Während des Comic-Salons Erlangen hatte ich die Gelegenheit, Tobi Dahmen zu interviewen, dessen vielbeachtetes Comic-Debut Fahrradmod eines der Bücher war, die für den Max-und-Moritz-Preis nominiert waren. In dieser so wehmütigen wie leidenschaftlichen Graphic Novel geht es um den jungen Tobi, der auch zu einer Szene von coolen Typen gehören möchte und dafür einen steinigen Weg der Selbstfindung einschlägt. Tobis Welt ist fortan die Modszene, ein Sammelbecken für alle kompromisslosen Freunde von Soulmusik und Ska. Aber mit dem sorglosen Feiern ist es bald vorbei, als einige der Working Class-Underdogs der Szene es irgendwann schick finden, sich zu radikalisieren und die unpolitische, skabegeisterte Skinhead-Bewegung es mit ihrem hässlichen Zwilling, dem Nazi-Skin zu tun bekommt. Und auch die Rockabillys fangen auf einmal an, Revierkämpfe vom Zaun zu brechen. Bald muss Tobi merken, dass es ein schwieriger Spagat ist, cool zu feiern und gleichzeitig Haltung zu bewahren.
Als die Moderatorin Hella von Sinnen während der Max-und-Moritz-Gala den Fahrradmod als nominiertes Buch vorstellte, konnte sie es sich nicht verkneifen, Tobi Dahmen zu einer kleinen Showeinlage aufzufordern, woraufhin dieser, den Preis schon vor Augen, zu ein paar Takten des The Who-Stücks „My Generation“ der johlenden Menge vortanzte und ein paar seine besten Moves zeigte. Wie man inzwischen weiß, ist aus dem antizipierten Preis ja nichts geworden. Die schönste Darbietung des Abends war diese kleine Einlage dennoch. 15 Stunden später fand das folgende Interview im Erlanger Comicshop „Ultra Comix“ statt, wo parallel zum Salon eine Fahrradmod-Ausstellung zu sehen war.
Sofern nicht anders angegeben, stammen alle abgebildeten Comicpanels aus dem Buch Fahrradmod (© Tobi Dahmen, Carlsen Comics).
Comicgate: Hast du den gestrigen Tag gut verdaut?
(lacht) Also. wenn du auf die Preisverleihung ansprichst: Es war sehr lustig. Ich habe großen Spaß am Salon bis jetzt und bekomme super Feedback. Wäre natürlich schön gewesen, auch noch einen Preis abzugreifen. Aber die kleine Showeinlage gestern ist ja jetzt in aller Munde. Da hat man dann selbst auch wieder was davon.
Ich hab’s wirklich auch gerne gesehen. Das ist ja tatsächlich der Original-Kick aus dem Comic. Man muss das wirklich als Show sehen. Außerdem weiß man ja bei Hella von Sinnen, worauf man sich einlässt.
Ja klar. Das war ja auch meine erste Preisverleihung. Ich hatte natürlich eine Menge schon gehört, aber ich war schon etwas überrumpelt. Naja, ich hab wenigstens ein Bier bekommen, im Gegensatz zum restlichen Saal.
Da unten in der Ausstellung hängen ja Bilder aus deiner Vergangenheit. Darauf sind auch Kumpels von dir: Einer mit buschigen Koteletten, ein anderer Typ mit Hosenträgern – Ist das ein Rude-Boy? Oder ein Skinhead?
