einem einfach zu verführerisch leicht gemacht wird, schnell mal damit anzufangen. Tim Gaedkes Ansatz ist frisch und unverbraucht. Die stark reduzierte Grafik entspricht dem Stil vieler Indie-Comics dieser Tage, aber das erzählerische Konzept ist streng durchkomponiert und auf die finale Pointe hin ausgerichtet, wodurch jedem Einzelbild, egal wie redundant es oberflächlich besehen auch zu sein scheint, eine zusätzliche Bedeutung zukommt. Dazu kommt noch das an Chris Ware erinnernde geometrische Umschlagbild, welches die Erzählung noch einmal zurückspiegelt und variiert. Eine runde Sache, das Ganze, und für mich eine der Entdeckungen des Jahres.
Ein Buch, das man nicht mehr aus der Hand geben will
Jaja Verlag, 2019
Text und Zeichnungen: Tim Gaedke
120 Seiten, schwarz-weiß, Softcover
Preis: 12,00 Euro
ISBN: 978-3946642725
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