Christian hat sich auf Arte „Making Waves – The Art of Cinematic Sound“ angesehen.
Christian: Wer kennt es nicht: das Bedürfnis, beim Ansehen eines Horrorfilms die Hand vor die Augen zu halten, wenn das Gezeigte zu grausam wird? Dabei ist es oft viel sinnvoller, statt den Augen die Ohren zu verschließen, denn ohne Ton gehen selbst die harten Effekte nicht mehr ins Innere sondern bleiben auf Distanz und damit wirkungslos. Probiert es aus! Seht euch die Kopfexplosion in David Cronenbergs Scanners zweimal an: erst mit, dann ohne Ton. Das erste Ansehen zermürbt dich, zwingt dich in die Knie, lässt dich als nervöses Nervenbündel zurück, voll Angst davor, was in dem Film wohl noch so kommen mag. Das Ansehen ohne Ton dagegen zeigt halt einen blutigen Spezialeffekt, der nicht weiter berührt.
In der Arte-Mediathek gibt es momentan die wunderbare Dokumentation “Making Waves” zu sehen, in der über 90 Minuten die Evolution des Sounddesigns im Film nachgezeichnet wird. Cronenbergs Scanners kommt darin nicht zur Sprache, dafür jedoch Coppolas Der Pate, in dem ebenfalls aufreibende Klänge wohldosiert, aber effektvoll eingesetzt werden. Die Szene, in der Michale Corleone (Al Pacino) seinen ersten Mord begeht, ist mit einem nervenzerrüttenden Sirren untermalt. Mit der Tonspur gelingt hier etwas, was bis dato im Film nicht möglich war: den inneren Konflikt der Figur auf einer nicht visuellen, sondern eben auditiven Ebene abzubilden. Davor wurden Gefühle eher über klassische Musik vermittelt, mit Sounddesigns wie beim Paten wurden dann auch Elemente der neuen Musik innovativ eingesetzt.
Nach dem Zusammenbruch des Studiosystems Ende der 1960er Jahre erfanden Filmemacher wie Francis Ford Coppola, William Friedkin, George Lucas, Martin Scorsese etc. eine neue Art des Kinos, die radikal anders war und auch dem Klang eine wichtige Rolle zusprach. Bei Apocalypse Now ging Coppola dabei so weit, sogar audiovisuelle Drehbücher zu verfassen, zudem gab es spezialisierte Soundregisseure, einen für Waffen, einen für Naturgeräusche, einen für atmosphärische Sounds usw. Ebenso war natürlich auch George Lucas ein wichtiger Impulsgeber für die Entwicklung des Kinosounds. Sein Sound-Designer Ben Burtt tüftelte monatelang an den richtigen Klängen für Raumschiffe, Wookies, Laserschwerter und Androiden. Ach, und hätte man tatsächlich für möglich gehalten, dass die fetten Düsenjet-Sounds aus Top Gun eine Collage von Tiergeräuschen sind? Zum Glück saßen für diesen Film am Mischpult keine Army-Veteranen, wie das das Studio gerne gesehen hätte, sondern die Tonmeisterin Cece Hall, die schnell erkannte, dass man nur mit Aufnahmen von Düsenjägern keinen beeindruckenden Effekte erzielen kann. Düsenjäger brüllen nun mal.
Man nimmt im modernen Kino die fetten Sounds als gegeben hin und findet sie inzwischen fast schon abgegriffen und langweilig. Die Reise dorthin, vom Stummfilm bis zum Blockbuster, ist in „Making Waves“ jedoch sehr spannend und bereichernd nacherzählt und sensibilisiert dafür, beim nächsten Film mal genauer auf Ton, Klang, Musik, Geräusche und selbst Dialogregie zu achten. Man bekommt interessante Impulse, Kino nochmal völlig neu für sich zu entdecken. Unbedingt ansehen, denn ich habe bisher nur einen kleinen Bruchteil der vielen kleinen Wunder genannt, die in dem Film so zu sehen sind.
(708) Making Waves: The Art Of Cinematic Sound – Official Trailer – YouTube