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Währenddessen… (KW 4)

Niklas und Christian teilen sich den Währenddessen-Space heute für zwei sehr unterschiedliche Seherfahrungen. Eines haben sie aber gemein: Beides macht sich gut auf der Bühne. Vorhang auf für „Crazyface“ und „Columbo“.

„Your suffering will be legendary, even in hell“ sagt der Pinhead zur jungen Kirstie in Hellraiser, die sich in eine Höllendimension verirrt hat, die sie nicht versteht. Ja, eine lustvolle Beziehung zum Grausamen pflegt Clive Barker in vielen seinen Geschichten. Auch in seinem frühen Theaterstück Crazyface wird die unschuldige Figur des Tyl Eulenspiegel, in diesem Stück meist als Crazyface bezeichnet, mit schwer vorstellbaren Grausamkeiten konfrontiert, als er im Verließ des Königs von Spanien auf seine Hinrichtung wartet:

„He thinks he’s getting hanged“, lacht ihn sein Bewacher aus und belehrt Tyl eines besseren: „You’re going to be pulled apart. By horses. By four horses. It takes hours and hours. All day sometimes. It’ll turn your hair white. Sometimes the limbs don’t come off: then we have to hack …“, „hack“, sagt der zweite Wächter, „… and chop …“ der Dritte, dann wieder der erste „and chop, until we get a good tear going. Of course, we seal up the cuts with molten lead, just so you don’t bleed to death. That wouldn’t do at all, now would it?“ Und dann fragt er Tyl, ober ihn seinen Mantel verkauft, er braucht ihn ja nicht mehr.

Aber Tyl Eulenspiegel wäre nicht Tyl Eulenspiegel, würde ihm nicht noch eine List einfallen, wie er sich doch noch aus der Misere befreien kann. Sie involviert den Engel, der ihn stets begleitet, ein sarkastischer Hundling, den nur er sehen kann. Weil dieser gar nicht göttliche Schurke, der vielleicht nur in Tyls Kopf, vielleicht auch tatsächlich überirdischer Natur ist, Tyl laufend in sinnlose Zwiegespräche verstrickt, hat Tyl überhaupt erst den Namen Crazyface erhalten. Seine Familie hält Tyl für einen nutzlosen Esser, der es mal nicht leicht haben wird. Dessen Bruder allerdings, Lenny Eulenspiegel, hat es auch nicht weit gebracht. Lenny hasst seinen Bruder, weil der Engel sehen kann, was ihm verwehrt bleibt. Lenny ist ein brutaler Verbrecher, der Tyl drei Halbschwestern eingebracht hat und in den Kerkern des Königs lebendig begraben ist, seit zwei Jahren auf einem Rad, manchmal bei Feuer, manchmal bei Eis: „They put me on a great wheel. Day and night, sometimes in ice, sometimes in fire. And still, even though I was teetering on the brink of death, nothing.“ Engel hat Lenny nie gesehen.

Die Handlung des Stücks „Crazyface“ ist schnell umrissen und kann intuitiv verstanden werden in ihrer Klarheit. Tyl fällt ein Schatz in die Hände, auf den der König von Spanien größten Wert legt, der ihm deswegen den durch Folter völlig wahnsinnigen Lenny auf den Hals hetzt. Dieser Schatz ist „the glory of the world, locked in a box“. Es entpuppt sich später als Schokolade, den Mächtigen vorbehalten und unendlich wertvoll, für den König mehr als ausreichend, andere bis in den Wahnsinn zu traktieren. So offensichtlich geht es auch im Theater nur selten um eigentlich überhaupt nichts.

Das Großartige an dem Stück ist Tyls Reise, die ihn durch vielfältige groteske und humorvolle Stationen bringt. Zunächst trifft er einen sterbenden Menschen mit aufgesteckten Flügeln; die Dorfbewohner wollen ihm kein Begräbnis gewähren, weil er doch ein Selbstmörder ist. Später trifft er Spione und Meuchelmörder und Pulcinelle im Dienste des Königs von Spanien. Er wird spontan verheiratet, um den verstorbenen Ehemann der Tochter eines Schweinezüchters zu ersetzen, bis die Hochzeitsgesellschaft von Lenny aufgemischt wird. Tyl gerät unter die Räuber, landet im Kerker und trifft schließlich den Papst. Am Ende zieht er sich selbst die Flügel an und sagt zu seiner Mutter: „The wind is good and strong. All the Birdman needed was an updraft.“ Und ja, am Ende fliegt Tyl.