Eigentlich schon ein Skinhead. Also Rudeboys tragen schon auch mal Hosenträger, aber eigentlich ist das ein Working-Class-Symbol der Skinheads. Die original Skinheads sind ja aus den Mods erwachsen und hatten ursprünglich überhaupt nichts mit Rassismus zu tun. Im Gegenteil. Das war eine sehr multikulturelle Jugendszene. Die haben sich ihre Einflüsse von jamaikanischen Jugendlichen geholt, als Westindien nach England kam. Aber dann ist dieser Name ja gehijackt worden von der rechten Szene. Und da hatten wir in unserer Jugend dann auch viel zu tun mit diesem Missverständnis. Wir wollten eigentlich die original Skinhead-Kultur leben, mit Ska und Soul. Wir sind aber dann eben, weil es halt auch recht präsent in den Medien war, mit den Rechten verwechselt worden und haben entsprechend auch mal eins auf die Nase gekriegt. Aber das waren auf jeden Fall sehr spannende Zeiten. Und diese Fotos, die hab ich in die Ausstellung integriert, weil ich dachte, das ist vielleicht auch ganz hilfreich, um zu zeigen, dass das auch echt gelebt wurde. Dass sich alles auch tatsächlich so abgespielt hat.
Der Typ mit den dicken Koteletten spielt aber, soweit ich mich erinnern kann, keine rühmliche Rolle. Der rutscht ja tatsächlich in die Neonazi-Szene ab. Es gibt da diese Schlüsselszene, als auf einer Party das Stück „White Power“ aufgelegt wird.
Der Skrewdriver-Song.
Und das bleibt dann doch relativ unkommentiert. Okay, die Haltung der Hauptfigur ist eindeutig ablehnend, aber der andere wiegelt ab und spielt es runter, woraufhin das Kumpelverhältnis einen spürbaren Riss bekommt. Aber es wird nicht viel erklärt. Außer eine kleine Überblicksinfo am Rande, die uns aufklärt, wie das mit den Neonazis überhaupt passieren konnte.
Naja, ich hab im Comic aber trotzdem auch gezeigt, was damals so los war in den frühen 90ern. Da waren ja auch gerade diese Sachen in Rostock passiert …. Das war ein sehr großes Thema in den Nachrichten. Aber das ist eben auch nicht das einzige Thema des Buchs und ich wollte es auch nicht zu sehr übertreiben damit. Mir war vor allem wichtig zu zeigen, wie diese Figur des Tim in diesem Moment abdriftet. Der brauchte vor allem Publikum. Der wollte immer im Mittelpunkt stehen und dann war es ihm auch egal, wer das ist – selbst wenn’s dann irgendwelche Nazis sind. Dass das dem so wichtig war, dass er dann in dem Moment auch keinerlei Moral mehr hatte, hat mich damals auch tatsächlich sehr schockiert. Gerade nachdem ja ein gemeinsamer Freund auch durch Nazis ums Leben gekommen war.
Dann haben sich die Geschehnisse des Buchs tatsächlich so ereignet?
Ja. Die ganze Geschichte hat sich im Grunde so abgespielt. Sicherlich, man muss solche autobiografischen Geschichten auch orchestrieren und eine gewisse Dramaturgie reinbringen. Manchmal muss man Geschehnisse auch ein bisschen umstellen, damit es eine sinnvolle Geschichte ergibt. Aber die Ereignisse haben sich alle so abgespielt.
Du erzählst ja vieles in Ellipsen, mal in der Gegenwart, dann aber immer wieder zurück in der Vergangenheit. Meistens greifst du dann irgendeinen Aspekt auf: Mal geht’s um Kleidung, dann um Ska, dann um Soul, dann die Skinhead-Schiene – es sind immer so Episoden, stimmt’s?
Im Grunde schon. Das kann man schon so aufteilen. Und dann gibt es im Hintergrund eben auch noch die gesamte Geschichte eines Reifeprozesses und der Suche nach dem eigenen Platz: Wo gehör ich eigentlich hin? Und diese ganzen Details sind natürlich irgendwie wichtig. Da steckt immer die Frage dahinter „Kann ich damit irgendwo andocken?“, aber es gibt auch überall immer etwas, was einen dann auch wieder abstößt. Und dann geht die Suche halt permanent weiter.
Noch mal zurück zum Anfang. Wir haben da unseren Helden – ich habe jetzt den Namen nicht mehr präsent ….
Der Held heißt Tobi. Das bin ja eigentlich ich.
