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Bobby Fischer – Eine Schachlegende zwischen Genie und Wahnsinn

Während Magnus Carlsen und Hans Niemann sich einen zähen Wettkampf um den exzentrischsten Weltklasse-Schachspieler liefern, werfen Julian Voloj und Wagner Willian einen Blick zurück auf den wohl besten und zugleich fragwürdigsten Schachspieler aller Zeiten: Bobby Fischer.

Alle Abbildungen © Knesebeck Verlag

Wer Bobby Fischer nicht kennt, muss nun erst einmal nachsitzen: Mitte des vergangenen Jahrhunderts tobte der Kalte Krieg in den Filmproduktionen, im Weltall, in den den Sportarenen wie auch an den Schachbrettern. Die Russen verdankten einer aufwändigen staatlichen Förderung einen ungemein großen Pool höchst erfolgreicher Schachspieler, wohingegen die Amerikaner in dem Spiel der Könige alles andere als konkurrenzfähig waren. Bei internationalen Wettbewerben waren die Russen ungeschlagen, und erst ein Junge aus Brooklyn sollte das ändern.

Die Geschichte des Schachsports ist gespickt von Wunderkindern, denen in allzu jungen Jahren Partien gelingen, von denen viele Schachexperten nur träumen dürfen. Robert „Bobby“ Fischer ist so eine Schachlegende, allerdings sticht er unter den vielen Wunderkindern in ganz besonderer Weise hervor. Nicht nur wegen seiner spielerischen Qualitäten (sein ELO-Wert, der die Spielstärke im Schach angibt, ist bis heute der höchste unter allen Spielern), sondern auch wegen seiner Exzentrik.

Schon in jungen Jahren interessiert Booby Fischer sich für das Schachspiel – und blendet daneben alles andere aus.

Als Dreizehnjähriger trat er 1956 gegen den versierten amerikanischen Schachspieler Donald Byrne an und siegte überraschend in einem Match, das als „Partie des Jahrhunderts“ gefeiert wurde, indem er seinen Gegner mit einem für alle überraschenden Damenopfer überlistete. 1958 trat der inzwischen Fünfzehnjährige in der TV-Quiz-Show „I’ve got a Secret“ auf (hier auf Youtube zu sehen), nachdem er im Januar desselben Jahres US-Champion im Schach wurde und damit der damals jüngste Titelträger. Er gewann dieses Turnier in den folgenden Jahren acht Mal in Folge. 1972 erfüllt sich sein Lebenstraum, als er gegen den amtierenden Schachweltmeister Boris Spasski antreten durfte.

Die Weltmeisterschaftspartien in Reykjavik sind durch die Fernsehaufnahmen gut dokumentiert. Die Szenen wie auf einem Schachbrett zu inszenieren, ist nicht abwegig.

Schon zu diesem Zeitpunkt – Bobby Fischer war 29 Jahre alt – zeigten sich auffällige Persönlichkeitsmerkmale bei dem amerikanischen Schachstar, der in seiner Heimat nicht nur gefeiert wurde, sondern auch als Projektionsfläche für nationale Geltungsbestrebungen im Kalten Krieg herhalten musste. Ein Sieg gegen Spasski galt eben nicht nur als ein unpolitisches Schachergebnis. Im Kandidatenturnier, in dem der Herausforderer des Weltmeisters ermittelt wird, besiegte Fischer seine Gegner so deutlich, wie das weder zuvor noch seitdem jemals einem professionellen Spieler auf diesem Niveau gelungen ist. Es kündigte sich ein besonderes Spiel an, das in Rykjavik auf 24 Partien zwischen Juli und September 1972 ausgelegt war: das „Spiel des Jahrhunderts“ – ein TV-Ereignis (fast) wie der Boxkampf gegen Muhammad Ali und George Foreman 1974.

Das Spiel zwischen Fischer und Spasski ist ein TV-und Zeitungsereignis.

