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Mein Erlangen-Tagebuch – Teil 2: Unterwegs auf der Messe

Christians Erlebnisse während seiner drei Tage auf dem Comicsalon haben ihn veranlasst, seine Eindrücke in einem ausführlichen Tagebuch zusammenzufassen. Hier ist Tag 3, der ganz im Zeichen der Verlagsmesse steht:

01. Juni 2024, Tag 3: Tag 3 war mein Konsum-Tag. Zum ersten Mal seit Beginn begebe ich mich überhaupt ins Zelt A zur Verlagsmesse (die auf insgesamt drei Zelte und den Redoutensaal verteilt ist). Am Stand von Finix Comics lasse ich mich gerne darüber informieren, dass die Gesamtausgabe von Jackie Kottwitz bald wieder komplett lieferbar sein soll, dazu noch in einer exklusiv von Finix angefertigten Neukolorierung, die auch beim französischen Lizenzgeber Anerkennung findet. Mein Gesprächspartner verliert kurz die Fassung, als ich ihm erzähle, dass ich die alten Farben bevorzuge, aber ich sehe ein, dass es besser ist, neue Farben zu haben als unvollständige Farbvorlagen. Ich bin begeistert darüber, dass man sich bei Finix wieder der Spin-Off-Serien von Die Sieben Leben des Falken annimmt und kaufe mir die ersten beiden Bände von Brennendes Herz.

Nicht das Cover, sondern eine persönliche Widmung auf Seite 3.

Ich will mich eigentlich nicht mehr für Comics mit Signaturen anstellen, aber Paolo Bacilieri am Stand von avant-Comics sieht sympathisch aus und hat gerade Zeit. Sein Fun, ein rätselhafter Krimi über Kreuzworträtsel und einen italienischen Disneyzeichner,  sieht verführerisch genug aus, dass ich mich auf einen Spontankauf einlasse. Als ich ihm beim Plaudern erzähle, dass ich italienische Disney-Künstler am liebsten mag, hakt er nach: Welchen? Das kommt so plötzlich, dass mir nur Cavazzano einfällt, was Bacilieri trotzdem in Begeisterung versetzt. Cavazzano war ein Künstler, den er schon als Vierjähriger von den anderen unterscheiden hat können. Außerdem erfahre ich, dass Bacilieri ca. einmal im Jahr einen Dylan Dog für Bonelli zeichnet.

Nebenan erzählt einer der Verantwortlichen von avant einer Interessierten, warum Das lange ungelernte Leben des Roland Gethers der Comic ist, der das Erzählprinzip des Mediums am besten auf den Punkt bringt. Obwohl die „Zeichnungen“ nur aus – ja – Punkten bestehen, die je eine Person verkörpern, sind sie doch notwendig, um den Text zu transportieren, der Text dagegen ist auf die Punkte angewiesen. Eine interessante Wechselwirkung. Eigentlich genial.

Bei den Jungs von Moga Mobo kaufe ich das neue T-Shirt mit dem Aufdruck „Die besten Dinge im Leben sind gratis“. Während die letzte Moga-Mobo-Ausgabe Nr. 117 zum Krieg in der Ukraine wie eh und jeh kostenlos verteilt wird, kostet ihr neuer Comic Was vom Leben übrig bleibt – Ein deutsches Leben ausnahmsweise Geld. Titus Ackermann hat sich aufgerafft, eine vierteilige Erzählung über seinen Großvater zu verfassen, der ein Nazi war. Langsam kommen wir wohl alle in das Alter, wo wir uns intensiv mit dem schweren Erbe unserer Vorfahren auseinandersetzen, Tobi Dahmen macht mit Columbusstraße, das für den Max-und-Moritz-Preis nominiert war, was ganz ähnliches. Als ich mich nach dem Salon zu Hause einigermaßen sortiert hatte, war Was vom Leben übrig bleibt der erste Comic, den ich las. Eine wunderbare, nachdenkliche Geschichte, die es sich inhaltlich nicht leicht macht, aber trotzdem von leichter Hand erzählt wirkt. Ein toller Comic, von dem mit Band 2 leider die erste Hälfte schon vorbei ist. Das darf gerne noch ein bisschen so weitergehen.