Also, dieser Tobi, der versucht ja zunächst mal einfach, in die Szene reinzukommen. Der ist ja am Anfang recht schüchtern. Irgendwann traut er sich dann doch, fängt dann auch zu Tanzen an und wird so ein Teil des Ganzen. Man sieht da schon diese Euphorie, das kommt glasklar rüber. Und dann ist er Mod. Aber eigentlich war das damals ja bereits ein Mod-Revival, oder? Oder war das im Deutschen die erste Mod-Bewegung?
Ich glaube, es gab in den 6oer Jahren schon auch ein paar, aber das ist wenig dokumentiert und ich weiß auch nicht, ob die sich auch schon Mods genannt haben, oder einfach nur Halbstarke. Natürlich haben eine Menge Leute damals auch schon The Who und ähnliche Bands gehört. Aber ob das schon eine richtige Bewegung war? Da weiß ich relativ wenig drüber. Aber richtig massiv wurde das ja auch in England in den späten 70er Jahren noch mal. Das kam auch durch Punk, durch Bands wie The Jam und ähnliche. Und das ist dann auch nach Deutschland geschwappt. Es hat aber ein Weilchen gedauert, bis das entsprechende Verbreitung gefunden hat, denn es gab ja noch nicht den gleichen Informationsfluss wie heutzutage. Das hat erst mal in den Großstädten stattgefunden und sich erst später auch in die Kleinstädte verteilt. Und dann kam’s auch nach Wesel, wo wir waren und großgeworden sind.
Das versteh ich jetzt schon wieder nicht. The Jam, oder auch The Clash, das ist doch jetzt schon wieder Punk.
Also The Clash ist sicher Punk. The Jam haben den Original Mod-Sound mit Punk verbunden. Oder vielmehr die Attitüde.
Aber The Clash haben doch auch Reggae und Ska-Elemente verwendet.
Ja, auch. Das war gleichzeitig. Aber es gab auch Bands wie The Specials und so. Punk hat ja tatsächlich sehr viele Subkulturen, die eigentlich schon vergessen waren, wieder zurück ins Leben befördert. Da gab’s noch andere Revivals, die parallel stattgefunden haben. Stray Cats in der Rockabilly-Bewegung, die haben den 50er-Jahre-Sound wieder aufgegriffen, The Jam den Mod-Sound, und dann gab’s die Specials und Madness, die machten Ska – aber die haben alle auch was Neues daraus gemacht. Und parallel gab’s noch den Film Quadrophenia, der hat auch dafür gesorgt, dass die Mod-Begeisterung wieder ein Thema wurde und die Leute sich dann auch wieder so angezogen haben. Das war schon was Neues. Man spricht da auch von der 79er-Mod-Bewegung. Also die Original-Mods hörten wirklich schwarzen Sound und R’n’B. Die neuen Mods, die Neo-Mods, haben das durchaus auch gehört, aber eben nicht nur. Die mochten auch diese gitarrenlastigeren Bands. In Deutschland war Mod ebenfalls relativ punkbeeinflusst. Die großen Bands, die es in den 80ern gab, haben alle diesen Enthusiasmus verkörpert, dieses „Heute Nacht“ – und dieses Feiern. Das war alles gitarrenlastig, hatte durchaus Bezug zu Mod, aber auch zu Punk.
Aber die Untergruppen konnten sich nicht wirklich riechen. Denken wir an die Rockabillys. Die gehen im Comic mit dem Messer auf die Mods los. Man kann da schlecht von einer Bewegung sprechen.
Nee, nee. Das ist auch nicht eine Bewegung. Die haben sich überhaupt nicht gut vertragen, das sieht man ja im Buch. Die haben sich echt die Köppe eingeschlagen. Aber zum Beispiel in Holland, wo ich jetzt wohne, haben die sehr friedlich koexistiert. Aus irgendeinem Grund musste das in Deutschland sein, ich weiß nicht warum. Man konnte sich einfach nicht riechen. Das war aber in den 60er Jahren in England auch schon so. Da haben sich die Mods und Rocker in den Seebädern gekloppt.