Bobby Fischer trat nicht an. Nachdem er seine Teilnahme im Vorfeld schon in Frage gestellt hatte, weil das Preisgeld nicht seinen Vorstellungen entsprach, zeigen die historischen Fernsehaufnahmen Boris Spasski ratlos und einsam am Schachbrett, während die Uhr herunterläuft, bis sein Kontrahent nach sechs Minuten endlich auftaucht. Fischer verliert die Partie, und tritt zur zweiten Partie wiederum nicht an. Überhaupt nicht. Er habe damit gegen die allzu lauten Fernsehkameras protestieren wollen, sagte er, und nahm mit dieser Entscheidung hin, mit einem 0:2-Rückstand in das Turnier zu starten – ein auf diesem Niveau, wo Remis ein sehr häufiges Ergebnis sind, katastrophaler Start. Dass er am Ende aber triumphieren und seinen Gegner zur Aufgabe zwingen sollte, ist seiner beeindruckenden Spielstärke zuzuschreiben, die nur von seiner Exzentrik noch übertroffen wurde.

Spasskis Applaus nach der legendären 6. Partie (oben rechts), die Fischer in einer auch für Fachleute sehr beeindruckenden Art und Weise gewann, ist ein besonderer Moment, der hier immerhin einen kleinen Raum bekommt.

Nach seinem Erringen des Weltmeistertitels ging es rasant bergab. 1975 zog Fischer sich nach erfolglosen Verhandlungen über einen Weltmeisterschaftskampf gegen den Herausforderer Anatoli Karpov vollständig aus der Öffentlichkeit zurück, so dass er tatsächlich als verschollen galt. Mehrere TV-Dokumentationen wie „Bobby Fischer against the World“ (2011) oder die ZDF/-Arte-Produktion „Zug um Zug in den Wahnsinn“ (2011) haben sein Leben, und auch die Jahre abseits der Medien, rekonstruiert. Es zeigt sich das unsympathische Bild eines psychisch sehr auffälligen Menschen, der sich menschenfeindlich äußert und Verschwörungserzählungen Glauben schenkt. Nachdem er von den amerikanischen Behörden seit 1992 verfolgt wurde, zieht er sich nach Island zurück und verstirbt dort 2008.

Der Comic von Julian Voloj (Szenario) und Wagner Wilian (Zeichnungen) widmet sich dem Leben Bobby Fischers von seinen ersten Erfahrungen mit dem Spiel der Könige in seiner frühen Kindheit bis zu seinem Tod.

Bobby Fischer Erfolgsjahre sind inzwischen in diversen Biographien und TV-Dokumentationen anschaulich dargestellt. Neben den oben genannten ist etwa die Biographie von Bobby Fischers ehemaligem Vertrauten Frank Brady zu nennen, der 1965 bereits ein Buch über das Schachwunder Bobby Fischer schrieb und 2012 den Versuch unternahm, auch die dunklen Seiten zu porträtieren (Endgame, 2012). Die Comic-Biographie von Voloj und Wilian konzentriert sich auf die frühen Jahre, also seit den 1950ern bis zu dem Weltmeisterschaftsspiel von 1972, und gibt dieser Periode etwa 120 Seiten, wohingegen die folgenden 36 Jahre bis zu Fischers Tod im Jahr 2008 nur noch 40 Seiten zur Verfügung haben.

Paranoia ist die Grundstimmung des Kalten Krieges – auch Spasski wird nicht von Zweifeln verschont, ob die Amerikaner ihn manipuliert haben, auch Bobby Fischer verstrickt sich mehr und mehr in Verschwörungsnarrativen.

