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CSE 22: Comic-Übersetzungen im Fokus

Ein besonderes Augenmerk galt auf dem diesjährigen Internationalen Comic-Salon Erlangen der Kunst der Comic-Übersetzung, die im Fokus mehrerer Podiumsdiskussionen und Workshops stand. Alexander Christian hat zwei dieser Veranstaltungen für uns besucht.

„Comic-Übersetzung: Wie geht das?“ (Workshop)

So viel vorweg: Die Übersetzungen fließen nicht einfach durch Osmose oder gar Schwarze Magie aufs Papier, wie es in zwei Auswahlantworten in Tom Gaulds Quiz-Cartoon How Do Novels Get Translated? heißt. Vielmehr ist die Übersetzung von Comics eine bisweilen sehr kniffelige Angelegenheit, die neben Sprachgefühl und kulturellen Kompetenzen auch Fachwissen und historische Recherche erfordert. In ihrem Workshop gab die Übersetzerin Myriam Alfano den rund zwanzig Teilnehmenden im Kollegienhaus einen Einblick in die Übersetzung von Comics und die besonderen Herausforderungen dieses Mediums.

Zum Thema Übersetzung gibt es zum Teil abenteuerliche Vorstellungen. © Cartoon: Tom Gauld

Zunächst einmal ist die Übersetzung von Comics aus Sicht der meisten Verlage enorm wichtig, schließlich beherrschen Übersetzungen ausländischer Comics den deutschen Markt. Die bei weitem wichtigsten Sprachen sind Japanisch, Englisch und Französisch.

Eine zentrale Problemstellung: Text läuft je nach Sprache unterschiedlich lang. Diesen Umstand veranschaulichte Myriam Alfano anhand eines Beipackzettels für Damenbinden-Beutel (eine Anspielung auf die Ausstellung von Liv Strömquist?). Was im Vergleich sofort sichtbar wird: Deutsch läuft gut 10–30 Prozent länger als die Ausgangssprache. Englisch läuft da im Vergleich zu anderen Sprachen schon wesentlich kürzer. Beim Medium Comic bildeten Zeichnung und Text eine Einheit, das Verhältnis von Weißraum und Text gehört mit zur Gestaltung. „Sprechblasen einfach vergrößern? Im Grunde ein No-Go“, so Alfano. Durch ein geschicktes Lettering könne jedoch Platz gespart werden – etwa durch Groß- und Kleinschreibung anstelle von durchgehenden Großbuchstaben.

Das Verhältnis von Weißraum und Text in den Sprechblasen ist ein Gestaltungselement von Comics. Abbildung © Avant-Verlag 2020

Außerdem typisch für Comic-Übersetzungen: Umgangssprache steht im Vordergrund, häufig tauchen Vereinfachungen und Auslassungen auf. Das Deutsche biete etliche sogenannte Modalpartikel wie etwa, halt und ja, mit denen sich Bedeutung und Tonalität fein justieren ließen. Damit gesprochene Sprache möglichst lebendig wirke, sei genau abzuwägen, welche Ausdrücke zu welcher Zeit passten. Jugendsprachliche Ausdrücke können aufgesetzt wirken und schneller als gedacht überholt sein. Alfano freut sich da über ihre Kinder als Sprachberater.

Im praktischen Teil des Workshops ging es schließlich darum, sich selbst an der Übersetzung einiger Soundwords aus dem Comic Sweet Salgari von Paolo Bacilieri zu versuchen. Eine Erkenntnis: Ein Duell mit dem Degen klingt im Italienischen ein wenig anders als im Deutschen. In der Gruppe wurden die kreativen Lautmalereien diskutiert und von Inflektiven wie „seufz“, „grübel“ und „hüpf“ unterschieden (auch bekannt als „Erikative“ nach der Disney-Übersetzerin Erika Fuchs).

Unmittelbar an diesen Workshop mit Myriam Alfano knüpfte ebenfalls am Samstag, 18. Juni, ein Gespräch in der Aula des Schlosses an.

„Sandokan in Deutschland“ (Podiumsdiskussion)

Aufhänger dieser Podiumsrunde ist Sandokan, der Tiger von Malaysia, ein fiktiver Abenteurer aus der Feder von Emilio Salgari, der weithin als italienischer Karl May gilt. Die Parallele: Salgari bereiste die Welt in seiner Fantasie und entführte in seinen Geschichten ein staunendes Publikum in ferne Ländern. Paolo Bacilieri tritt mit seinem Comic Sweet Salgari (Avant Verlag: 2020) an, um Salgari aus dem Schatten Sandokans zu holen.

