In der Kolumne „Währenddessen …“ zeigt die Comicgate-Redaktion, was sie sich diese Woche so zu Gemüte geführt hat.
Daniel: Ich möchte mich an dieser Stelle für die Unregelmäßigkeit des Währenddessen in den letzten Wochen entschuldigen. Grund war die SPIEL 2016, die einen Großteil meiner Zeit gefressen hat. Es galt Interviews vorzubereiten, Listen zu erstellen und viele andere Dinge zu erledigen. Als Beleg für meine Reise zur Spielemesse habe ich dieses Beute-Bild für euch:
Das geschulte Auge wird rechts oben ein Brettspiel von einem alten Bekannten erkennen: „Der mysteriöse Wald“ ist eine Adaption von Daniel Lieskes Wormworld Saga, von ihm selbst illustriert. Wenn ich meine Selektion jetzt so rückwirkend betrachte, habe ich bei der Auswahl unbewusst auf schönes Design geachtet. Doch diese Brettspiele haben nicht nur schöne Verpackungen, sondern auch interessante Regeln und Konzepte zu bieten. Doch das Spiel, das mich in Essen am meisten fasziniert hat, ist auf diesem Bild nicht zu sehen. Das ist Fabelsaft von Friedemann Friese. In dem Spiel versuchen zwei bis fünf Spieler als erstes möglichst viele Smoothies zu pressen. Dazu benötigt man die richtigen Fruchtkarten, die man tauschen, stibitzen und handeln kann. Der Clou an dem Spiel: Mit jedem gepressten Smoothie kommen neue Regeln ins Spiel. Von diesen Regeln gibt es 58 verschiedene. Ein heißer Anwärter auf den Spiel des Jahres Preis 2017. Ach was, Friedemann wird nächstes Jahr damit gewinnen. Kein anderes Spiel verlangt nach dem ersten Mal spielen eindringlicher eine zweite, dritte und vierte Partie.
Christian: Kürzlich habe ich Frank Millers Tales to Offend wiederentdeckt, eine kleine rare Perle von 1997. Eigentlich besteht Millers Karriere ja aus drei Phasen: Phase 1 war seine Mainstream-Phase mit den berühmten Arbeiten für Marvel (Daredevil, Elektra) und DC (Ronin, Dark Knight). Dann kam Phase 2 mit den Independent-Sachen für Dark Horse. Die startete atemberaubend mit Sin City, Hard Boiled und Give me Liberty, aber danach war das Thema „Innovativ durch Unabhängigkeit“ auch schon durch. Miller wurde der König der großen Ankündigungen, aber machte tatsächlich immer nur dasselbe – und das zu langsam. Das war seine „Plakativ“-Phase: Nur kein Tiefgang, nur immer schön schrill. Machte er mal kein Sin City, dann kamen Sachen wie Tales to Offend, in denen er aufs Schönste sein verschrobenes Innenleben offenbart. In Tales to Offend führt Miller die Figur Lance Blastoff ein, die von der ersten Seite an gegen jede Form von Political-Correctness auskeilt und uns unter anderem darüber belehrt, dass veganes Leben Bullshit ist und dass man sich nicht vorschreiben lassen sollte, Flaschen wiederzuverwerten („Never mind what all those candy-pants tell you, kids! It’s still garbage! Just toss it!„) . Soweit so platt. In der zweiten Lance-Story aber dreht Miller auf: Erst verfüttert Lance seine nervige Freundin aus Story 1 an einen Dinosaurier, dann sammelt er eine Gruppe von kleinen niedlichen außerirdischen Flüchtlingen auf, die eigentlich die Lösung für alle Umweltprobleme und ein Rezept für den Weltfrieden hätten. Aber Lance ist das wurscht: Er verwandelt die friedfertigen Aliens mittels Lobotomie in niedliche kleine Äffchen, verkauft sie und scheffelt so ein bisschen Kohle. Ach, Millers goldener Humor war damals noch intakt. Aber dann kam Phase 3, die „Post 9/11“-Phase. Miller war danach zwar immer noch auf dem Entwicklungsstand von Phase 2 (wenig Subtanz, volle Kanne Provokation), aber jetzt machte er das mit depressiver Verbitterung, was man spätestens mit Holy Terror und seinem Rant gegen „Occupy Wallstreet“ deutlich erkennen konnte. Eigentlich waren Millers Comics ja in den 90ern schon mies, gleichzeitig war Miller aber auch ein Meister der Selbstinszenierung. Sein Tales to Offend funktioniert in seiner absoluten Untragbarkeit sogar ähnlich wie Böhmermanns Schmähgedicht vom letzten Jahr: Wer zuerst beleidigt ist, verliert. Und zeichnerisch war Miller nie näher an seinem Vorbild Will Eisner als in Tales to Offend.