Kannst du dir eigentlich Stray Cats anhören, ohne an schlechte Erfahrungen zu denken?
Ja, natürlich. Das ist ja das Schöne. Man wird mit dem Alter ein bisschen offener und begegnet sich inzwischen auch mit viel Respekt. Wenn man das so lange durchzieht, hat man hohen Respekt für alle anderen, die immer noch ihre Subkultur leben. Man guckt ja über den Tellerrand hinaus. Man hat sein Plätzchen gefunden, aber man weiß, dass es auch noch viele andere Plätzchen gibt. Es gibt total viel großartige Musik, und das ist nicht nur die Mod-Musik.
Ich glaube in den 80ern war’s einfach so, dass jeder eine Nische hatte. Das war denke ich nie mehr so extrem wie damals.
Man hat sich darüber definiert.
In meiner Schulzeit gab’s da auch diese Psychobillys, das waren die mit den krassen Haaren.
Also Psychobilly ist ja eigentlich die Punkversion von Rockabilly.
In deiner Ausstellung hast du ja noch mehr 80er-Jahre-Typen abgebildet: Da gibt’s zum Beispiel den EBM-Typen, den Hip-Hopper und den Popper. Mir fallen noch die Metaller und die Hippies ein. Damals hatte wirklich jeder seine Nische. Als ich so 12, 13 war, hab ich auch meine Musik gehört und mir auch meine eigene Nische gesucht. Ich dachte immer, wenn man jung ist, weiß man vieles einfach noch nicht und hielt diese extreme Form von Abgrenzung für normal. Aber langsam glaube ich, daraus lässt sich keine allgemeine, ewig gültige Aussage über Jugend ableiten. So war die Welt nur in den 80ern.
Ich hab mich auch oft gefragt, woran das damals lag. Es gab damals wohl einfach so eine allgemeine Haltung: Bloß nicht normal sein. Sich bloß irgendwie durch Äußeres definieren. Das war eben was anderes als heute. Ich hab kürzlich einen Artikel gelesen, da stand, dass Mainstream heute kein Schimpfwort mehr wäre. Die jungen Leute seien heute viel mehr auf Konsens und Gemeinsamkeiten getrimmt, als es damals war. Da wollte man sich ja gerade abgrenzen. Das war vielleicht auch noch eine Nacherscheinung des Punk.
Richtig. Aber gleichzeitig werden wir erwachsen und selbst zum Mainstream – und genau jetzt soll Mainstream kein Schimpfwort mehr sein? Was ist davon nun meine Wahrnehmung und was ist tatsächlich die äußere Welt?
Stimmt natürlich. Aber als Comiczeichner und als jemand, der sich nach wie vor in dieser Mod-Szene zu Hause fühlt, würde ich mich dennoch nicht als Mainstream bezeichnen. Vielleicht ist mir das nicht mehr so wichtig, dass ich mich jetzt auf der Straße besonders ausdrücke, aber im Kopf fühl ich mich immer noch den Underdogs zugehörig. Die sind mir sympathischer als Leute, die einfach nur das nehmen, was ihnen gerade vorgesetzt wird. Ich finde schon auch wichtig, dass man sich aktiv sucht, was man sehr schätzt und das dann auch lebt. Es gibt eine Seite im Buch, wo es heißt, dass man sich im Monat nur eine Platte leisten konnte. Und die hat man dann auch sehr lange gehört, bis man sich wieder eine neue kaufen konnte. Dadurch geht das auch viel mehr in einen über. Man beschäftigt sich viel mehr damit. Ich hab das Gefühl, dass heutzutage die Auseinandersetzung mit Musik, oder auch mit anderen Medien, gar nicht mehr so groß ist, weil nicht mehr so viel Raum, aber auch nicht mehr so viel Zeit dafür da ist. Die Leute sind so beschäftigt mit allem Möglichen: mit ihren Smartphones, dem Internet. Dass jemand eine Schallplatte auflegt und NUR die Platte hört und nichts anderes dabei macht, das gibt’s ja kaum noch – denke ich.