Salgari ist eine tragische Figur, deren besondere Faszination aus dem Unterschied zwischen den abenteuerlichen Reisen seiner Heldenfiguren durch Urwälder, Dschungel oder Wüsten und seiner eigenen Existenz in schwierigen Verhältnissen im Italien um die Jahrhundertwende zum 21. Jahrhundert erwächst. Als dann auch noch seine Frau aufgrund ihrer Geisteskrankheit in eine Anstalt eingewiesen wird, während er von seinen Verlegern ständig zu einem übermenschlichen Schreibpensum genötigt wird, sieht er sich mehr und mehr in die Ecke gedrängt. Schließlich begeht er mit einem Rasiermesser Selbstmord, angelehnt an die japanische Art des rituellen Selbstmords – Sepukku. Kniend in einem Wald schneidet sich Salgari den Bauch auf, sodass seine Gedärme hervorquellen, und durchtrennt zusätzlich – in Ermangelung eines Assistenten – noch selbst seine Halsschlagader. Diese Szene erstreckt sich über mehrere Seiten, von denen eine allein mit diesen Soundwords gestaltet ist: „zack! ratz tzsscck! rrraaatsch! razack! sst… zack! ratsch! zack! zack! zack! …“.

Bacilieri zählt zu den produktivsten und bekanntesten zeitgenössischen Comiczeichnern Italiens und ist u. a. für Dylan Dog bekannt. Spätestens mit seinem Comic über Kreuzworträtsel, Fun (Avant Verlag: 2018), hat er sich einen Ruf als überaus experimentierfreudig erworben. Den Begriff Metacomic hasse Bacilieri im Grunde ja, auf Fun treffe er trotzdem zu. Im Gespräch mit seiner Übersetzerin Myriam Alfano und der Moderatorin Lilian Pithan diskutiert der Comicautor die Hintergründe der Entstehung seines Buches und dessen Übertragung ins Deutsche.

„Hätte es zu Salgaris Zeit bereits Comics in der heutigen Form gegeben, wäre er wohl auch Comicautor geworden“, ist sich Bacilieri sicher. Schon die Namen, die er sich ausgedacht hat, seien sehr comictypisch. Myriam Alfano sah sich bei ihrer Übersetzung mit Sprichwörtern, Liedern und Briefen konfrontiert, deren Tonalität und Zeitkolorit es mit Bedacht zu übertragen ging. Sweet Salgari besitzt mehrere Textebenen. Bei den Zitaten aus Salgaris Romanen habe Alfano zunächst geklärt, ob es deutsche Übersetzungen gibt, die sich heranziehen ließen. Das Ergebnis: Es gibt nur wenige Übersetzungen. Um die Jahrhundertwende seien solche Übersetzungen außerdem häufig gekürzt und inhaltlich stark verändert gewesen. Deshalb habe sie die entsprechenden Passagen neu übersetzt. Wortwahl und Satzbau sollten in die Zeit passen. Deshalb habe Alfano historisierend übersetzt, dem Text gewissermaßen eine Patina verpasst.

Eine Besonderheit bei Bacilieri: Soundwords besitzen ein rhythmisches Element und werden zur sichtbaren Tonspur des Comics. Einige Soundwords der italienischen Ausgabe funktionieren ebenso gut auf Deutsch wie etwa die Geräusche beim Schreiben, andere hat Alfano neu geschaffen wie die Geräusche der Eisenbahn. Bacilieri komponiert die Tonspur sorgfältig und setzt dabei auch stille Passagen ganz bewusst ein. „In der Geschichte der Comics ist Stille eine große Errungenschaft. Milton Caniff hat es sich in den 1940er-Jahren erkämpft, dass Sequenzen ohne Text publiziert werden“, erklärt Bacilieri. Am Ende des Podiumsgesprächs steht die Erkenntnis, nicht alles auszuerzählen, damit die eigene Vorstellungskraft beim Lesen eingeschaltet werden muss.

Den Vielschreiber Paolo Salgari begleiten bei seiner Arbeit viele Soundwords. Alle Abbildungen © Avant-Verlag 2018 und 2020

Der Comic-Salon Erlangen legte in diesem Jahr zum ersten Mal einen Fokus auf das Thema Comic-Übersetzungen. In Kooperation mit dem Verband literarischer Übersetzer*innen VdÜ und dem Deutschen Übersetzerfonds befassten sich zwei Workshops und drei Gespräche mit Übersetzungen aus dem Französischen, dem Italienischen und dem Japanischen.

Tipp für alle, die mehr über Comic-Übersetzungen erfahren möchten:
Comicgate-Magazin Nr. 9: „Text in Comics“.

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