Bei U-Comix gibt es inzwischen viel Material, das Steff Murschetz mit K.I. generiert hat. Er ist da ein Rebell, denn viele Künstler rümpfen die Nase und verachten K.I.-Comics. Aber Steff experimentiert und lotet die Möglichkeiten aus. Einer muss es ja tun. Seine Ideen immerhin haben Witz und sein Comic Der unsichtbare Freund, in den man via App einen rosa Riesenhasen hineinprojizieren kann – natürlich aufs Endgerät – hat Charme. Die andere aktuelle Arbeit kommt mit 3d-Brille daher, ein Gimmick, das in U-Comix in letzter Zeit schon oft zum Einsatz kam. Der unsichtbare Freund hat den ICOM-Preis für herausragende digitale Comics erhalten. In der Laudatio von Adroth Rian heißt es dazu: „Kleine Generierungsfehler werden stehen gelassen: Hier ist die Kleidung etwas sonderlich, da schaut eine Figur in zwei Richtungen gleichzeitig. Diese charmanten Makel zeigen, dass der Künstler nicht versucht, die Verwendung moderner Tools zu verbergen.“ Na ja: ich kenne diese Denkweise durchaus, weil ich selbst immer wieder gerne ein bisschen elektronische Musik mit dem Tool „Garage Band“ bastele. Manchmal passieren mir kleine Stolperer im Einspielen von Melodien. Die lasse ich dann extra stehen, aber eben um zu zeigen, dass bei mir nicht die Maschine alles superclean macht, sondern dass hier schon ein Mensch gearbeitet hat. Steff Murschetz dagegen lässt das Unsaubere stehen, um zu demonstrieren, dass der Mensch nicht alles superclean macht, sondern dass hier eine Maschine gearbeitet hat. Vielleicht unterscheidet das ja den Fachmann vom Laien.

Katzenjammer-Kids-Ausstellung.

So langsam wächst in mir da Bedürfnis, wenigstens etwas Kultur und Ausstellungen zu erleben, also bemühe ich mich in die Ausstellung zu den Katzenjammer-Kids. Die Originalseiten sind beeindruckend und ich ärgere mich etwas, dass ich nicht den Vortrag von Alexander Braun besucht habe, der darüber sicher viel zu erzählen hatte. Ich mache mir eine Notiz, dass ich mir noch den Katalog zulegen muss, merke aber, dass ich heute nicht wirklich für Ausstellungen zu haben bin. Ich will Gespräche und Begegnungen. Außerdem bin ich langsam ganz schön malade.

Im Redoutensaal sehe ich einen Tresen mit Ausschank und weil ich inzwischen schon sehr lange auf den Beinen bin und der Rucksack langsam richtig schwer wird, belohne mich spontan mit einem Bier. Zufällig ist der Tresen direkt neben einer Bühne, wo gerade Johanna Baumann a.k.a. Schlogger eine Comic-Lesung über die richtige Kommunikation mit Kindern hält. Johanna sieht super-adrett aus und weckt sofort Erinnerungen an zurückliegende Uni-Seminare, aber unterhaltsamer. Ich überlege mir, ob ich sie mal für einen pädagogischen Tag an meiner Schule einladen soll. Ihre Analysen darüber, was bei Kommunikation alles schief laufen kann, sind spot-on, aber manchmal machen mich die Lösungsvorschläge stutzig. Wenn man mit Kindern immer alles richtig macht, wie sollen sie dann je ein Gespür für kognitive Dissonanzen kriegen? Das Leben auf der Straße ist hart.

Danach kam Jeff Chi und machte eine Lesung zu seinem Comic Who’s the Scatman, der vor zwei Jahren bei Zwerchfell erschien und den Max-und-Moritz-Preis für das beste deutschsprachige Comic-Debüt gewann. Das ist wirklich ein sehr charmanter Comic!