Niklas: Wegen Wolfenhain habe ich fast eine Woche meines Leben verloren. Ich bewegte mich wenig, aß noch weniger und ging erst kurz vor Morgengrauen ins Bett. Es gibt einfach so viel zu tun, all diese Nebenquests müssen erledigt werden, damit ich stärker werde, um eine Chance im Finale zu haben. Aber eigentlich ist das zweitrangig, denn in Wirklichkeit möchte ich einfach mehr über die Welt erfahren. Es ist eine vergleichsweise große Welt, die Hobbyprogrammierer real_Troll auf Basis der Rollenspielsoftware RPG Maker kreiert hat. Eine Welt, in der germanische Sagen, Mythen der alten Griechen und die Märchen der Gebrüder in einen Topf geworfen werden und gut zueinander passen.
Es ist eine Welt, die ein alternder Abenteurer mit dicker Wampe, ein fanatischer Paladin und eine lebenslustige Hexe versuchen vor Untoten zu beschützen, während sie allerlei bizarre Abenteuer erleben, die sie an seltsame Orte führen. An sich ist es eine düstere Geschichte, die da erzählt wird, aber wie zum Beispiel Franz Kafka hat real_Troll Sinn für Humor. Nur erlaubt er sich im Gegensatz zu Herrn Kafka sehr alberne Scherze, die dem Spiel wieder eine gewisse Leichtigkeit geben, die es sehr bereichern.
Wer Wolfenhain spielt sollte für die nächsten Wochen beschäftigt sein. Das liegt nicht nur an der beeindruckenden Dichte der Aufgaben, sondern auch daran dass die Kämpfe taktisch sind und das Gameplay um einige Rätsel bereichert wird (die echte Kopfnüsse sein können). Ich kann es nur noch einmal betonen: Wolfenhain ist ein langes Spiel UND kostenlos. Wer dann noch Grafiken mag, die an Spiele aus der SNES-Ära erinnern, wird sich in der fiktiven Welt sowieso wohl fühlen. Und dann sind wieder 50 schlaflose Stunden rum. Das passiert so schnell. Hier kann die Vollversion heruntergeladen werden. real_Troll möchte aber noch eine gepatchte Version herausbringen, da einige Fehler aufgetaucht sind.
Stefan: Die Texte von Max Goldt sind die besten legalen Stimmungsaufheller, lobte Literaturkritiker Denis Scheck sinngemäß in seiner ARD-Sendung „Druckfrisch“. Diesem Lob schließe ich mich an und empfehle Lippen abwischen und lächeln: Die prachtvollsten Texte 2003 bis 2014, das aktuellste Best-of von Max Goldt. Schön gebunden, Schutzumschlag und Lesebändchen sind Zeichen äußerlichen Stils, die fein herausgearbeiteten Texte wie gewohnt klug beobachtet, lassen Raum für persönliche und ernstere Momente und die lauten Lacher bleiben nicht aus, weshalb ich im Moment in der Straßenbahn wohl etwas verhaltensauffällig bin. Wer die Kolumnen bereits kennt, wird trotzdem Neues entdecken, so etwa bei der überarbeiteten Reisereportage aus dem so krampfhaft um Aufmerksamkeit buhlenden Katar. Max Goldt ist der beste deutsche Humorist, den dieses Land vorweisen kann und mein Lieblingsschriftsteller. Unbedingt lesen. Gerne auch den Best-of-Band Für Nächte am offenen Fenster.
Was habt ihr diese Woche gekauft, gesehen, gelesen, gespielt? Postet eure Bilder, Geschichten und Links einfach in die Kommentare.
2 Kommentare