Ich hatte in den ausgehenden 1990ern das große Glück, Crazyface in einer Inszenierung der Theatergruppe der Münchner Anglisten zu sehen. Drei Stunden ist normalerweise zu lang für Laientheater, hier aber war keine Sekunde davon langweilig. Ein Catwalk auf Planken quer durch die Sitzreihen, blutige Bühneneffekte, als Lenny auf der Hochzeit seinem Handwerk nachgeht, es gab wirklich vielfältige Schauwerte in diesem Stück, das so quer zum sonstigen Programm von Dickens bis Shakespeare lag. Danke dafür.

Ein paar Tage später fand ich in der Schellingstraße ein Buch mit Clive Barker-Texten. Es hatte den Titel „Forms of Heaven“ und enthält mehrere Theatertexte von Barker sowie Gedanken, wie es inszeniert sein sollte. Bei Crazyface soll es betont burlesk zugehen und zu jeder Gelegenheit unter Einbeziehung des Publikums so körperlich und zirkusartig wie möglich. Ein interessanter Ansatz, der zeigt, was für ein vielseitiger, interessanter Autor Clive Barker doch immer war und noch ist.

Niklas: Eine Frage hätte ich da noch: warum ist Columbo so unterhaltsam?

Die episodische Serie um einen Inspektor im abgetragenen Regenmantel begann 1968 und endete 2003. Hauptdarsteller war immer Peter Falk, der Columbo als exzentrischen, aber nichtsdestotrotz brillanten Ermittler spielte, der sich immer dümmer gibt als er ist, um die Mörder aus der Reserve zu locken. Im Gegensatz zu anderen Serien sind die Mörder nicht nur bekannt, wir erleben die Ausführung ihrer teilweise sehr komplexen Morde auch mit. Die Frage ist also nie wer es war oder wie sie es taten, sondern wann und wie Columbo den entscheidenden Einfall haben wird, um den Mord doch noch in letzter Minute aufzuklären.

Columbos Fälle werden langsam, fast behäbig erzählt. Das bietet allerdings genügend Raum, um die Motive der Mörder und der Opfer plastisch darzustellen, die sich alle in einer künstlichen Sprache parlieren, die zu einem Theaterstück passt. Die Folgen als übertriebene Melodramen zu verstehen hilft auch mehr, denn realistische Action oder düstere Analysen gesellschaftlicher Phänomene gibt es bei Columbo nicht. Die Mörder erinnern mich oft mehr an Figuren wie Professor Moriarty ( https://de.wikipedia.org/wiki/Professor_Moriarty ), Figuren die größer als das Leben sind. Die meisten von ihnen sind brillante Akademiker, reiche Industrielle und mächtige Politiker und niemand kann sie aufhalten. Niemand, außer ein Zigarre rauchender Inspektor aus der Arbeiterklasse in einem abgetragenen Trenchcoat. Wenn Columbo die Reichen und Mächtigen der Gerechtigkeit zuführt, fühlt sich das wirklich gut an. Aber manchmal ist der Fall auch tragisch und es bleibt ein gewisses Gefühl der Melancholie zurück. Denn Columbo ist am Ende auch nur ein Mensch, der sich gut in seine Verdächtigen reinfühlen kann und ihre Motive versteht. Trotzdem, ein Job ist ein Job und Mord nicht richtig.

Durch diese einfühlsame Freundlichkeit wird der Charakter Columbo nicht nur komplexer, sondern auch greifbarer und zeitlos. Mag er auch gerne knausern und mit seinen Zigarren die Luft verpesten,  am Ende versucht er sein Bestes, um die Welt ein bisschen besser zu machen. Deswegen werde ich bestimmt immer wieder bei ihm reinschauen, selbst wenn seine Welt nach all den technologischen Entwicklungen nicht mehr vorstellbar ist und veraltet rüberkommt. Charmant bleibt er immer.

Außerdem macht es Spaß, immer wieder überrascht zu werden, wen sie alles dazu brachten die Mörder zu spielen. Unter anderem William Shatner, zweimal, als ein anderer Mörder. Ich wusste doch, dass Captain Kirk nicht zu trauen ist.

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