In der Kolumne „Währenddessen …“ zeigt die Comicgate-Redaktion, was sie sich diese Woche so zu Gemüte geführt hat.
Andi: In einem schönen Buchladen in Santa Cruz lockte mich The Con Artist mit buntem Cover voller chibiartiger Figuren und dem Autorennamen Fred van Lente (The Incredible Hercules) als vermeintlicher knalldicker Comicband an. Zu meiner Überraschung entpuppte sich das Ganze aber als Roman: The Con Artist ist ein Krimi, der sich um einen Mordfall in der Comicszene dreht.
Protagonist ist der Comickünstler Mike Mason, der seit Jahren keinen neuen Comic mehr gezeichnet hat, aber noch immer vom Ruhm seiner früheren Arbeit zehrt (eine seiner Eigenkreationen wurde gar verfilmt) und sich mittlerweile hauptberuflich von Convention zu Convention hangelt, um Wunsch-Sketche für die Fans anzufertigen. Auf dem San Diego Comic-Con erfährt Mike nicht nur, dass sein alter Mentor Ben Kurtz gerade verstorben ist, sondern wird bald darauf zum Hauptverdächtigen im Mordfall an einem Comicredakteur, der Jahre zuvor eine Affäre mit Mikes Frau hatte. Mitten im Con-Trubel versucht Mike auf eigene Faust seine Unschuld zu beweisen. Es bleibt aber nicht bei einem Mord…
Die Murder-Mystery-Story ist hier natürlich hauptsächlich Anlass für Autor van Lente die US-Comicindustrie und das Convention-Geschäft genüsslich aus Künstlersicht zu sezieren. Und das macht er auf einnehmende Art mittels Mike Masons trocken-bärbeißiger Erzählstimme. Es geht um Anerkennung, das Verhalten von Fans und Convention-Besuchern, künstlerische Motivation, die Vereinnahmung der Comics und ihrer Festivals durch Hollywood, Neid unter Künstlern und – allem Zynismus zum Trotz – die Liebe zum Medium Comic. Während einige reale Verlage und Künstler am Rand auftauchen, sind die Figuren in größeren Rollen zwar fiktiv, aber ihre realen Vorbilder leicht erkennbar; vor allem Grant Morrison bekommt hier in Form des selbstverliebten Hype-Autors Sebastian Mod auf höchst vergnügliche Weise sein Fett weg. Dazu gibt es eine Handvoll Illustrationen aus Mike Masons Skizzenbuch, in denen er unbewusst Details festgehalten hat, die zur Klärung des Falls beitragen könnten (und in Wahrheit von Comiczeichner Tom Fowler stammen).
Stilistisch steht The Con Artist stark in der Tradition der Noir-Fiction. Warum wer wen ermordet hat, ist letztendlich gar nicht von so großer Bedeutung. Es ist der Weg des (Amateur-)Detektivs durch ein atmosphärisches wie verwirrendes Labyrinth, wo hinter jeder Ecke eine skurrile Begegnung, (physisch oder psychisch) schmerzhafte Erfahrung oder überraschende Wendung lauert, der das Lesevergnügen ausmacht. Und dieses Vergnügen ist für LeserInnen, die sich für Comics im Allgemeinen und die US-Comicindustrie im Speziellen interessieren, in diesem Fall immens groß!
Daniel: Ich mag an Serien vor allem das Serielle, den Cliffhanger, das Warten. Ich mag mich eine ganze Woche lang auf die nächste Folge freuen. Das Konzept der sofortigen Verfügbarkeit von Netflixserien finde ich nicht so gut. Es stresst mich. Gestresst werde ich lieber jede Woche durch Amy Adams aufreibende Geschichte in Sharp Objects.
Adams spielt die rauchende und trinkende Reporterin Camille Preaker, die von ihrem Chef in ihre Heimatstadt geschickt wird. In der Kleinstadt Wind Gap in Missouri wurden zwei Mädchen ermordet. Der Chefredakteur erhofft sich aber nicht nur eine gefühlige Reportage, sondern möchte, seine Mitarbeiterin wieder auf die richtige Bahn bringen. Was genau Camilles aktuelles Problem ist und welche Probleme sie in der Vergangenheit hatte, erfährt der Zuschauer nur langsam und bruchstückhaft. Das Unsicherheitsgefühl erzeugt Regisseur Jean-Marc Vallée durch einen Trick: Immer wenn Camille wichtige visuelle Informationen verarbeitet, schiebt er für eine Zehntelsekunde ein weiteres Bild dazwischen, einen Flashback von Camille, der unkommentiert neben den aktuellen Geschehnissen steht, ihnen eine neue Wendung gibt. Die Prise Psycho befindet sich bei dieser achtteiligen HBO-Miniserie, die eine Adaption von Gillian Flynns (Gone Girl) gleichnamigem Roman ist, zwischen den Bildern.
Christian: 2006 veröffentlichte der Penguin Verlag viele Literaturklassiker mit Covern, die von Comickünstlern gestaltet wurden. Schon damals sprang mich Chester Browns Cover zu Lady Chatterley’s Lover an, aber es mussten 12 weitere Jahre ins Land ziehen, bevor ich mich daran erinnerte und mir D.H. Lawrences Roman bestellte. In Kindlers Literaturlexikon steht, dass man D.H. Lawrence „Obszönität, Verherrlichung von Ehebruch und Zivilisationsfeindlichkeit“ vorwarf. Kein Wunder, denn Lawrence bezieht sich bei Lady Chatterley’s Lover zwar auf Ehe-Vorstellungen der katholischen Kirche, legt sie aber auf provokative Weise anders aus. Da auch Chester Brown in seinen Comics keine Angst vor Tabubrüchen, Intimität und Peinlichkeiten hat, sind Chester Brown und D.H. Lawrence wirklich ein ideales Match. Eine Traumbesetzung.
Gut möglich, dass dies nicht der letzte Klassiker war, den ich mir aus dieser Penguin-Reihe zulege: So ist auch Comicreporter Joe Sacco eine gute Wahl für Ken Keseys One flew over the Cuckoo‘s Nest. Eine ideale Ergänzung für jeden Fan, der sonst alles hat. Auch Tom Gaulds Cover zu The Three Musketeers gefällt, ebenso Voltaires Candide mit Coverdesign von Chris Ware. Wirklich eine sehr schöne Edition. Einfach mal „Penguin Classics Deluxe Edition“ googeln und in den Bildern browsen. Es gibt da einiges zu entdecken.
Was habt ihr diese Woche gekauft, gesehen, gelesen, gespielt? Postet eure Bilder, Geschichten und Links einfach in die Kommentare.