Der Showkampf gegen Spasski, als Revanche des Weltmeisterschaftskampfes 1972 inszeniert, zum 20-jährigen Jubiläum 1992 ist das einzige Ereignis, das aus diesen Jahren noch einmal besonders herausgegriffen wird. Es war ein Medienspektakel, zumal Fischer erstmals wieder auf der Bildfläche auftauchte, zugleich aber eine große Enttäuschung, weil die beiden Spieler abgesehen von kernigen Pressekonferenzen wenig bieten konnten. Der damalige Schachweltmeister Garry Kasparov urteilte harsch über das Spiel: „Er zerstört seine eigene Legende, die größte, die das Schach je gehabt hat.“ Fischer gewann mit 10 zu 5 gegen Spasski (bei 15 Remis) und verdiente ein stattliches Preisgeld in Höhe von 3,35 Millionen US Dollar (Voloy und Wilian schreiben von 3,5 Millionen US Dollar).

Das Leben von Bobby Fischer ist so abenteuerlich und voller bizzarrer Ereignisse, dass es sich für Adaptionen bestens eignet. 2014 erschien der sehenswerte Spielfilm Pawn Sacrifice (dt. Bauernopfer) mit Tobey Maguire in der Rolle Fischers. Im Comic ist Fischers Leben nun zum ersten Mal aufgegriffen worden, eigentlich überraschend, zumal Schach ein oft als Metapher aufgegriffenes Motiv ist – hier findet sich eine beeindruckende Liste von Comics mit Schachmotiven auf dem Cover.

Schachspieler scheinen sich eigentlich geradzu aufzudrängen, zumal deren Exzentrik geradezu ein Allgemeinplatz ist. Das zeigt sich nicht nur an der aktuellen Debatte zwischen Magnus Carlsen und Hans Niemann, dem vorgeworfen worden ist, er habe in zahlreichen Partien betrogen – womöglich unter Einsatz von Analperlen. ‚Genie und Wahnsinn‘ werden sehr vielen Schachpersönlichkeiten zugeschrieben. Stefan Zweig nutzte dies für seine Schachnovelle (1942), die 2016 von Thomas Humeau für den Comic adaptiert wurde (Rezension auf Comicgate hier) – mit konzeptionellen Schwächen, aber mit interessanten Darstellungsideen.

Thomas Humeau hat eine ganze Reihe interessanter Kompositionen in seiner Adaption der Schachnovelle von Stefan Zweig geschaffen.

Die vorliegende Comic-Adpation ist wesentlich nüchterner als Humeaus oftmals symbolisch zu deutenden Zeichnungen. Oft übertragt Wilian die bekannten TV-Aufnahmen in sein reduziertes und realistisches Schwarzweiß mit Graustufen. Nur sehr selten gelingt es ihm, positiv zu überraschen, etwa als Bobby Fischer auf seinem Karrierehöhepunkt als König auf dem Schachfeld dargestellt wird, der von allen Figuren gejagt wird – eine schlüssige Darstellung seiner Paranoia, aber leider geschieht das viel zu selten.

Hier ist der noch junge Bobby Fischer bereits so sehr in seinem Spiel gefangen, dass er sich als Figur auf dem Schachbrett erlebt.

Bobby Fischer bleibt ein Rätsel. Weder die Biographie von Frank Brady noch die TV-Dokumentationen können diesen eigenwilligen Lebensweg „entschlüsseln“. Der vorliegende Comic scheint auch kaum eine Interpretation zu versuchen, so dass er eine Enttäuschung für Schachfreunde einerseits sein muss, weil diese Bobby Fischers Biographie natürlich kennen, und für Comicfreunde andererseits auch, weil die Zeichnungen wenig Anreiz bieten, sich mit dem Thema zu befassen. Wer hingegen Gefallen an Lebensbeschreibungen besonderer Persönlichkeiten findet, wird auch an diesem Comic seine Freude haben können. 

Comic über einen gefallenen König

6von10Bobby Fischer – Eine Schachlegende zwischen Genie und Wahnsinn
Knesebeck, 2021
Text und Zeichnungen: Julian Voloj & Wagner Willian
Übersetzung: Julian Voloj
192 Seiten, schwarz-weiß, Hardcover
Preis: 22,00 Euro
ISBN: 978-3-95728-551-5
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