Es liegt vielleicht auch daran, dass alle Subkulturen mainstreamtauglich geworden sind. Es wird doch inzwischen alles durch den Mainstream gejagt. Jeder Film zu einer Subkultur ist ein großer Film. Schau Pulp Fiction zum Beispiel an: Der hat die Surfmusik wieder groß gemacht. Jeder hat auf einmal wieder Surfmusik hören wollen.
Es wird halt sehr schnell kommerzialisiert.
Genau das meine ich.
Das ist aber auch nichts Neues. Das hat es in den 60er Jahren schon gegeben. Auch bei Mod. Und dann war Mod aber auch schon tot. Da kam Ready Steady Go, das war diese große Fernsehshow, und dann haben sich die Leute eben genau so angezogen. Die Puristen sagten dann, also wenn jetzt alle so rumlaufen, brauch ich das jetzt auch nicht mehr zu machen. Es stimmt, die Medien und der Kommerz sind immer auf der Suche nach dem neuen heißen Scheiß. Aber das ist ja dann auch schnell wieder vorbei. Und ich glaube, die Leute, die wirklich etwas durchziehen, gehen immer noch eine Stufe weiter als dieses oberflächliche Medieninteresse, das da gar nicht mithalten kann. Das ist ja Arbeit, sich richtig mit etwas auseinanderzusetzen, sich die Platten zu besorgen. Klar kann man heute alles auf YouTube hören, aber das ist nicht das gleiche. Ich bin schon ein bisschen kulturpessimistisch, aber es ist wohl auch normal, dass die ältere Generation etwas die Nase rümpft über die jüngere. Mir schreiben ja immer wieder Leser. Die meisten davon sind schon eher in meinem Alter, die solche Erfahrungen auch noch kennen. Aber es gibt auch junge Leser: Die hören sich dann die Platten ihrer Eltern an, was sie total kickt, so dass sie auf einmal auch diesen Weg gehen. Die machen dann vielleicht auch wieder was Neues daraus.
Wie ist eigentlich bei dir das Zeichnen dazugekommen? Du warst die ganze Zeit Mod und warst auf Parties, aber vom Zeichnen ist im Fahrradmod ja keine Spur zu finden.
Doch, wohl. Zwei Seiten sind drin. Ich hab auch früher schon Comics gezeichnet – und T-Shirts und Flyer für Veranstaltungen. Als ich Quadrophenia gesehen hab, dachte ich, ich mach da jetzt ’nen Comic draus – und diese zwei sehr dilettantischen Seiten sind im Buch drin. Seit ich zeichne, beschäftige ich mich auch mit Subkulturen. Ich hab diese Welt auch sehr in meinen Zeichnungen repräsentiert. Ich hab auch Plattencover studiert. Diese ganzen Ska-Platten gingen ja auch oft in die Comicrichtung. Das war schon auch ein wichtiger Teil. Ich hab dem nicht allzu viel Raum im Buch gegeben, aber es kommt schon vor.
Inzwischen zeichnest du ja auch andere Subkulturen. Im Fuck Yeah-Kalender gab’s sogar mal eine Grunge-Musikerin. Zu diesem Motiv hast du geschrieben, du wolltest keine coolen Jungs mehr in Anzügen zeigen, sondern endlich mal eine Frau zeichnen, die Musik macht.
Stimmt. Also der Ansatz bei meiner Ausstellung war: In meinem Buch geht’s ja in erster Linie um britische Subkulturen der Sixties, die dann auch nach Deutschland geschwappt sind, aber ich wollte halt auch ein etwas größeres Spektrum zeigen. Ich fand das ja so klasse in den 80ern, dass das so eine bunte Welt war. Da gab es sehr, sehr viele verschiedene Subkulturen. Das ganze Straßenbild war davon bestimmt. Da fragte man sich oft, wo gehört denn der oder die jetzt dazu? Das hat sich ja entwickelt. Irgendwann kam noch Techno dazu und Acid House. Ich hab das mit integriert, weil viele Leute das bunte Straßenbild von damals gar nicht mehr kennen. Um zu zeigen: Das gab’s alles – und gibt’s im Untergrund irgendwo ja auch immer noch. Aber eben nicht mehr so massiv.