Ich gehe dann noch zum Stand von Jazam – irgendwie ist hier alles am selben Ort – und vergucke mich in einen Comic über eine traumatisierende Berufsausbildung. Das holt mich total ab, denn mein eigenes Leben als Azubi (Drucker) war auch recht hart. Inzwischen verkläre ich da vieles. Der Künstler hat seither ein Studium zum Grafiker absolviert und arbeitet jetzt mit Risographie, eine Technik, die schon vor einigen Jahren hier in Erlangen gehypt wurde. Gleich daneben sitzt Maximilian Hillerzeder. Ich mochte damals seinen Maertens sehr und wollte eh schon längst sein Buch Poison Paradise bestellen, also kaufe ich das spontan. Gegen Poison Paradise, so viel sei gesagt, war Maertens totaler Mainstream. Am Anfang steht eine Triggerwarnung wegen „sexualisierter Gewalt, Gewalt in Beziehungen, explizite Darstellungen von sexuellen Handlungen, Transfeindlichkeit, Drogenkonsum, Abtreibung“. Aber typisch: Vor dem Verletzen religiöser Gefühle warnt mal wieder keiner. Ich glaube ja, dieses Triggerwarning-Gedöns ist nur Pose – so was Kleingedrucktes liest ja sowieso keiner. Unter anderem geht es in Poison Paradise darum, dass zwei Typen Gott töten wollen, weil der einen echt miesen Job gemacht hat. Klingt nach Preacher, aber im Gegensatz zu Garth Ennis‘ Machwerk, das nur balla- balla ist, steckt in Poison Paradise eine ernsthafte Auseinandersetzung mit dem, was Tilmann Moser mal als Gottesvergiftung bezeichnet hat. Die durch und durch queere Darstellung muss man mögen, aber man kann das Buch durchaus mit Gewinn lesen. Und Hillerzeders Stil ist echt abgefahren.

Im Redoutensaal stellen die Klein- und Selbstverleger aus. Manche, wie Hannes Radtke, sind dabei durchaus schon im Mainstream angekommen (The Impure bei Cross Cult, gemeinsam mit Ralf Singh), während andere Ausstellende schon zahlreiche Bücher im Self-Publishing veröffentlicht haben, wie beispielsweise die Serie Remembering Gale bei pushcart. Ich bin begeistert, wie gut diese von Marlin Beringer & Miriam Cavalli gestalteten Bücher in der Hand liegen. Von dieser Haptik können sich viele andere Verlage eine Scheibe abschneiden. Um etwas Distanz zur eigenen Schulzeit herstellen zu können haben die Künstler*innen ihren Comic nach Japan verlegt, wo sie sich offensichtlich recht heimisch fühlen. Das Cover von Band 1 von Remembering Gale sieht sehr nach Jiro Taniguchi aus, alles andere wirkt aber sehr eigenständig und äußerst reizend. Miriam Cavalli erzählt mir, dass das gegenwärtige Japan auch deswegen einen so tollen Hintergrund für Bildergeschichten bietet, weil die Stromleitungen überall so schön pittoreske Alltagslandschaften bilden. Leider tendiert man in Japan mehr und mehr dazu, Leitungen ins Unterirdische zu erdrängen. Alles wird hermetischer und unsichtbarer. Eigentlich schade, aber so sind die modernen Zeiten.

Und so verbringe ich Stunde um Stunde auf dem Salon und trage mehr und mehr Gepäck durch den Regen. Als der Salon dann schließt, gehen wir mit einer Gruppe befreundeter Künstler*innen noch etwas essen und danach ins E-Werk, aber an mir nagt, dass ich a) kein Hotelzimmer hatte, in dem ich meine Einkäufe deponieren konnte und b) kein Hotelzimmer hatte, in dem ich mich für die Salon-Party im E-Werk aufhübschen konnte. Mit Lederjacke und Schiebermütze ließ sich da zwar einiges kaschieren, trotzdem fühlte ich mich gegen Abend wie Elmo aus der Tonne und habe mich deshalb dafür entschieden, gegen 23 Uhr die S-Bahn nach Hause zu nehmen. Schon deswegen werde ich mir in zwei Jahren vielleicht wieder ein Zimmer nehmen.

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