Warst du auf Techno-Parties? Oder hattest du dazu eher keinen Bezug?
Ich hab in Düsseldorf studiert. Da war elektronische Musik natürlich immer vorhanden, man hat automatisch bei Studentenpartys einiges mitbekommen. Ich bin auch nicht so, dass ich mir das überhaupt nicht anhören könnte. Ich hör auch elektronische Musik, aber eher Sachen, die durch Samples oder andere Harmonien eine Verbindung legen zum Stil der 60er. Ich kann mir das durchaus anhören. Vielleicht nicht so lang, aber ich kenne das alles. Und auf den Rollertreffen gab’s auch Techno-Sets. Dem konnte man gar nicht entkommen.
Gehen wir doch mal zu deinen Vorbildern, was Comics angeht. Du redest von Plattencovern, von denen du dir viel abgeguckt hast. Gibt es irgendwelche klassischen Comics, die du auch liest?
Ich bin klassisch mit den Frankobelgiern groß geworden, die haben mich schon sehr geprägt. Meine ganz frühen Sachen sind zum Teil auch von Clever und Smart beeinflusst. Was mich dann echt richtig gekickt hat, waren die Lucien-Comics von Margerin, in denen es auch um Subkultur geht. Die fand ich damals sehr lustig. Mittlerweile ist der Humor ein bisschen in die Jahre gekommen, aber die Zeichnungen fand ich total klasse. Und seitdem ich mein erstes Geld verdient habe, hab ich eigentlich mehr Geld für Comics als für Platten ausgegeben. Also wirklich alles Mögliche, zum Beispiel U-Comix. Zur Zeit lese ich auch viele Graphic Novels. Aber ich kann auch sehr gut ein Batman-Buch lesen. Ich bin da nicht so festgefahren. Den größten Raum im Schrank nehmen aber schon die Graphic Novels ein, allein schon auch wegen der Dicke. Ich finde es halt schön, große, geschlossene Geschichten zu lesen. Aber ich lese auch The Walking Dead.
Was machst du eigentlich, wenn du keine Comics zeichnest? Ich weiß gar nicht so viel über deine Biografie.
So spannend ist die auch nicht. Ich hab in Düsseldorf studiert. Düsseldorf war sehr gewerblich damals und so habe ich halt damals auch viele Werbeillustrationen gemacht. Mache ich immer noch. Damit verdiene ich mein Geld, aber das ist mittlerweile ziemlich breit gefächert bei mir. Ich mache Layout-Illustrationen für Werbeagenturen, Comicstrips für Mitarbeiterzeitschriften, ich zeichne für die Mitgliederzeitung vom WWF, die haben so ein Jugendprogramm, für das ich das Maskottchen entworfen habe. Ich mache Charakter-Design, Spiele-Design. Sehr viel für Kinder, das ist ein großer Anteil meiner Aufträge. Das finde ich auch ganz schön, weil es sehr abwechslungsreich ist. Es läuft auch ganz gut, aber deswegen habe ich leider relativ wenig Zeit für die Comics. Deswegen hat das mit dem Fahrradmod auch acht Jahre gedauert. Aber man macht die Comics halt aus eigenem Antrieb. Während man die meiste Zeit Gebrauchsgrafik für andere anfertigt, kann ich in den Comics meine eigene Ideen und meine eigenen Geschichten verwirklichen.
Spiele-Design? Redest du da von Brettspielen?
Ich habe ein paar Spiele für Haba gemacht. Das sind Lernspiele für Kleinkinder. Ein paar simple Computerspiele habe ich auch gemacht, meistens Spiele mit Werbeinhalten. Ich programmiere das nicht, ich liefere nur die Zeichnungen. Dass ich jetzt auch diese kleinen Lernspiele mache., ist relativ neu. Vom Ansatz her ist das so ähnlich wie Schulbuch-Illustration. Nicht allzu aufwendig, aber es macht enorm viel Spaß, weil man sich mit der eigenen Tochter auch mal Ideen holen und ein bisschen rumspinnen kann. Ein Bingo-Spiel ist auch von mir.
Arbeitest du zur Zeit an einem neuen Comic?
Ja, es gibt eine Auftragsarbeit, die heißt Rozsika. Da sind wir ein bisschen „on hold“ und müssen mal gucken, ob das noch weitergeht. Ansonsten gibt’s Pläne, in meiner Familiengeschichte ein bisschen zu wühlen. Mein Vater ist letztes Jahr gestorben. In seinem Nachlass habe ich sehr viele Briefe und Material gefunden, von dem ich gar nichts wusste. Briefe von meinem Großvater aus dem Ersten Weltkrieg, enorm viel Zeug. Ein ganzes Fotoalbum mit Fotos aus dem Ersten Weltkrieg. Meine Eltern sind beide noch Kriegsgeneration, die haben auch beide noch echt harte Geschichten erlebt. Ein paar davon kenne ich, und ich hatte immer das Gefühl, dass man die auch gut weiterzählen könnte. Ich bin gerade am Zusammensuchen, was es da noch so gibt und überlege, wie ich daraus ein rundes Ding basteln könnte. Das würde ich wirklich gerne machen. Der Arbeitstitel heißt Columbusstraße, nach der Straße, in der meine Eltern sich in Düsseldorf kennengelernt haben. Es gibt auch einen kleinen Blog, in den ich immer wieder was reinstelle. Es wird aber kein Webcomic werden wie Fahrradmod. Da werde ich wohl ein bisschen anders arbeiten.
Noch ’ne letzte Frage, und zwar zu den Mods der 60er Jahre. Man assoziiert das ja immer ein bisschen mit The Who und My Generation. War das wirklich die Mod-Bewegung? Oder waren die Mods eher die Plattensammler der „Northern Soul“-Bewegung, die die rare Soulmusik in Amerika zusammengekauft haben?
Eigentlich waren die Mods eine Generation, die von ihren Eltern nur Krieg kannte. Und die haben gesagt, alles was früher war, war doch irgendwie scheiße, wir brauchen eine neue Sicht auf die Dinge. Dann haben die Leute den Jazz aus Amerika mitgebracht – und das hat sie total angefixt. Die Leute auf den Plattencovern sahen einfach wahnsinnig cool aus. Und dann haben sie gesagt, wir machen jetzt was Neues, ab sofort sind wir die Modernists, was ja „Mod“ eigentlich bedeutet. Sie haben sich dann einfach total in dieser Musik und diesem Lebensstil, der damit einhergeht, wiedergefunden – und den dann aber auch selbst gestaltet. Das war aber ursprünglich schwarze Musik, also Jazz, Rhythm and Blues und etwas später dann auch Soul. The Who haben das auch aufgenommen und wie viele englische Bands dieser Zeit einen neuen Sound daraus kreiert, den englischen Rhythm and Blues. Sie haben auch viele schwarze Stücke gecovert und mit mehr Gitarrensound versehen. Da ist dann ein eigener Sound daraus entstanden. Und als Mod dann viel größer wurde, haben sie gesagt: Okay, das funktioniert, wir bezeichnen uns jetzt als Mod-Band, damit haben wir automatisch eine Fan-Base. Und das hat auch funktioniert, aber es war schon ein kleiner kommerzieller Gedanke dahinter. Richtige Mod-Puristen würden sagen, nee, der eigentliche Mod-Sound war schwarz: Rhythm and Blues, Jazz und Ska. Aber das hat sich eben auch weiterentwickelt und The Who oder die Small Faces gehören da mittlerweile dazu. Aber in seinem Ursprung und von seinem Sound her kommt das eigentlich aus Amerika.
Danke sehr. Ich denke, das ist ein passender Abschluss.
Danke auch. Hat Spaß gemacht.
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